PandemieSüdosteuropa gerät wegen geringer Impfquoten immer stärker unter Corona-Druck

Pandemie / Südosteuropa gerät wegen geringer Impfquoten immer stärker unter Corona-Druck
Der in Russland entwickelte Corona-Impfstoff Sputnik V kam viel in Serbien zum Einsatz, doch offenbar nicht genug: Das Land hat derzeit eine der höchsten Inzidenzzahlen in Europa. Foto: Pavel Golovkin/AP/dpa

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Übervolle Covid-Kliniken, Sonderschichten auf den Friedhöfen und schwach frequentierte Impfzentren: Der Südosten Europas gerät in der Pandemie immer stärker unter Corona-Druck.

Besorgt lassen Rumäniens Würdenträger angesichts der steil steigenden Infektionszahlen die Alarmglocken schrillen. Von einer „Katastrophe“ spricht Präsident Klaus Johannis. Mit der Situation Italiens im Vorjahr vergleicht Valeriu Gheorghita, der Chef des nationalen Impfstabs, die Lage, die durch die „sehr aggressive Infektionswelle“ kompliziert werde: „Die Kliniken und Notaufnahmen sind völlig überlastet.“

Rumänien sei „die neue Lombardei“, titelt das Webportal „mediafax.ro“. Tatsächlich hat sich die Zahl der Neuinfizierten im Karpatenstaat mit rund 15.000 pro Tag in den letzten drei Wochen verfünffacht. Am Freitag kletterte die tägliche Todeszahl mit 385 auf einen neuen Rekordwert. Freie Betten gibt es in den mit über 1.500 Covid-Patienten belegten Intensivstationen der heimischen Kliniken schon längst nicht mehr: Zur Entlastung des vor dem Kollaps stehenden Gesundheitssystems hat die Regierung vergangene Woche beschlossen, alle „nicht dringend nötigen“ Operationen für 30 Tage auszusetzen.

92 Prozent der Covid-Toten sind Ungeimpfte: Nach Bulgarien weist Rumänien mit 31 Prozent der Bevölkerung die niedrigste Impfquote in der EU auf. Der geringe Immunisierungsgrad und die große Impfskepsis machen auch anderen Balkanstaaten zu schaffen: Die Region der überzeugten Impfmuffel gerät in der vierten Infektionswelle immer stärker unter Corona-Druck.

Die höchste Sieben-Tage-Inzidenz Europas weist schon seit Ende September mit zuletzt 665,1 (Stand: 8.Oktober) der einstige Impfvorreiter Serbien auf. Der Anteil der positiv Getesteten bewegt sich schon seit Wochen um 30 Prozent. Die offizielle Zahl der Corona-Toten ist auf über 50 pro Tag geklettert. Ähnlich wie im letzten Winter werden die Toten auf den Belgrader Friedhöfen mittlerweile wieder in sonntäglichen Sonderschichten begraben.

Lag die Sterbequote der an die Beatmungsgeräte angeschlossenen Patienten vor Jahresfrist in den serbischen Kliniken noch bei 70 Prozent, ist diese wegen der hochaggressiven Delta-Variante auf über 90 Prozent gestiegen. In einem Zimmer in der Covid-Klinik im Belgrader Vorort Batajnica hätten kürzlich fünf junge, ungeimpfte Patienten im Alter zwischen 21 und 26 Jahren gelegen, berichtet die Direktorin Tanja Adzic Vukicevic dem Webportal „Nova“: „Sie sahen, wie einer nach dem anderen in Plastiksäcken verstaut wurde: Alle sind gestorben.“

Tatenlose Politiker

Mit verschärften Präventivmaßnahmen in der Gastronomie, der Einführung einer Covid-App und der angekündigten Bestellung von 70 Millionen Speicheltests für die Schulen versucht Rumänien, die aus dem Ruder zu geraten drohende Lage in den Griff zu bekommen. Auffällig tatenlos reagiert hingegen Serbien auf die steigenden Todeszahlen. Nicht nur die starke Gastronomie-Lobby, sondern auch wahltaktische Erwägungen sind es, die Belgrad fast völlig auf Präventivmaßnahmen verzichten lässt: Auch die Stimmen der Impfgegner werden von der regierenden SNS im kommenden Wahljahr benötigt.

Zwar wurde vergangene Woche nach fast einem Monat endlich wieder eine Sitzung von Serbiens Krisenstab anberaumt. Doch mit ihrer Forderung nach einem zehntägigen Versammlungsverbot und der Schließung aller Gastronomiebetriebe um 17.00 Uhr konnten sich die Epidemiologen des Gremiums gegenüber der Politik nicht durchsetzen. Impfungen seien „die einzige Antwort auf die Pandemie“, so Regierungschefin Ana Brnabic.

Statt einer Verkürzung kündigte die Stadt Belgrad am Wochenende gar die zeitweilige Verlängerung der Öffnungszeiten von Restaurants und Einzelhandel bis Mitternacht an. Der stellvertretende Bürgermeister Goran Vesic (SNS) begründete die Entscheidung mit der großen Zahl ausländischer Besucher, die zu den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Gründung der Bewegung der blockfreien Staaten erwartet würden: „Wie 1961 wird Belgrad für seine Gäste ein guter Gastgeber sein.“ Von „russisch Roulette“ in der Pandemie spricht hingegen die Zeitung Danas: „Die Bürger werden sich selbst überlassen.“