StudieWelche Faktoren beeinflussen die schulischen Leistungen von autistischen Kindern?

Studie / Welche Faktoren beeinflussen die schulischen Leistungen von autistischen Kindern?
Wie problemlos die schulische Laufbahn verläuft, hängt von mehreren Faktoren ab Symbolfoto: dpa/Jens Büttner

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In einer aktuellen Studie beschäftigen sich Forscherinnen der Universität Luxemburg mit den Schwierigkeiten, die autistische Kinder in der Schule haben können, und der Frage, wie man die betroffenen Schüler besser unterstützen kann. Spezifisch geht es darum, herauszufinden, ob die Schulergebnisse von sprachlichen, emotionalen und sozialen Fähigkeiten beeinflusst werden. Für die Studie werden noch Kinder mit der Diagnose Autismus, die an einer Grundschule in Luxemburg eingeschrieben sind, gesucht.

Autismus ist ein breites Spektrum. Das betont Maïte Franco, Doktorandin an der Universität Luxemburg, im Gespräch mit dem Tageblatt. Bei der Frage, wie man Autismus am besten definieren könnte, verwendet die Forscherin den Begriff „Neurodiversität“. Laut den diagnostischen Handbüchern DSM-V und ICD-10 zeichnen sich autistische Personen unter anderem durch Auffälligkeiten bei der sprachlichen und nonverbalen Kommunikation, spezifische Interessen, sensorische Hyper- oder Hypo-Sensibilität aus. Dies sind jedoch nur einige Faktoren, die bei den Betroffenen unterschiedlich ausgeprägt sein können, sagt Franco.

Die schulische Leistung von Kindern wird von vielen Faktoren beeinflusst. Dies wurde bereits weitgehend bei neurotypischen Kindern, also Kindern ohne Neurodivergenz wie beispielsweise Autismus oder Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHD), erforscht. Gut untersucht sind gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren. Geld ist ein Vorteil: Wohlhabende Eltern können ihren Kindern zum Beispiel Nachhilfestunden und Eins-zu-eins-Betreuung mit privaten Lehrern bezahlen oder ihnen zusätzliches Lernmaterial kaufen. Eltern mit weniger Ressourcen können diese Unterstützung nicht immer anbieten.

Auch sozio-emotionale und (mehr-)sprachliche Aspekte können eine Rolle im Hinblick auf schulischen Erfolg spielen. Hier setzt die Studie an. Die Forscherinnen vermuten, dass diese Faktoren bei autistischen Kindern eine noch größere Rolle spielen könnten.

Autismus bei Mädchen ist nach wie vor wenig erforscht
Autismus bei Mädchen ist nach wie vor wenig erforscht Symbolfoto: dpa/Christian Charisius

Was bedeutet das? Franco gibt ein Beispiel: Ein Junge wird während der Pause von einem Mädchen gehänselt, das er aber gar nicht kennt. Neurotypische Kinder können grundsätzlich relativ schnell mit solch einer unangenehmen Erfahrung abschließen. Sie können sich klarmachen, dass der eigene Freundeskreis nicht so denkt oder die Sticheleien womöglich nicht ernst gemeint waren und konzentrieren sich anschließend auf den Unterricht oder die anstehende Prüfung.

Einem autistischen Kind könnte dieser Prozess schwererfallen, weil es gegebenenfalls Schwierigkeiten damit hat, die Hänselei richtig einzuordnen und zu bewerten. Eventuell kann es die dabei hervorgerufenen Emotionen nicht richtig regulieren. Die Stichelei im Pausenhof könnte es den ganzen Tag über beschäftigen, wodurch seine schulische Leistung negativ beeinflusst wird. Franco spricht in diesem Zusammenhang von Alexithymie, der Schwierigkeit, Gefühle zu identifizieren und zu beschreiben, die rund die Hälfte autistischer Menschen betrifft.

Der oben genannte Fall ist nur ein Beispiel. Eine solche Verhaltensweise treffe sicherlich nicht auf jedes autistische beziehungsweise jedes neurotypische Kind zu, unterstreicht Franco. Es zeige jedoch, inwiefern sozio-emotionale Faktoren eine Rolle spielen können.

Tests auch während der Schulzeiten möglich

Für die Studie werden noch Teilnehmer gesucht. Die Bedingungen: Das Kind muss eine offizielle Autismus-Diagnose erhalten haben und im regulären Luxemburger Grundschulsystem eingeschrieben sein. Die Teilnahme dauert ungefähr zwei Stunden – zwischendurch werden Pausen eingelegt – und ist sowohl auf Belval als auch auf Kirchberg möglich. Das Kind soll in Begleitung eines Elternteils erscheinen, der ebenfalls befragt wird. Mit Erlaubnis der Eltern soll auch die Klassenlehrerin oder der Klassenlehrer einen sehr kurzen Fragebogen (rund 15 Minuten Bearbeitungszeit) ausfüllen. Als Dank erhalten die Teilnehmer und Eltern einen Einkaufsgutschein im Wert von 50 Euro.

Probanden zu finden, sei nicht ganz einfach, berichtet Maïte Franco. Dies liegt vor allem daran, dass der Bevölkerungsanteil, der an der Studie teilnehmen kann, nicht sehr groß ist. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Diagnose Autismus sehr aufwendig ist und viele Psychologen und Psychiater in Luxemburg nicht in diesem Bereich ausgebildet sind. Franco erwähnt auch, dass Autismus bei Mädchen anders als bei Jungen zum Vorschein treten kann. Dies hängt unter anderem mit sozialen Erwartungen, aber auch mit der Fähigkeit des „Masking“, also des Unterdrückens und Verbergens autistischer Merkmale, zusammen. Nach wie vor erhalten viel mehr Jungen und Männer die Diagnose.

Das Projekt wird vom Bildungsministerium unterstützt, wodurch es möglich ist, die Tests während der Schulzeiten durchzuführen. An der Studie teilnehmen kann jedes Kind, das eine luxemburgisch-, französisch- oder englischsprachige Grundschule in Luxemburg besucht. „Voraussetzung ist, dass es dem regulären Curriculum weitgehend folgt“, erklärt Franco. Auch Kinder mit einem angepassten Lehrplan können an der Studie teilnehmen. Aufgrund des Forschungsschwerpunktes können autistische Kinder mit einer Intelligenzminderung nicht in die Studie eingebunden werden, da deren Curriculum normalerweise stärker vom regulären abweicht.

Autismus-Forschung in Luxemburg

„Autistische Person“ oder „Person mit Autismus“?

Wenn man über Menschen mit einer Diagnose spricht, kann man entweder die Person oder die Identität in den Fokus stellen. Sollte man in diesem Fall also eher von einer Person mit Autismus oder von einer autistischen Person sprechen? Dies hänge vom jeweiligen Gegenüber ab, sagt Maïte Franco. Die meisten Menschen mit der Diagnose Autismus würden es vorziehen, mit dem Begriff „autistische Person“ beschrieben zu werden. Andere wiederum würden den Personenfokus als weniger diskriminierend empfinden, da die Person zuerst als Mensch angesprochen wird. Allerdings steht die Diagnose dann abseits von der Person, als gehöre sie nicht zu deren Identität und sei eventuell „entfernbar“, was bei Autismus nicht der Fall ist. Aus diesem Grund ziehen die meisten Menschen mit der Diagnose Autismus den Begriff „autistische Person“ statt „Person mit Autismus“ vor. Am besten ist es jedoch, die Präferenz des Gegenübers zu fragen, wenn man sich nicht sicher ist.

Die Forschung zum Thema Autismus schreitet voran. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist es zu zahlreichen Veränderungen gekommen. Wurde früher zwischen verschiedenen Begriffen wie Asperger-Syndrom oder atypischem Autismus unterschieden, spricht man laut aktuellen Diagnosekriterien von einer allgemeinen Autismus-Spektrum-Störung. „Die Diagnose Asperger gibt es nicht mehr“, sagt Franco. „Wir haben jedoch Studienteilnehmer, die früher auf diese Weise diagnostiziert wurden, was wir dann auch notieren.“

Sie ist Teil eines Forschungsteams an der Universität Luxemburg, das sich mit dem Spektrum befasst und seit 2012 besteht. Das beschriebene Projekt wird vom „Fonds national de la Recherche“ finanziert (13651499), von Dr. Andreia Costa geleitet und unter anderem von den Vereinigungen Fondation Autisme Luxembourg (FAL), Centre pour enfants et jeunes présentant un trouble du spectre de l’autisme (CTSA), Zesummen fir Inklusioun (ZEFI) und 3AL Autism Awareness Association Luxembourg unterstützt.

Franco hofft, dass im Anschluss an die Ergebnisse Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden können. Sollte sich zum Beispiel herausstellen, dass der erwähnten Alexithymie eine wichtige Bedeutung zukommt, würden sie sich dafür einsetzen, dass Kurse angeboten werden, in denen das Erkennen von Gefühlen eingeübt wird. Solche Kurse existieren bereits in anderen Ländern. Ziel des Projektes ist es, herauszufinden, wie die schulische Erfahrung von autistischen Kindern verbessert werden kann.

Kontakt

E-Mail: autisme@uni.lu
Tel.: +352 46 66 44 97 33