InterviewTagesthemen-Ikone Ulrich Wickert über Luxemburgs Monarchie und Pressefreiheit

Interview / Tagesthemen-Ikone Ulrich Wickert über Luxemburgs Monarchie und Pressefreiheit
Der erfahrene Journalist Ulrich Wickert hält Großherzog Henris Brief in der Hand Foto: Editpress/Julien Garroy

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Die deutsche Journalismus-Ikone Ulrich Wickert (77) war diese Woche im Großherzogtum. Das Tageblatt hat die Gelegenheit genutzt, mit „Mr. Tagesthemen“ über Luxemburgs Monarchie und Pressefreiheit zu reden. Ein Interview.

Tageblatt: Großherzog Henri hat vor kurzem seine Frau Maria Teresa in einem Brief verteidigt und die Presse kritisiert. Wäre so etwas in Deutschland oder Frankreich denkbar?

Ulrich Wickert: Ein Monarch verhält sich anders gegenüber der Presse, als das bei Staatsoberhäuptern in Ländern wie Deutschland oder Frankreich der Fall ist. Dort geht es weniger herrschaftlich zu. Präsident Emmanuel Macron hat zu Beginn seiner Amtszeit gesagt: „Ich will nicht jeden Tag mit den Journalisten reden.“ In Frankreich war das nicht immer so.

Warum?

Macron hat sich von seinem Vorgänger François Hollande abgegrenzt: Viele Journalisten hatten die direkte Telefonnummer des Präsidenten. Das gibt es in Deutschland in der Form nicht.

Hier ist Großherzog Henris Brief im Original. Sie haben viel in Ihrer Karriere erlebt: Was halten Sie davon?

Ulrich Wickert schmunzelt, greift zu seiner Lesebrille, nimmt den Brief entgegen und liest ihn in Ruhe. Sein Mienenspiel entfaltet sich.

Na ja … das kann man sich eigentlich nicht vorstellen … Entschuldigen Sie, wenn ich das sage: Das Ganze ist natürlich ein bisschen weinerlich. (Verstellt seine Stimme) „Meine fünf Kinder und meine ganze Familie leidet.“ (Seine Stimme wird noch höher) „Und die Grooooßmutter, die liebevolle Großmutter.“

Der Hofberichterstatter Stéphane Bern hat den Brief verteidigt und Luxemburgs Presse offen kritisiert. Wie würden Sie auf seine Kritik reagieren?

Na ja, wenn ich das Ganze als „weinerlich“ bezeichne, dann ist das eine Beurteilung des Textes. Wenn mich jemand dafür kritisiert, dann ist das sein gutes Recht. Warum nicht.

Sie beschäftigen sich sehr stark mit dem umstrittenen Begriff „Heimat“. Was verstehen Sie darunter?

Heimat ist eine Frage des persönlichen Gefühls, des eigenen persönlichen Gefühls. Gerade Rechtsradikale definieren Heimat über Blut und Boden. Heimat hat, meines Erachtens, aber überhaupt nichts mit Blut und Boden zu tun. Wo fühle ich mich willkommen? Wo verstehe ich die Leute, wo verstehen mich die Leute? Heimat hat mit Erinnerungen, mit Freunden zu tun.

In Luxemburg sorgt das politische Klima aktuell für Spannungen zwischen Monarchisten und Republikanern. Wie passt das in Ihr Heimat-Konzept?

Das politische System kann dazu beitragen, dass ich mich wohl oder unwohl fühle. Wenn ich in Luxemburg die Diskussion habe „Sind wir eine Monarchie oder eine Republik?“, kann diese Auseinandersetzung dazu führen, dass ich mich nicht mit Luxemburg identifiziere. Das Land steht nicht, wofür ich lebe. Ich identifiziere mich mit der Republik.

Oder?

Oder ich finde es wunderbar, eine großherzogliche Familie zu haben, über die dauernd in der Klatschpresse steht, was das für tolle Leute sind und was für eine liebevolle Oma sie haben.

Ist das Ihr Ernst?

Das meine ich wirklich ernst. Es gibt Leute, die können das schön finden. Es gibt auch Leute, die das nicht schön finden. Es ist eine individuelle Entscheidung.

Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Gewalt bei Hofe. Wo zieht man die Grenze des Akzeptablen?

Es gibt Leute, die akzeptieren ganz furchtbare Dinge. Das, was Sie gerade schildern, muss gegebenenfalls zu grundsätzlichen Fragen führen.

Das heißt?

Man muss sich fragen: Hat das etwas mit der Monarchie zu tun? Oder hat das mit dem Charakter der Herrscher zu tun? Es gibt Momente, in denen man klarmachen muss: „So kannst du das nicht machen.“

Wie würde das in Deutschland gehandhabt?

Das ist schwer vergleichbar. Aber nehmen Sie zum Beispiel den Fall des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Er wurde dafür kritisiert, wie er gegen die Presse vorging. Das ging so weit, dass ihm auch Dinge vorgeworfen wurden, die man ihm gar nicht vorwerfen konnte – und für die er auch freigesprochen wurde.

Aber?

Aber es ging auch so weit, dass ein staatsanwaltschaftliches Verfahren gegen ihn eingeleitet wurde. Daraufhin ist er zurückgetreten. So funktioniert das bei uns. Das ist natürlich anders, wenn sie in einer erblichen Monarchie leben.

Inwiefern?

Der Großherzog ist nicht gewählt. Seine Gemahlin ebenso. Er erbt das Amt. Wenn er zurücktritt, erbt sein Nachfahre das Amt. Das ist schon etwas anders als bei uns.

Halten Sie die Monarchie für ein zeitgemäßes System im 21. Jahrhundert?

Ich bin ein Demokrat. Ich halte Monarchien grundsätzlich für etwas, bei dem man sich fragt: „Braucht man das noch?“ Auch wenn ich nach England blicke … Ich brauche das nicht.

Zur Person

Die meisten Luxemburger kennen Ulrich Wickert (77) noch von den Tagesthemen des deutschen TV-Senders ARD. Der Anchorman und Diplomatensohn wurde 1942 in Tokio geboren und gehört zu Deutschlands bekanntesten Journalisten. Er machte sich einen Namen mit kritischen Beiträgen beim TV-Magazin Monitor. Danach arbeitete er 14 Jahre als ARD-Auslandskorrespondent in Washington, New York und Paris. Wickert kennt sich bestens auf dem internationalen Parkett aus. Klassische Wickert-Anekdoten sind unter anderem, wie er sich einst mit Helmut Schmidt auf Jamaika Kokosnüsse zuwarf, sich mit Schriftsteller Günter Grass in Peking betrank und wie Gerhard Schröder ihn zum gemeinsamen Abendessen mit Bill Clinton einlud. Wickert war 15 Jahre das Gesicht und die Stimme der Tagesthemen. Er ist wegen seines ironischen Stils in ganz Deutschland und darüber hinaus bekannt. Wickert lebt derzeit in Hamburg und Südfrankreich, ist Käseliebhaber und Autor zahlreicher Sachbücher sowie Kriminalromane. Durch seine kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und ihren Werten hat er stets für viel Diskussionsstoff gesorgt und die Wertedebatte in Deutschland immer wieder aufs Neue angestoßen und am Leben erhalten. Er ist in dritter Ehe verheiratet und hat drei Kinder. Wickert war am Dienstag auf Einladung des Institut Pierre Werner (IPW) in Luxemburg und redete bei einer Konferenz über Deutschland, Frankreich und Europa.

Bistrot
13. Februar 2020 - 21.36

Als Ankermann der Tagesthemen ist Wickert wohl berechtigt, seine Meinung zu haben, die Art der Fragestellung ist aber wohl etwas Richtungsweisend. Wir leben gut von der Monarchie und dass so ein Grossherzog oder Erbgrossherzog in der Welt mehr Eindruck macht als der President des kleinen Luxemburgs ist wohl klar.

Realist
13. Februar 2020 - 7.52

Wickert kann zwar stundenlang über die ideale Trinktemperatur seines Lieblings-Bordeaux parlieren, ist als Journalist m.E. aber eher minder begabt. Und seit seinem legendären Patzer kurz nach dem 11. September, als er Bush und Bin Laden mal eben die "gleichen Denkstrukturen" andichtete, ist er in Deutschland als ernstzunehmender politischer Kommentator quasi verbrannt. Aber wie so oft: Wer im Ausland nichts mehr gilt kommt nach Luxemburg, um hier ungefragt seinen Senf abzuladen.

Dhiraj Sabharwal
9. Februar 2020 - 12.52

@Léini: Bonjour, merci fir Ären kriteschen an interessanten Kommentar. Ginn gären op den Hannergrond vum Artikel an. Eigentlech war et guer net kloer, wat den Här Wickert soen géif. Säin lescht Buch dréit den Titel "Identifiziert euch!: Warum wir ein neues Heimatgefühl brauchen". Dat ass net grad déi klassesch, lénk Positioun;) Dowéinst hunn ech et spannend fonnt, de Bléck vun baussen ze hunn an dëst vun engem Journalist, den wuel privat éischter biergerlech tickt an dowéinst en differenzéierten Bléck op dat Thema huet. En seet jo am Interview, dass zu Lëtzebuerg béid Positiounen legitim sinn. Halen dat fir eng realistesch Aschätzung, wann ech den Debat vun de leschten Wochen verfollegen. An et war och e Grad Spontaneitéit dobäi: Den Herr Wickert war am Land, ech wollt eisen Lieser seng Vue zur Lëtzebuerger Aktualitéit ginn - an net Reclame fir säin Buch maachen, wéinst dem en hei war. Merci fir Ären Feedback Dhiraj Sabharwal

Léini
9. Februar 2020 - 11.19

Den Här Wickert identifizéiert sech, sengen eegene Wierder no, mat der Republik. Ech hunn den Här Wickert ëmmer als gudden "Tagesthemen"-Moderator empfonnt a wann dat seng eegen Astellung/Meenung ass als Privatmann, respektéieren ech déi. Ech kéint mir virstellen datt et da jo vu vireran zimlech kloer war wat hie géing soen, oder? Perséinlech stellen ech mir awer dann d'Fro zu wat dësen Interview gutt war, "Tagesthemen-Legende/ehemaliger Mister Tagesthemen" hin oder hier, ausser Waasser op d'Millen.......... an der Erkenntnis datt den Här Wickert, sech hei a Lëtzebuerg net méi wuel géing fillen/sech net méi identifizéiere kéint mat Lëtzebuerg, wann et eng Monarchie bleift. Wat soll ech dozou soen, da wier et eben esou. D'Liewe geet dofir awer weider.

Luciliburhuc
9. Februar 2020 - 9.09

600000 EUR für Post und Telekom ! Sagt das nicht genug aus? Schmarotzertum! Auch wenn viele das nicht wahrhaben wollen. Ein zweiter Waringo Bericht soll in einem Jahr aufzeigen, das im Hof ordentlich gekehrt wurde. Grand Duc und Gemahlin müssen unverzüglich runter von ihrem hohen Ross!

J.C.Kemp
8. Februar 2020 - 16.59

Gute Nachrichtensprecher verfassen ihre Texte grundsätzlich selbst, wie es auch Zeitungsjournalisten tun. Sie übernehmen nicht einfach Agenturmeldungen eins zu eins.

Léini
8. Februar 2020 - 16.45

@ tarzan : genee.

tarzan
8. Februar 2020 - 12.59

nun mal langsam. der herr war auch nur Nachrichtensprecher der einen vorgefassten text vorgelesen hat. er kann ja seine Meinung haben, die aber auch nicht mehr wert ist als meine oder sonstwem seine.

de Prolet
7. Februar 2020 - 19.02

Ulrich Wickert, einer der besten deutschen TV Journalisten, hat recht. Er sieht das Ganze aus einer anderen Perspektive, mit Abstand , rational und nicht emotional. Der Grossherzog kann zwar zurücktreten, aber damit ist das Problem nicht gelöst, denn sein Sohn wird an seine Stelle treten. Dessen Ehefrau scheint allerdings wesentlich diskreter und rücksichtsvoller zu sein als ihre temperamentvolle Schwiegermutter.

Claudio Mariotto
7. Februar 2020 - 17.48

Richtig so! Es ist ein Überrest vom mittelalterlichen Feudalismus! Öffentlich hat der Groß Graf Heinrich einen Brief verfasst, in Wirklichkeit hat ihn seine Frau geschrieben und Groß Graf unterschrieben. (Information im Tageblatt geschrieben und keiner wagt es zu kommentieren!) Der Groß Graf ist nicht Herr der Lage. Auch wenn nach der Verfassungsreform der Ehegatte keine Rechte mehr hat, wer gibt uns die Garantie, dass der Ehepartner sich NIE in die Geschäfte einmischt oder sie beeinflusst. Wenn ein normaler Staats- oder Privatbeamter das getan hätte, was sich das Adel Ehepaar erlaubt hat, diesen Fehltritt wie es in der Sendung „Kloertext“ gesagt worden ist, müsste er die Koffer packen. In diesem Fall bleibt der feudale Herr im Amt und wird noch verteidigt. Keiner bis auf die kleine Ausnahme hat den Mut zu sagen: „Weg mit diesem Überrest alter Zeiten.“ Dass sich die Politik mehrheitlich hinter den Adel stellt ist reine HEUCHELEI! Ein richtiger Liberaler hat doch kein Bock auf Adel, ebenso ein reiner Sozialist. Beide Gruppen haben in manche Länder den Adel zum Abdanken gezwungen. In Bezug auf den Waringo-Bericht muss gesagt werden, dass niemand diesen Bericht hinterfragt hat. Niemand stellt die Frage: 1.) Was war sein genauer Auftrag. 2.) Weshalb hat er Vorschläge zur Änderung oder zur Lösung gemacht? 3.) Weshalb hat er andere Herrscherhäuser untersucht? Man könnte noch andere Fragen stellen! Ich gehe davon aus, dass fast niemand mehr arbeitet als er angestellt wird zu tun. So funktioniert es beim Staat. Wenn Waringo dieses und jenes geschrieben hat, dann gehe ich davon aus, dass er den Auftrag dazu erhalten hat. Es fehlt mir oder uns nur der Beweis. In Bezug auf die Sendung Kloertext sage ich. Der gute alte Bauer aus dem Ösling sagte: „Wer behauptet: Ich meine …, weiß nichts!“ Das heißt die Sendung war für die Katze. In der Bibel lese ich den Satz den Jesus Christus gelernt hat: „Es sind blinde Leiter. Wenn ein Blinder einen Blinden leitet, fallen beide früher oder später in eine Grube.“

Tossen
7. Februar 2020 - 11.57

"Ich bin ein Demokrat. Ich halte Monarchien grundsätzlich für etwas, bei dem man sich fragt: „Braucht man das noch?“ Auch wenn ich nach England blicke … Ich brauche das nicht." Dem ist nichts hinzuzufügen.