Therese Wolff, die zeitlebens ledig blieb und keine direkten Verwandten in Luxemburg hatte, wurde am 16. Oktober 1941 von Luxemburg nach Litzmannstadt deportiert. Sie starb im Ghetto, wo die Menschen auf engstem Raum und unter lebensunwürdigen Umständen zusammengepfercht wurden, sechs Monate später am 19. April 1942.
Herkunft
Therese Wolff stammte aus dem kleinen Ort Diefflen im Saarland. Diefflen hatte keine eigene jüdische Gemeinde, die wenigen jüdischen Bürger*innen feierten ihre Gottesdienste mit den Jüd*innen aus den Nachbarorten Nalbach und Dillingen. In Diefflen befand sich jedoch ein großer jüdischer Friedhof, auf dem zwischen 1755 und der NS-Zeit etwa 400 Menschen aus der Umgebung ihre letzte Ruhestätte fanden.1)
Therese Wolff war die Tochter von Max Wolff (*1858, Nalbach) und dessen Frau Fanny geb. Rotschild (*1858, Offenbach).2) Sie wurde am 21. November 1888 in Diefflen geboren und scheint bis zu ihrem 42. Lebensjahr in der Region geblieben zu sein. Vor ihrem Umzug nach Luxemburg lebte sie im Nachbarort Nalbach, aus dem auch ihr Vater stammte.3) Therese hatte einen älteren Bruder, Ferdinand, der am 9. Dezember 1882 in Nalbach geboren wurde, und eine ältere Schwester, Bertha, die am 25. September 1886 in Diefflen geboren wurde, sowie fünf weitere Geschwister, die bereits vor ihrem zweiten Lebensjahr verstarben.4) Ob Therese eine Ausbildung erhielt, ob sie einen Beruf ausübte und wie ihr Leben vor ihrer Auswanderung ins Großherzogtum aussah, ist uns nicht bekannt.
Leben in Luxemburg
Im April 1930 zog Therese Wolff von Nalbach nach Luxemburg. Sie hatte nie geheiratet und hatte auch keine Kinder. Wie viele unverheiratete Frauen zu dieser Zeit verdiente sie ihren Lebensunterhalt als Hausangestellte. Sie arbeitete bei bekannten Kaufleuten in Luxemburg-Stadt: die Ehepaare Maurice Levy (1887-1974) und Hilda Lodner (1897-1978) sowie Armand Lodner (1900-1982) und Rosa Mandelbaum (1909-1983), die am boulevard Joseph II wohnten und die „Grands magasins à la bourse“ betrieben, Ecke Grand-rue/rue du Fossé.5) Der Luxemburger Kaufmann Maurice Levy und der belgische Kaufmann rumänischen Ursprungs Armand Lodner hatten 1923 die Gesellschaft „A la bourse“ gegründet, um den Groß- und Einzelhandel mit allen neuen Stoffartikeln zu betreiben und ein Geschäft Ecke Grand-rue/rue du Fossé eröffnet.6) Maurice Levy war eine wichtige Persönlichkeit innerhalb der jüdischen Gemeinde Luxemburgs und der erste Vorsitzende des jüdischen Hilfskomitees ESRA.7)
Im Rahmen der staatlichen und städtischen Pläne der Verbreiterung der rue du Fossé ließen Levy und Lodner 1934 einen Neubau nach modernistischem Bauhausstil nach Plänen des Architekten Léon Leclerc errichten.8) Mit seinem Pendant auf der gegenüberliegenden Seite der Straße, dem vom Frankfurter Architekten Fritz Nathan und Léon Leclerc für die Geschäftsleute Nathan Hertz und Jenny Grünstein 1932 entworfenen Pelzgeschäft „Fourrures Jenny“ – heute „Fielmann“ – sowie dem 1935er Neubau des Geschäftes „Sternberg“ – heute „House of Villeroy & Boch“ – prägen die „Grands magasins à la bourse“ – heute „Les Ambassadeurs“ – immer noch das Stadtzentrum.9)
Therese Wolff arbeitete ab 1930 für die beiden Hauhalte Levy-Lodner und Lodner-Mandelbaum, die am boulevard Joseph II 8 wohnten. Als das Ehepaar Lodner-Mandelbaum in die rue Belair 20 umzog, war Therese als „Dienstmädchen“ im Haushalt von Maurice Levy am boulevard Joseph II 32 registriert. Über Thereses Leben ist ansonsten fast nichts bekannt. Sie verdiente zwischen 400 und 450 Franken pro Monat bei freier Verpflegung und der Luxemburger Polizei waren keine Beschwerden über sie bekannt. Ihre Arbeitserlaubnis war zeitlich unbegrenzt und ihre Fremdenkarte bekam sie ohne Einwände ausgestellt und erneuert.
Den Arbeitgebern von Therese Wolff, den Familien Levy-Lodner und Lodner-Mandelbaum, gelang am 10. Mai die Flucht nach Frankreich.10) Beide Familien überlebten den Krieg im Exil. Therese Wolff ihrerseits beantragte einen Reisepass, um Luxemburg in Richtung Frankreich verlassen zu können.11) Dieses Vorhaben scheiterte jedoch. Kurz vor ihrer Deportation lebte sie in der rue Jean-Bertels 9 in Luxemburg.
Deportation
Am 16. Oktober 1941 wurde Therese Wolff von Luxemburg über Trier in das Ghetto Litzmannstadt deportiert, zusammen mit insgesamt 513 Menschen aus Luxemburg und der Gegend von Trier.12) Dieser Transport war die erste Deportation aus dem Großherzogtum nach Osten. Im Ghetto Litzmannstadt in der von den deutschen Besatzern umbenannten polnischen Stadt Łódź lebten die Jüd*innen aus Luxemburg mit Tausenden anderen jüdischen Menschen aus dem von NS-Deutschland besetzten Europa auf engstem Raum und unter lebensfeindlichen Umständen. Die Lebensmittelversorgung war mangelhaft, es musste oftmals harte Zwangsarbeit für viele Stunden am Tag geleistet werden. In den überbelegten Wohnungen breiteten sich Krankheiten rasant unter den mangelernährten und erschöpften Menschen aus, sodass viele noch im Ghetto starben.13) Therese Wolff wurde in der Storchengasse 12 in Wohnung 7 untergebracht.14)
Ab Frühjahr 1942 wurden nach und nach die Gefangenen vom Ghetto in Vernichtungslager, wie in das nahe Lager Kulmhof (Chełmno), deportiert und dort ermordet. Im Sommer 1944 wurde das Ghetto aufgelöst, die Überlebenden des Ghettos wurden in Konzentrationslager gebracht. Nur sehr wenige überlebten weitere Zwangsarbeit in den Lagern sowie die „Todesmärsche“ kurz vor Kriegsende.15)
Auch Therese Wolff überlebte die Shoah nicht. Sie starb am 19. April 1942 in Litzmannstadt an den Folgen der Entbehrungen des Lebens im Ghetto, ein halbes Jahr nach ihrer Deportation.16) Ihr Bruder Ferdinand wurde zusammen mit seiner Frau Berta geb. Kahn17) im letzten großen Transport aus dem Rheinland am 27. Juli 1942 von Trier über Koblenz und Köln nach Theresienstadt deportiert: 1.165 Personen, darunter 24 aus Luxemburg.18) Er wurde am 20. Juli 1943 dort ermordet19). Seine Frau wurde weiter nach Auschwitz deportiert und am 15. Mai 1944 ermordet.20)
1) Informationen zur jüdischen Gemeinde Nalbach (mit Diefflen) auf jüdische-gemeinden.de,https://www.xn-jdische-gemeinden-22b.de/index.php/gemeinden/m-o/1375-nalbach-saarland, und zum jüdischen Friedhof Dillingen-Diefflen auf alemannia-judaica.de, https://www.alemannia-judaica.de/dillingen_sls_friedhof.htm (Zugriff: 16. Januar 2023).
2) Archives nationales de Luxembourg (ANLux), Fonds Ministère de la Justice, Police des étrangers J-108-0365992, Antrag zur Erneuerung der Fremdenkarte von Therese Wolff, 18. Oktober 1938.
3) ANLux, J-108-0365992, Anmeldung von Therese Wolff in Luxemburg, 2. August 1930.
4) Stadtarchiv Saarbrücken, Digitales Gedenkbuch, https://gedenkbuch.saarbruecken.de/fr/livre_commemoratif/page_de_d_tail_des_personnes/person-10991 (Zugriff: 21. November 2024).
5) ANLux, J-108-0365992, Anmeldung von Therese Wolff in Luxemburg, 2. August 1930.
6) ANLux, J-108–0465349, Polizeibericht über Armand Lodner, 11. März 1937.
7) Laurent Moyse, Du rejet à l’intégration: histoire des juifs du Luxembourg des origines à nos jours (Luxembourg : Editions Saint-Paul, 2011).
8) Städtisches Allerlei, Luxemburger Wort, 17. Januar 1934.
9) Christian Aschmann, Johanna Grodecky, Robert Philippart, Lëtzebuerg moderne. Liebeserklärung an die Hauptstadt, (Luxembourg: Maison moderne, 2013), 16-17.
10) Henri Koch-Kent, Vu et entendu. Vol. 2: Années d’exil 1940-1946, (Luxembourg, 1986), 31.
11) ANLux, FD-261-28, „Liste der Antragsteller für die Ausfertigung von Reisepässen zwecks Auswanderung“, o. D.
12) ANLux, Fonds divers consistoire israélite I (FD-083)-89, Liste „1. Transport Litzmannstadt, 16.10.1941. An nachstehend Aufgeführte wurden pro Person RM 10.- durch Postanweisung gesandt.“
13) Pascale Eberhard (Hg.), Der Überlebenskampf jüdischer Deportierter aus Luxemburg und der Trierer Region im Getto Litzmannstadt. Briefe Mai 1942, (Saarbrücken: Blattlausverlag, 2012), 52-59; Andrea Löw, Juden im Getto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten, (Göttingen: Wallstein Verlag 2006), 155-191 und 350-392.
14) United States Holocaust Memorial Museum, Holocaust Survivors and Victims Database, https://www.ushmm.org/online/hsv/person_view.php?PersonId=8164893 (Zugriff: 16. Januar 2023).
15) Zur letzten Phase der Shoah 1944/45 siehe: David Cesarini, „Endlösung“. Das Schicksal der Juden 1933 bis 1948, (Berlin: Propyläen Verlag, 2016), 831-908.
16) The Central Database of Shoah Victims’ Names, Yad Vashem, https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=7695588&ind=1 (Zugriff: 16. Januar 2023).
17) The Central Database of Shoah Victims’ Names, Yad Vashem, https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=1454512&ind=1 (Zugriff: 16. Januar 2023).
18) https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_rhl_420727.html (Zugriff: 21. November 2024).
19) Gedenkbuch Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945, https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/en993756 (Zugriff: 16. Januar 2023); United States Holocaust Memorial Museum, Holocaust Survivors and Victims Database, https://www.ushmm.org/online/hsv/person_view.php?PersonId=1464393 (Zugriff: 16. Januar 2023).
20) https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/en1005179 (Zugriff: 20. November 2024).
Info
Das Tageblatt veröffentlicht regelmäßig Biografien des Memorial der Shoah in Luxemburg (memorialshoah.lu), das vom Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) und der „Fondation luxembourgeoise pour la mémoire de la Shoah“ realisiert wird. Es handelt sich um ein digitales, wissenschaftliches und memorielles Projekt, das der Erforschung und Erzählung der Geschichten all jener Mitglieder der luxemburgischen Gesellschaft gewidmet ist, die teils seit Generationen in Luxemburg lebten, teils im Laufe der 1930er-Jahre aus anderen Teilen Europas nach Luxemburg fliehen mussten und während der deutschen Besatzungszeit, die mit dem Einmarsch der Wehrmacht am 10. Mai 1940 begann, Opfer der nationalsozialistischen, rassistisch motivierten Judenverfolgungen wurden. 145 Familienbiografien zu über 600 Personen wurden bereits geschrieben und auf memorialshoah.lu publiziert, u.a. um ihnen wie im Falle Therese Wolffs ein Gesicht zu geben und an ihr Schicksal zu erinnern.
De Maart






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