Mittwoch12. November 2025

Demaart De Maart

ForumTilly Metz: Für psychische Gesundheit junger Menschen sorgen, in soziale Rechte investieren

Forum / Tilly Metz: Für psychische Gesundheit junger Menschen sorgen, in soziale Rechte investieren
 Foto: Editpress-Archiv/Isabella Finzi

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Suizid ist die zweithäufigste Todesursache bei jungen Menschen in Europa – gleich nach Verkehrsunfällen. Jeder sechste Todesfall junger Menschen in Europa ist auf psychische Gesundheitsprobleme zurückzuführen – und trotzdem scheuen wir uns noch immer, offen darüber zu sprechen.

Anknüpfend an die weltweite Tradition, im Mai auf psychische Gesundheit aufmerksam zu machen, hat mich die diesjährige Europäische Woche für psychische Gesundheit (19. bis 25. Mai) dazu angeregt, darüber nachzudenken, wie wir als Gesellschaft unserer gemeinsamen Verantwortung besser gerecht werden können.

Unter dem Motto „Für psychische Gesundheit sorgen, in soziale Rechte investieren“ hebt die Ausgabe 2025 der Europäischen Woche die enge Verbindung zwischen psychischer Gesundheit und Sozialpolitik hervor. Soziale Rechte wie der Zugang zu Bildung, gute Arbeitsplätze, würdiges Wohnen, soziale Absicherung und gesellschaftliche Teilhabe sind essenziell für unser psychische Wohlbefinden – und umgekehrt beeinflusst die psychische Gesundheit, ob und inwiefern wir diese Rechte wahrnehmen können. Dieses Wechselverhältnis ist besonders wichtig für junge Menschen, deren psychische Gesundheit schon lange vor und auch über die letzte Pandemie hinaus europaweit eine wachsende Sorge darstellt. Die Lockdowns, soziale Isolation, wirtschaftliche Unsicherheit und unterbrochene Ausbildung während der Pandemie haben eindrücklich gezeigt, wie stark soziale Bedingungen unser psychisches Wohlbefinden prägen.

Sorgen um Lebenshaltungskosten, geopolitische Spannungen, wirtschaftliche Unsicherheit, Klimawandel und Biodiversitätsverlust, erschwinglichen Wohnraum, berufliche Perspektiven und Jobsicherheit sowie psychische Gesundheit selbst gehören zu den größten Ängsten junger Menschen in Europa. Sie nennen Gesundheitspolitik – und insbesondere die psychische Gesundheit – regelmäßig als oberste Priorität für die EU.

Beunruhigende Entwicklungen in Luxemburg

Auch Luxemburg ist trotz Wohlstand und Schutz vor humanitären Krisen nicht frei von Herausforderungen im Bereich der psychischen Gesundheit. Das Großherzogtum verzeichnet beunruhigende Entwicklungen: Depressionen, Angststörungen und Essstörungen nehmen unter jungen Menschen, insbesondere bei Mädchen, deutlich zu. In diesem Zusammenhang verpasste die letzte Rede zur Lage der Nation des Premierministers die Gelegenheit, auf die wachsenden Sorgen junger Menschen in Luxemburg einzugehen, die einer unsicheren Zukunft entgegensehen. Das Narrativ der Wettbewerbsfähigkeit und das Erlangen von kurzfristigem finanziellen Profit tragen sicher nicht zum psychischen Wohlbefinden bei.

Gute psychische Gesundheit betrifft uns alle. Sie hilft uns, Herausforderungen zu meistern, unser Potenzial zu entfalten und aktiv zur Gesellschaft beizutragen. Gleichzeitig entsteht psychisches Wohlbefinden nicht im luftleeren Raum – es wird durch soziale Umstände geformt. Deshalb fordert der psychosoziale Ansatz eine integrierte Politik, die die tieferliegenden Ursachen psychischer Belastungen innerhalb und außerhalb des Gesundheitswesens angeht.

Ein zentrales Anliegen der diesjährigen Europäischen Woche der psychischen Gesundheit ist daher, die Verknüpfung zwischen Gesundheits- und Sozialpolitik auf EU-Ebene zu stärken – und psychische Gesundheit durch Chancengleichheit, faire Arbeitsbedingungen sowie starke soziale Absicherung und Inklusion zu fördern. Umgekehrt hat schlechte psychische Gesundheit bei jungen Menschen oft schwerwiegende Folgen: schlechtere Bildungsergebnisse, langfristige wirtschaftliche Unsicherheit sowie soziale Isolation und Rückzug. Weitere Folgen können eine erhöhte Anfälligkeit für Ausbeutung, Radikalisierung sowie riskantes Verhalten online und offline sein – was psychische Gesundheit angesichts des heutigen politischen Klimas umso dringlicher macht. In extremen Fällen kann diese weitgehend „stille Pandemie“ ihre tragischste Folge haben: Verhalten mit potenzieller Gefährdung für sich selbst oder andere.

Da rund die Hälfte aller psychischen Probleme im Erwachsenenalter bereits in der Kindheit oder Jugend beginnt, ist die Förderung der psychischen Gesundheit junger Menschen nicht nur eine Frage ihres Wohlbefindens, sondern auch eine präventive Maßnahme zum Aufbau gesunder und starker Gesellschaften. Sie zu schützen, bedeutet auch, unsere ungesunden sozialen, Umwelt- und digitalen Bedingungen zu verbessern. Die Angst vor der Klimakrise nimmt unter jungen Menschen zu, die die Last eines ökologischen Kollapses fürchten, während schlechte Lebensumgebungen – geprägt von Lärm, Luftverschmutzung, Enge und fehlenden Grünflächen – Stress verstärken. Ständige Konfrontation mit negativen Nachrichten und der Druck sozialer Medien erhöhen Ängste, geringes Selbstwertgefühl und soziale Entfremdung. Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderung, Herkunft und sozioökonomische Ungleichheiten verstärken die Risiken zusätzlich und unterstreichen die Notwendigkeit für inklusive, bezahlbare und geschlechtersensible Ansätze.

Symbolpolitik statt echter Lösungen

In Luxemburg, wie anderswo auch, bleibt der akute Mangel an Fachpersonal in der psychischen Gesundheitsversorgung eine große Herausforderung. Wer Hilfe sucht, muss oft lange Wartezeiten in Kauf nehmen – während viele junge Menschen erst gar keine Hilfe suchen, wissend, dass es umso schwieriger ist, in einem reichen Land zuzugeben, dass es einem nicht gut geht. Ein wichtiger Schritt war jedoch im Februar 2023 die Einführung der Rückerstattung von Psychotherapiesitzungen in Luxemburg auf Rezept – 70 Prozent für Erwachsene und 100 Prozent für Minderjährige.

In seiner jüngsten Rede zur Lage der Nation griff Premierminister Frieden kaum die Zeichen der Zeit auf – und noch weniger die Sorgen der jungen Generationen angesichts geplanter politischer Änderungen. Die vorgeschlagene Rentenreform, die mehr Beitragsjahre verlangt, dürfte vor allem jungen Menschen zu schaffen machen, die künftig länger unter unsicheren Bedingungen arbeiten müssen. Zur Gesundheitspolitik schwieg der Premier auffällig. Klima und Biodiversität waren erneut kaum präsent – wenn überhaupt, dann als bürokratische Hürden oder Gegenspieler zu Wohnungsbau und Wirtschaftswachstum. Die Rede ignorierte soziale Rechte weitgehend und beschränkte sich auf längst angekündigte Maßnahmen – Symbolpolitik statt echter Lösungen, ohne Antwort auf die Frage der Generationengerechtigkeit.

Als stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Europäischen Parlament setze ich mich für eine integrierte Politik zur psychischen Gesundheit ein. Psychische Gesundheit steht inzwischen im Mittelpunkt der EU-Gesundheitspolitik und die Union spielt eine wichtige Rolle dabei, die Mitgliedstaaten mit politischen Leitlinien, Finanzierung, Wissensaustausch und grenzüberschreitender Zusammenarbeit zu unterstützen. Die Politik der Europäischen Kommission zur psychischen Gesundheit braucht nun konkrete Umsetzung mit klaren Zeitplänen, ausreichendem Budget und messbaren Zielen. Um mentale Resilienz zu stärken, müssen wir die Menschen, und besonders junge Menschen, ins Zentrum rücken – ihre Sorgen ernst nehmen, sie an Entscheidungen beteiligen und die Ursachen ihrer Belastungen angehen – von Klimaangst bis zu wirtschaftlicher Unsicherheit.

Tilly Metz ist Europaabgeordnete
Tilly Metz ist Europaabgeordnete Foto: Editpress/Hervé Montaigu