Festival„The greatest thing since bread came sliced“: Das „Gudde Wëllen“-Open-Air

Festival / „The greatest thing since bread came sliced“: Das „Gudde Wëllen“-Open-Air
La Jungle war das wahnwitzige Highlight am Freitag Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Wenige Tage nach den verkündeten Lockerungen findet das erste richtige Open-Air-Festival auf Kirchberg statt. Das „Gudde Wëllen“-Open-Air zeugt einmal mehr vom Gespür des Teams für ein gutes Line-up – es beschert den Besuchern aber vor allem ein Festivalerlebnis, wie man es sich fast nicht mehr erträumt hätte.

Freitagabend, 21 Uhr. 300 Menschen tanzen auf engstem Raum, während La Jungle sich und das Publikum mit ihrer Mischung aus Mutiny on the Bounty, Russian Circles, Aiming for Enrike und The Prodigy in Trance spielen. Während das belgische Duo sich durch technisch komplexe, aber ungemein mitreißende Jams windet, sieht man nackte Oberkörper, in die Luft gestreckte Arme; eine Menschenmenge wie ein einziger tanzender Leviathan, der sich in Ekstase schwitzt. Besser sollte es nicht mehr werden – und trotzdem war jeder einzelne Moment des Festivals ein Hochgenuss. Als „surreal“ beschreibt Organisator Luka Heindrichs das Erlebnis am Freitag. Am Tag danach habe man sich schon fast wieder an diese Normalität gewöhnt.

Wer dieses erste „Gudde Wëllen“-Festival besuchen will, muss sich an das CovidCheck-Verfahren halten – ergo einen Impfnachweis, einen negativen PCR-Befund oder Antigen-Schnelltest vorlegen. Vor Ort kann man sich dann auch für 15 Euro schnelltesten lassen – und während der 15 Minuten Wartezeit sich mit anderen ungeduldigen Festivalgängern unterhalten oder die Location aus der Ferne begutachten. Wer immer dachte, der Kirchberg wäre mit seinen modernen Hochhäusern ein einziges Banker-Paradies, wird eines Besseren belehrt: Im Amphitheater des „Parc central“ neben der Coque hat das Team um Luka Heindrichs eine Art Miniatur-„Food for Your Senses“ errichtet, das mit seiner liebevollen DIY-Ästhetik trumpft und so eine utopische Enklave inmitten des neoliberalen Epizentrums bildet.

Luka Heindrichs erklärt, er hätte schon länger Lust gehabt, an dieser Stelle ein Festival zu organisieren und präzisiert, das Amphitheater habe zudem den Vorteil, dass man dort, im Gegensatz zur Ecke im Viertel Grund, die das Team in der Vergangenheit bespielte, die Anzahl der Besucher viel leichter kontrollieren könne. Und wer schließlich hereinkommt, wird mit einem kleinen, aber feinen Festival belohnt, bei dem die Lebensphilosophie des „Gudde Wëllen“ bis ins letzte Detail durchdekliniert wird – kein Plastik, sondern Becher und Bierflaschen (weil man den Menschen vertraut und Flaschen-werfende Pöbler einfach nicht zur „Wëllen“-Klientel gehören), ein Essensstand vom „Chiche“, tolle (wenn auch etwas teure) Cocktails und das liebenswürdigste Personal, das man sich vorstellen kann.

15 Minuten Warten für 48 Stunden Festival-Spaß: der Schnelltest vor dem Eingang
15 Minuten Warten für 48 Stunden Festival-Spaß: der Schnelltest vor dem Eingang Foto: Editpress/Joanna Simos

Der erste Riff

Mutiny-on-the-Bounty-Gitarrist Nicolas Przeor meinte noch am vergangenen Mittwoch, er würde sich freuen, den ersten Gitarren-Riff des ersten postpandemischen Festivals zu spielen – und in der Tat eröffnete er mit dem Autumn-Sweater-Konzert eine Festival-Saison, an die noch vor Wochen niemand so recht geglaubt hatte. Nach dem Indie-Rock-Konzert, das streckenweise an Bands wie Dinosaur Jr. erinnerte, legten Great Mountain Fire nach, deren melodischer Indie-Pop das Luxemburger Publikum noch nicht ganz mitreißen konnte: Während des Konzerts saßen die meisten etwas statisch auf den Stufen des Amphitheaters – ganz so, als könne man es nicht richtig fassen, dass man eigentlich wieder zusammen tanzen darf.

Ice In My Eyes sind zurück mit der neuen Single „Chromosome“
Ice In My Eyes sind zurück mit der neuen Single „Chromosome“ Foto: Editpress/Joanna Simos

Der Einladung zum frenetischen Loslassen konnte während des La-Jungle-Konzerts allerdings niemand widerstehen. „Kurz danach habe ich festgestellt, dass nicht wenige Besucher hauptsächlich wegen La Jungle gekommen sind“, so Heindrichs. Das Konzert des belgischen Duos war dann auch das Highlight eines tollen ersten Abends und ging nahtlos in das eklektische DJ-Set von Don Simon über, der die kluge Wahl traf, mit Bloc Party zu eröffnen.

Am Samstagabend teilte man dem Tageblatt mit, dass es keinen positiven Schnelltest gegeben hatte. Weiterhin meint Luka Heindrichs, am Freitag hätte es keinen einzigen Besucher gegeben, den man wegen der eingeschränkten Besucherzahl nach Hause hätte schicken müssen. Kompliziert sei vor allem die Kartenreservierung gewesen – nach Ankündigung des Festivals waren die 300 Tickets innerhalb von einer Stunde ausverkauft. Um jedoch zu vermeiden, dass Besucher sich Freikarten nehmen, ohne hinzugehen (und somit andern die Möglichkeit auf einen Festivalabend verwehren), laufen die Reservierungen zwei Stunden nach Türöffnung ab – Luka Heindrichs stellt jedoch fest, dass in der Praxis eine „First come, first served“-Philosophie vor Ort fairer sei.

Fast könnte man denken, es wäre ein Archivfoto aus vergangenen Jahren – das „Gudde Wëllen“-Open-Air am Samstag war (fast) die Rückkehr zu einer Festivalnormalität, die jedem gefehlt hat
Fast könnte man denken, es wäre ein Archivfoto aus vergangenen Jahren – das „Gudde Wëllen“-Open-Air am Samstag war (fast) die Rückkehr zu einer Festivalnormalität, die jedem gefehlt hat Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Dramaturgie und Struktur

Den Auftakt des zweiten Tages machten Francis of Delirium, Sängerin Jana Bahrich erschien kurz darauf wieder auf der Bühne für ein Duett mit Georges Goerens am Ende des Bartleby-Delicate-Konzerts. Das folkig-elektronische Set passte perfekt zur gelassenen Stimmung, hier merkte man auch deutlich, dass die Kuratoren nicht nur ein glückliches Händchen für gute Musik, sondern auch ein Gespür für Dramaturgie und Struktur haben: Der Festivalabend wurde immer tanzbarer, während des Ice-In-My-Eyes-Konzerts gab es pulsierenden, elektronischen Indie-Rock, bevor sich das angekündigte Unwetter entlud.

Für das abschließende Konzert des luxemburgisch-berlinerischen Trios Say Yes Dog verzogen sich die Regenwolken dann noch mal, der geschliffene Elektropop des Trios mit Hipster-Hemden bestach mit tollen Beats, spannenden Melodiebögen und nervösen Synthies, spätestens beim Überhit „A Friend“ tanzte selbst der lethargischste aller Festivalbesucher. Klar hat man die meisten dieser Bands schon mal (meist im „Wëllen“ oder auf einem Food for Your Senses) live erlebt. Aber das ändert nichts an der Qualität der (umsonst) gebotenen Musik. Und zu sehen, wie schnell die Berührungsängste verschwunden waren, zu erleben, wie sehr die Menschen nach all dieser Zeit den menschlichen, körperlichen Kontakt vermisst haben – das war nicht nur schön, sondern schlicht ergreifend. Luka Heindrichs und das „Gudde Wëllen“ sind nicht abgeneigt, die Festival-Erfahrung zu wiederholen – vielleicht sogar am selben Ort. Mit dieser ersten Auflage haben die Organisatoren auf jeden Fall schon Geschichte geschrieben.

Organisator Luka Heindrichs bezeichnete die Stimmung als „surreal“
Organisator Luka Heindrichs bezeichnete die Stimmung als „surreal“ Foto: Editpress/Joanna Simos

Das Open-Air-Festival läuft noch bis zum Nationalfeiertag. Mehr Infos auf: deguddewellen.lu