LeserbriefTabu hin, Tabu her!

Leserbrief / Tabu hin, Tabu her!
Erster Transport von zwangsrekrutierten Luxemburgern, 18.10.1942  Foto: Service de la Mémoire de la Deuxième Guerre Mondiale

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In der Tageblatt-Ausgabe vom 9. März hat sich der frühere Politiker, professionelle Buchprüfer und Buchautor Jean Hamilius erlaubt, wie er selbst scherzhaft vermerkte, „trotz hohen Alters zum Griffel zu greifen“. Anlass dazu war die für ihn bedauerliche Täterdebatte um die 14 bedauernswerte zwangsrekrutierte Luxemburger Wehrmachtsoldaten des Reserve-Polizei-Bataillons 101. Beschrieben in einem „T“-Artikel vom 6. März der Historiker L. Hoffmann und J. Courtoy.

Zuerst ist J.H. nicht damit einverstanden, dass diese Thematik ein großes Tabu in unserer Gesellschaft gewesen wäre. Das kann ich nicht direkt verneinen oder bejahen. Frage mich allerdings, warum es möglich war, dass diesen Kriegsverbrechern dann – wider besseres Wissen also – der Titel „mort pour la patrie“ zuerkannt wurde und den Überlebenden die Kriegsjahre doppelt bei deren Pensionsberechnung anerkannt wurden. Und wieso beides eine nicht-tabuisierende Gesellschaft – inklusive Minister Hamilius – nie infrage stellte.

Sodann kommen dann bei dem von mir geschätzten Leserbriefschreiber die mir nur allzu gut bekannten Fragen, Vorwürfe, Unterstellungen angeflogen, die wie eine Mantra seit 50 Jahren von gewissen Kreisen unentwegt vorgebracht werden: Man muss sich in die Zeit versetzen, man weiß nicht, wie man selbst gehandelt hätte. Hatten diese, unsere „Jongen“ die Wahl? Unter welchem Druck standen sie? Wo sind die Beweise? … Darauf erfolgt postwendend die vorgefertigte Standardantwort, der man keineswegs widersprechen darf: Somit steht es uns nicht zu, Historiker hin oder her, eine Meinung darüber zu haben und schon gar nicht zu urteilen oder gar zu richten.

Abgesehen davon, dass man mit diesem bewährten rhetorischen Frage-und-Antwort-Spiel quasi jeden Verbrecher ad initio diskulpieren könnte, läuft dieses Spielchen exklusiv darauf hinaus, die Aufarbeitung der Luxemburger Geschichte im und sogar nach dem 2. Weltkrieg zu verhindern und unsere hehren Mythen, Geschichtsverdrehungen und Helden-Legenden unbedingt unangetastet zu lassen. Was nicht sein durfte, war nun mal nicht.

Woher kommt nur diese Wut? Weshalb dieser dickköpfige Unwille, der nicht einmal davor zurückschreckt, systematisch seriöse, wissenschaftliche oder journalistische Arbeiten immer wieder anzufechten? Frei nach dem Motto: Richten verboten und Forschen gilt auch nicht!

Nein, Herr Hamilius, man braucht Ihre aufgebrühte Fragen nicht zu beantworten, um im Jahr 2021 ein Mitglied des RPB 101 einen Kriegsverbrecher nennen zu dürfen. Dies erlaube ich mir, mit oder ohne Ihrer oder anderer Zustimmung. Ganz einfach, da:

1) keiner der 6 Millionen Opfer der Shoah als Zeuge seiner eigenen Ermordung aussagen konnte;

2) es, in der heute allgemeinen gültigen Rechtsprechung genügt, zum Beispiel in Auschwitz als Aufseher gearbeitet zu haben, um als Mittäter des Völkermords zu gelten. Das darf somit ganz legitim auf die 14 Luxemburger des RPB übertragen werden. Ein direkter Beweis, ob dieser oder jener direkt gemordet hat, ist somit nicht mehr nötig. Verschiedene Nachforschungen kommen zudem zu der schlüssigen Feststellung, dass jeder Luxemburger des RPB 101 aufgrund der internen Rotation zwingend auch an den direkten Mordaktionen beteiligt war.

3) mittlerweile Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgrund internationaler Gesetze nicht mehr verjährbar sind. Nicht einmal in Luxemburg. Tabu hin, Tabu her.

Noch ein Wort, das nichts mit Herrn Hamilius zu tun hat: Persönlich werde ich regelmäßig, wegen meiner Positionen in diesem Zusammenhang, seit Jahren aufs Schlimmste diffamiert. Ich würde mich „als Riichter“ aufführen, provokant, der die Ehre der Zwangsrekrutierung und des Widerstands (?) des ganzen Luxemburger Volkes besudelt. Und vor Kurzem hat eine gewisse Organisation, die ich, wie versehentlich in einem Revue-Interview geschehen, mich niemals mehr erdreisten würde, „rechtslastig“ zu „ver“nennen, mir wieder einmal mit einer „plainte pénale pour incitation à la haine“ gedroht. Genau wie man schon 1996 und 1998 versuchte, die frechen h… Juden Klestadt und Cerf einzuschüchtern und mundtot zu machen. Vielleicht sollten sie es diesmal dann mit der Klage wirklich wagen! Nur Mut!

Mit freundlichen Grüßen an diese und jene!

Henri Juda
14. März 2021 - 21.27

Lieber Schéifermisch . Wo habe ich das behauptet ? Allein Ihre Frage ist schon wieder so eine dieser miesen Unterstellungen . Ich habe genauso wenig behauptet dass alle Schéifermischien ihre Schafe gegatten würden ..

de Schéifermisch
14. März 2021 - 18.29

@Henri Juda. Sie werden doch nicht allen Ernstes behaupten wollen, dass alle Luxemburger Zwangsrekrutierten Handlanger der Nazis waren?

Gerd KLESTADT
14. März 2021 - 16.34

Encore une fois un GRANDE MERCI pour ton article BRAVO.

DanV
13. März 2021 - 17.53

@ Blücher / 13.3.2021 - 15:11 Elo geet et awer duer! Wer spricht denn hier von DEUTSCHEN Eingezogenen? Wir reden hier von luxemburgischen. Und hier geht es auch nicht um DEUTSCHE Aufarbeitung, sondern um die luxemburgische. Entweder Sie betreiben hier Whataboutism oder Sie haben eine ganze Menge Stichworte in diesem Artikel verpasst.

Blücher
13. März 2021 - 15.11

@DanV: Nicht gezwungen, das Deutsche Volk, die Wähler , die Gefolgschaft im Volk haben der NSDAP die Steigbügel gehalten und das Desaster ermöglicht.Glauben Sie wirklich die Hurra Schreie , das Lächeln auf den Gesichter der Bürger beim Einmarsch ins Sudetenland, die Heimkehr der Österreicher ins Reich , .....die Hingabe zu den Parteiaufmärschen, den Fackelzügen,....wäre gespielt gewesen. Ohne das deutsche Volk wäre die Nazidiktatur nicht möglich gewesen.Hören Sie bitte auf von Zwang zu sprechen und mit Rücksicht auf Eltern, Familie , das eigene Leben zu plädieren.Etliche Menschen im Widerstand , die die desertiert, übergelaufen sind , ihrem Gewissen gefolgt ,haben uns etwas Besseres gelehrt. Hören Sie bitte auch auf von Sie wussten es nicht und Aufklärung zu sprechen . Schon in den 30 ziger Jahren war die Existenz der KZ Lager bekannt, seit der Pogromnacht war bekannt welches Schicksal die Juden ereilen würde, auch die Deportationen waren kein Geheimnis, die Taktik verbrannter Erde und die Erschiessungen in den besetzten Gebieten ist keinem Soldaten entgangen.Weder in Deutschland noch in Luxemburg konnte keiner sagen , das habe ich nicht gewusst. Effektiv gewusst haben viele Menschen nicht , die Vorstellungskraft überstieg , was die Maschinerie der KZ’s an menschlicherer Gewalt hervorgebrachte. Legen wir die Fakten auf den Tisch und hören auf die Wahrheit zu verdrängen.Die Mehrheit waren keine Helden, die Nachfahren noch weniger , denn sie haben die Geschichtsverfälschung möglich gemacht.

DanV
13. März 2021 - 14.05

¨"Woher kommt nur diese Wut? Weshalb dieser dickköpfige Unwille" Die Wut verstehe ich auch nicht, aber den Unwillen, der heutzutage bestimmt nicht der Aufarbeitung gilt, sondern der Pauschalisierung der Luxemburger als Täter. Es ist nun mal eine Tatsache, dass das Land in eine Diktatur gezwungen wurde und die meisten Zwangsrekrutierten Jugendliche waren, die von einer gewalttätigen Staatsmacht entführt worden waren. Stellen Sie sich vor, eine aggressive zehnköpfige Räuberbande überfällt Ihr Haus, besetzt es und zwingt Ihren Sohn und Ihre Tochter - beide Jugendliche - mit einem Teil der Bande auf mörderische Raubzüge zu gehen, indem man Sie, die Eltern, als Geiseln behält und androht, Sie zu töten. Ihren Kindern kann man eine Waffe in die Hand geben, denn sie werden nicht auf die Räuber schießen, weil sonst ihre Eltern ermordet würden. Das Ganze ist ein Dilemma, denn jedwede Pauschalisierung ist nicht gerechtfertigt, Aufklärung jedoch sehr nötig. Als Luxemburger der Nachkriegszeit wäre ich sehr dankbar, wenn es hier Gerichtsprozesse im Sinne der Nürnberger Prozesse gegeben hätte. Hier wurden jedoch in den letzten 75 Jahren Geschichten statt Geschichte geschrieben. Ich bin froh, dass es mittlerweile an der Uni ein Geschichtsinstitut gibt, das diesen Namen auch verdient hat.

Henri Juda
13. März 2021 - 12.09

Liber Schäfermisch . Sollten Sie mich mit dem letzten Satz gemeint haben , so bitte ich Sie meinen Leserbriew genauer zu lesen und sich selbst zu fragen , ob Sie nicht mit dem letzten Satz über mich deb Stab brechen ... Nun wie dem auch sei . Es geht 80 Jahre danach doch wirklich nicht mehr um die Einzelnen , sondern um Verhaltensmuster Einzeler und ganzer Gesellschaftsgruppen . Unter Zwang ? unter druck ? ja sicherlich . Kann dies aber als ewiges Argument genommen werden , um den 2.WK nicht aufzuarbeiten und/oder Irrungen und falsche Dogmen auf eweig anzuerkennen ?

migg49
12. März 2021 - 21.51

Genau,ginn Eech do vollkommen Recht. Wén gött wém d'Recht iwwer Anere Mönschen ze urteelen,.

Henri Juda
12. März 2021 - 21.25

zu Dan V. : ja es gibt immer Unterschiede , aber auch Gemeinsames Im Guten und Bösen . Alles Pauschlisien ist genau so falsch wie Alles zu entschuldigen . Dass man aus Luxemburg zwangsrekrutiert wurde , machte auch keinen automatisch zum besseren Menschen .Im speziischen Fall der Mitglieder des RPB101 und anderen Todesschwadronen ist es historisch bekegt , das Soldaten / Hilfspolizisten ablehen konnten aktiv bei den Judenerschiessungen teilzunehmen . Ein Dutzend taten dies . Ihnen ist nichts passiert , aus dass ihre unkamaradschaftliche Haltung bemängelt wurde . Ihre Namen sind bekannt . Kein Luxemburger war dabei ! Leider !

Henri Juda
12. März 2021 - 21.17

ich danke für die Kommentare . Mein Leserbrief war in erster Linie ein "es ist genug Kommentar " zu den ewigen Versuchen in Richtung Verhinderung der Geschichtsaufarbeitung in Luxemburg . jedes Schicksal ist anders . Und trotzdem : es gibt Verhaltensmuster und rote Linien , die jeder Mensch und auch jede Gesellschaft ziehen muss . und 2021 sollte man in der Lage sein das offen zu thematisieren und der Geschichtsschreibung zu vertrauen .

de Schéifermisch
12. März 2021 - 18.58

In Sachen zweiter Weltkrieg gäbe es noch so Manches aufzuarbeiten. Nicht alle Luxemburger waren Widerstandskämpfer. Und nicht alle Luxemburger waren Helden. Die Nachkriegsgenerationen sollten mit ihrem Urteil zurückhaltend sein und sich glücklich schätzen, diese Zeiten nicht erlebt zu haben. Die von den Nazis in die Wehrmacht zwangsrekrutierten Jungen, waren in der grossen Überzahl unschuldige Opfer. Welche Alternativen hatten sie denn? Verweigerung, Fahnenflucht was für sie KZ oder gar Hinrichtung bedeutet hätte. Man sollte nicht über andere richten. Woher nimmt sich ein Mensch das Recht sich über seine Mitmenschen zu erheben und den Stab über sie zu brechen?

Blücher
12. März 2021 - 17.18

@DanV:Falsch, überliefert ist auch in Ermangelung kampffähiger Soldaten , Kriegsversehrte zum Einsatz kamen, Wehrmachtssoldaten zur SS abkommandiert wurden , wie im letzten Jahr oft HJ Angehörige sogar Minderjährige in SS Uniform gezwungen wurden , Dienst in Lagern wie auch Kampfverbänden der SS leisten mussten. Was die Nachkriegszeit angeht , wurde ein weiteres Verbrechen an den Opfern der Nazidiktatur verübt, die Mehrzahl der Täter wurde nicht für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen. In Zeiten des Kalten Krieges kamen die Mörder , Täter zu Ehren in Wirtschaft,Justiz. Politik,Wissenschaft,.... der Widerstand als Nestbeschmutzer betitelt und den Leute wie F.Bauer wurden Steine seitens der Justiz ,der Politik in den Weg gelegt.Schon heuchlerisch mutet es an , heute man Greise , teilweise der Demenz schon verfallen , oft kleine Mitläufer des Systems ,des Gewissens wegen vor das Gericht zerrt, Gerechtigkeitssinn zeigen will. Dieser Gerechtigkeitssinn versagte in der Nachkriegszeit.Die Geschichte verleugnet,abgetan,verfälscht , den Opfer eine Entschädigung verwehrt oder in langen Verhandlungen zu Entschädigungen , in der Hoffnung die Opfer starben, hinausgezögert.Geschichtsverfälschung.Die die Schuld auf sich geladen, wie jeder der ob als Soldat auch als Zwangsrekrutierter zur Unterstützung der Nazi Diktatur beitrug, zur Verlängerung des Krieges , zu Toten , Verletzten, Zerstörung konnte,trotz der Repressalien , ob Deutscher,Zwangsrekrutierter Nein sagen,sich widersetzten , abtauchen,dem Widerstand anschließen.

DanV
12. März 2021 - 15.01

@ Blücher & @ verviers Es sind alles Einzelschicksale, egal ob Luxemburger oder Deutsche. Und es gibt keine Entschuldigung für das, was getan wurde. Aber wenn man den Überlieferungen und Analysen trauen kann, gab es vorwiegend freiwillige Aufseher. Alle über einen Kamm zu scheren, finde ich nicht in Ordnung. Die heutige Geschichtsschreibung macht damit den gleichen Fehler wie die Geschichtsschreibung der Nachkriegszeit: Nach dem Krieg waren alle unschuldige Engel, heute sind alle böse Teufel.

verviers
12. März 2021 - 13.00

@DanV "Es besteht trotzdem ein Unterschied zwischen einem deutschen Aufseher, der freiwillig in Auschwitz sein Brot verdient hat..." Ja, jeder weiß schließlich, dass für diese Aufseher-Posten nicht von Soldaten der Waffen-SS die ungefragt dahin abkommandiert wurden, die wurden bestimmt alle gefragt vorher wie ihre Wünsche waren.

Blücher
12. März 2021 - 12.56

@DanV: Sie relativieren und ich stelle zur Diskussion: Was ist der Unterschied zwischen einem Deutschen der durch die Machthaber in ein politisches System gezwungen, in einer Ideologie erzogen wurde dem System zu dienen oder einem Zwangsrekrutierten , der wusste welchem Regime er dienen würde , wohl befürchteter Repressalien , alle Nein sagen konnten. Es gab Deutsche , wie auch Zwangsrekrutierte , die trotz der Repressalien ihrem Gewissen folgten ,die Nein gesagt haben. Zur Zeitgeschichte der KZ‘s, eine Anzahl der Bewacher wurden zur Bewachung zwangsabkommandiert , gab es Fälle wo Deutsche nicht freiwillig die SS Uniform anzogen, Wachdienst, Schreibdienst in den Lagern taten. Sie sagten nicht Nein, luden auch Schuld auf sich das System am Laufen zuhalten.

DanV
12. März 2021 - 12.06

Ich bin nicht so ganz damit einverstanden. Es besteht trotzdem ein Unterschied zwischen einem deutschen Aufseher, der freiwillig in Auschwitz sein Brot verdient hat und einem Zwangssoldaten aus einem besetzten Land, der Repressalien wie Sippenhaft und Deportation seiner Familie zu fürchten hat, wenn er nicht tut, was von ihm verlangt wird. Ich bin in den 1960er Jahren in Niederkorn aufgewachsen, nicht weit von der "Hondsbësch"-Kapelle. Die Erinnerungen an die Besetzung waren noch omnipräsent. Als kleines Kind habe ich die Angst der Erwachsenen gespürt, wenn, zwar spärlich, über diese Zeit gesprochen wurde.

Karl Schneider
12. März 2021 - 11.40

Wunderbar zusammengestellt Respekt.

Ma8lues
12. März 2021 - 7.27

Bravo, ganz gudden Kommentar , ginn Ierch 100% Recht.