GemeindepolitikSyvicol: Chancengleichheit sieht anders aus 

Gemeindepolitik / Syvicol: Chancengleichheit sieht anders aus 
Wie steht es um die Zukunft der Digitalisierung in den Grund- und den Spielschulen? Zugang zu digitaler Bildung ist eine Frage der Chancengleichheit. Was müssen die Gemeinden tun, was der Staat? Damit hat sich das Gemeindesyndikat Syvicol, das 102 Gemeinden im Land vertritt, am Montag beschäftigt.  Foto: AFP

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Flickenteppich, im Stich gelassen, keine Strategie: So lassen sich die Aussagen der Gemeindevertreter während der letzten Sitzung des Syvicol-Vorstandes zusammenfassen. Von den acht Punkten der Tagesordnung, die am Montag im großen Sitzungssaal der Stadt verhandelt wurden, war der Punkt „Digitalisierung“ der meist diskutierte.

Es geht um die Digitalisierung der Grund- und Spielschulen. Laut Gesetz sind die Gemeinden für alles, was mit Infrastruktur im Bildungsbereich zu tun hat, zuständig. Praktisch sieht es dann so aus, dass das Lehrpersonal den Bürgermeister aufsucht und um Mittel für Computer oder Tablets fragt.

„Entweder hat die Gemeinde dann ein Budget dafür vorgesehen oder nicht“, verdeutlicht der Ettelbrücker Bürgermeister Jean-Paul Schaaf (CSV) den Alltag im Rathaus. „Dabei stellt sich die Frage, in wessen Verantwortung fallen diese Investitionen?“ Damit verbunden ist die Frage, inwieweit IT im Klassenzimmer zum pädagogischen Material zählt. Die Schulbücher bezahlt der Staat.

„Die Gemeinden werden alleingelassen.“ Diese Meinung vertreten die Verantwortlichen in Petingen, für die CSV-Schöffin Raymonde Conter-Klein am Montag ins städtische Rathaus gekommen war. „Selbst wenn wir iPads plus Computer anschaffen, gibt es dazu nichts im Lehrplan“, sagt sie. Schon vor zwei Jahren hat das Gemeindesyndikat Syvicol beim zuständigen Bildungsministerium deutlich gemacht, dass Fragen wie diese in dessen Zuständigkeitsbereich fallen.

Umfrage beleuchtet kommunale Investitionen in Bildung

Zahlen über die Situation in den Gemeinden, vor allem zur Höhe ihrer Investitionen in den Bildungsbereich, gab es aber bislang nicht. Das hat das Syvicol, das 102 Gemeinden in Luxemburg vertritt, jetzt nachgeholt und eine Umfrage unter den Mitgliedern zum Thema gestartet. 83 haben geantwortet.

Das entspricht 578.279 Einwohnern und 46.350 Grund- und Spielschulschülern. 50.728 Schüler des „Enseignement fondamental“ gibt es insgesamt laut Bildungsministerium zur „Rentrée“ 2020/2021. Zwar sind die Ausgaben der Gemeinden im Bildungsbereich, die an der Umfrage teilgenommen haben, zwischen 2019 und 2021 deutlich gestiegen, aber die Verteilung ist höchst unterschiedlich.

Majorzgemeinden mit bis zu 3.000 Einwohnern geben im Durchschnitt zwischen 100 und knapp 500 Euro pro Schüler aus, große Städte zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern zwischen 80 und 210 Euro. Das hat die Umfrage und die anschließende Auswertung beim Syvicol ergeben. Chancengleichheit sieht anders aus.

Existierende Empfehlungen reichen nicht

Aus der Syvicol-Forderung von 2019, der Staat möge den Einsatz von IT im Klassenzimmer regeln, sind Empfehlungen resultiert. Im selben Jahr veröffentlicht das „Centre des technologies de l’information de l’Etat“ (CTIE) ein 20-seitiges Papier zum Thema. Darin wird ein Computer für fünf Grundschüler, was zwei bis drei Computern pro Klasse entspricht, empfohlen. Optional sind in den Mindestempfehlungen zehn Tablets pro Klasse in der Grundschule vorgesehen.

Von Spielschule ist keine Rede. „Das ist aber nur ein Teil der Lösung“, sagt Syvicol-Präsident Emile Eicher gegenüber dem Tageblatt. „Denn diese Empfehlungen hängen davon ab, wie reich oder arm eine Gemeinde ist“. Damals gab das Ministerium den Gemeinden auch die Aufgabe, darüber nachzudenken, inwieweit sie sich in die Bildung einbringen wollen. Der Auftrag lautete, über ihre Rolle in diesem Bereich nachzudenken.

Das sagt Syvicol Präsident Eicher. Nach Corona lautet seine Logik: „Wir haben keine Zeit mehr dafür, solche Debatten zu führen. Die Schulen, die gut ausgerüstet sind, haben einen Riesenvorteil gegenüber denen, die es nicht sind.“ Das klärt aber Fragen nach dem Material und einem entsprechenden Lehrplan nicht. Außerdem setzen die staatlichen Empfehlungen klar auf einen Hersteller.

Vorbild Estland

Von Parc Hosingen kam dann auch ein deutlicher Fingerzeig. „In der Krise waren Estland, Lettland und Litauen uns haushoch überlegen“, machte Gemeinderat Nico Wagener deutlich. „Wir wollen das Teuerste vom Teuersten anschaffen und sehen Kinder aufwachsen, die nur ein Betriebssystem kennen.“ In der Tat hat beispielsweise Estland bereits im Jahr 2000 begonnen, Digitalisierung zur obersten Priorität zu machen.

Demzufolge war „Homeschooling“ während der Pandemie in dem baltischen Land kein Thema. „Dort werden Open-Source-Lösungen genutzt“, sagt Wagener. Außerdem belegt das Land regelmäßig Spitzenplätze in den PISA-Rankings. Die Haltung des Syvicol-Komitees ist einstimmig: Das Thema soll wieder auf die Tagesordnung, dieses Mal im Ministerium. „Wir werden einen Termin ausmachen, um über alle diese Sachen zu sprechen“, sagte Eicher gegenüber dem Tageblatt. „Chancengleichheit ist fester Bestandteil der Demokratie.“