/ Thierry Lagoda: „Selbst Lösungen finden“
Beckerich ist ein Beispiel für eine Gemeinde, die nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit verwaltet wird. Wie geht das? Das Tageblatt sprach mit dem parteilosen Bürgermeister Thierry Lagoda, der seit dem Wechsel seines Vorgängers ins Ministerium für Nachhaltigkeit die Geschicke der Gemeinde im Westen Luxemburgs lenkt.
Tageblatt: Beschreiben Sie kurz Ihre Gemeinde …
Thierry Lagoda: Die Gemeinde Beckerich besteht aus acht Dörfern mit insgesamt etwa 2.500 Einwohnern. Wir sind eine ländliche Gemeinde – und stolz darauf.
Beckerich ist bekannt für seine „grüne“ Politik. Welchen Stellenwert haben der Umweltschutz und die Nachhaltigkeit für Sie?
Durch meinen Beruf als Klimapakt-Berater bin ich persönlich sehr an Umweltfragen und der Nachhaltigkeit interessiert. Beckerich ist im Augenblick dabei, seine Zertifizierung zu erneuern. Wir waren die erste Gemeinde, die 2015 ein Gold-Zertifikat erhalten haben. Darauf sind wir stolz. Die Energieeffizienz unserer Gebäude ist exzellent. Wir haben trotzdem eine Studie in Auftrag gegeben, um zu analysieren, wo noch Verbesserungspotenzial besteht. In diesem Zusammenhang wollen wir vor allem die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer fördern. Beim Niederspannungsstrom sind wir zu 100 Prozent autonom. Diverse Organisationen und „grüne“ Unternehmen haben Beckerich als Sitz gewählt wie z.B. CELL (Centre for Ecological Learning Luxembourg) oder „Eida Green“ (alternativer grüner Strom und Erdgaslieferant). Im Rahmen des interkommunalen Syndikats „De Réidener Kanton“ ist ein Windpark vorgesehen. Auch wenn er nicht auf unserem Gemeindegebiet entsteht, beteiligen wir uns daran.
Ist es möglich, Umweltschutz, Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Aktivitäten unter einen Hut zu bringen?
Ja, da gibt es Möglichkeiten. So wurde z.B. die „Coopérative de l’Attert“ ins Leben gerufen. Sie ist ein Beispiel für solidarische Landwirtschaft. Der Kunde zahlt im Voraus für einen Korb mit Waren und darf folglich auch ein Wort mitreden, was die Qualität der Ware betrifft. In Beckerich wurde in diesem Zusammenhang hinter der Wasserfabrik ein Gemüsegarten angelegt. Auch machen mehrere Landwirte der Region bei dem Projekt mit.
Dann gibt es „ClimEEC“. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk von Unternehmen des Bausektors, die miteinander kooperieren und die Gebäude nach ökologischen Kriterien bauen. Die ehemalige „Jangelis-Gare“ in Noerdingen ist ein Projekt des Netzwerks.
Beckerich arbeitet eng mit seinen Nachbargemeinden zusammen.
Welche Bedeutung hat diese Kooperation?
Sie ist enorm wichtig. Die Gemeindeverantwortlichen sehen sich regelmäßig. Außerdem setzt sich diese Zusammenarbeit im „Réidener Kanton“ fort. So arbeiten wir z.B. gemeinsam mit Saeul bei der „Maison relais“. Beckerich, Ell und Redingen wollen zusammen einen „Travailleur désigné à la sécurité des bâtiments“ einstellen. In unserer Region reden wir nicht nur über die Solidarität, sondern leben sie vor.
Sie sind ja der neue Präsident des „Réidener Kanton“. Wo liegen die Prioritäten des Gemeindesyndikats?
Im „Réidener Kanton“ sind die Gemeinden Beckerich, Saeul, Ell, Redingen, Vichten, Wahl, Grosbous, Useldingen, Rambrouch und Préizerdaul zusammengeschlossen. Ein Großprojekt, das in Zukunft verwirklicht wird, ist die Schaffung des Windparks. Er soll von der Firma Soler betrieben werden und auf dem Territorium der Gemeinden Rambrouch, Ell und Redingen entstehen. Das Projekt stellt vor allem eine Herausforderung in puncto Bürgerakzeptanz dar. Es fanden in diesem Kontext bereits Informationsveranstaltungen in den drei betroffenen Gemeinden statt, die allesamt gut verlaufen sind.
Welche anderen Prioritäten hat das Syndikat?
Eine weitere Priorität des Gemeindesyndikats ist der Tourismus. In Useldingen, Oberpallen, Rindschleiden und Reichelingen sollen Übernachtungsmöglichkeiten geschaffen werden. In Hüttingen wurde bereits ein Pferdehof mit Gästezimmern eröffnet. Wir wollen ein Netz von Hostels aufbauen, das von einer zentralen Stelle aus, dem Info-Tourist-Zentrum in Useldingen, verwaltet wird. Dann soll auch das regionale Gewerbegebiet Solupla erweitert werden. Die Industriezone „Riesenhaff“ soll indes saniert werden. Große Hoffnungen setzen wir auf das Radwegenetz. Wir verfügen inzwischen über ein zusammenhängendes Netz mit einer angepassten Beschilderung. Was die Wanderwege betrifft, so sind wir dabei, zusammen mit der Gemeinde Mertzig ein Inventar aufzustellen. Das Ganze soll digitalisiert werden und die schönsten Wege sollen vom Deutschen Wanderverband zertifiziert werden.
Zurück nach Beckerich. Welche zukunftsweisenden Projekte sollen umgesetzt werden?
Eine große Herausforderung stellt die Schule dar. Wir müssen der demografischen Entwicklung Rechnung tragen und ausreichend Kapazitäten vorsehen. Auch der Ausbau der „Maison relais“ ist geplant. Hier finden im Augenblick 160 Kinder Platz.
Dann werden wir in Maßnahmen zugunsten der Verkehrssicherheit investieren. Auch die Wasserleitungen müssen auf den neusten Stand gebracht werden. Schließlich muss auch überlegt werden, ob der Bau eines neuen Kulturzentrums notwendig ist.
Die Landesplanung spielt eine wichtige Rolle. Wie soll Beckerich wachsen?
Wir haben den Status einer sogenannten „Commune complémentaire“, d.h. dass der Bauperimeter nicht erweitert werden kann. Deshalb wollen wir die bestehenden Baulücken nutzen. Alleine durch diese Maßnahme können wir Platz für etwa 5.000 weitere Einwohner schaffen. In den Dörfern sind keine neuen Viertel geplant, mit Ausnahme der „Schonk“ in Beckerich. Dort sind etwa 80 neue Wohneinheiten vorgesehen. Was den Handel anbelangt, so sind wir gut gerüstet, u.a. durch das Pall Center. Der Einzelhandel in den Dörfern verschwindet aber leider nach und nach. Momentan gibt es nur noch einige Geschäfte in Oberpallen, Beckerich und Noerdingen. Es haben sich aber einige große Unternehmen hier angesiedelt wie z.B. Alufer, G. Scheuer (Elektriker und Spezialist für Domotik), Wolff-Weyland (landwirtschaftliche Maschinen), das Pall Center, der Verband und die Wasserfabrik. Sie alle schaffen Arbeitsplätze in der Gemeinde. Gegenüber der Sporthalle in Beckerich wurde zudem ein Gründezentrum geschaffen.
Wie sieht es auf der sozialen Ebene aus?
Bei den Sozialeinrichtungen ist die „Autisme Luxembourg asbl“ hervorzuheben. Bei der Seniorenbetreuung arbeiten wir mit dem „Club Senior“ in Colpach zusammen. Im Altersheim in Redingen sind mehrere Zimmer für die Einwohner unserer Gemeinde reserviert. Dazu kommt noch ein Projekt „betreutes Wohnen“ in Oberpallen. In Hovelingen sollen indessen Wohnungen zu einem erschwinglichen Preis für junge Leute entstehen.
Wird die Westregion in der Landesplanung nicht vernachlässigt?
Ja, aber das ist unsere Stärke, denn dadurch müssen wir selbst Lösungen für etliche Probleme finden. Dabei sind bislang auch verrückte Ideen herausgekommen, die aber Erfolg haben. Ein Beispiel: Die alternative Währung „Beki“. Der „Réidener Kanton“ spielt eine zentrale Rolle in der Region. Er zeichnet sich durch seine Innovation, seine Solidarität und seine Dynamik aus. Außerdem haben zehn Bürgermeister mehr Gewicht, wenn sie gemeinsam bei einem Ministerium vorsprechen.
Stichwort Gemeindefusionen: Mit wem würden Sie eine Ehe eingehen?
Diese Frage stellt sich im Augenblick nicht. Wir sind ja bereits eine Art Fusion im „Réidener Kanton“ eingegangen. Warum ein System ändern, das funktioniert?
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