Studie aus Luxemburg zeigt: Ist der Darm im Dauerstress, leidet auch die Psyche

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Wenn die Kommunikation zwischen Kopf und Körpermitte gestört ist, gibt es Stress. Wer an einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung leidet, braucht ein starkes Nervenkostüm. Manchmal hält es den Leidensdruck nicht aus und reißt. Forscher der Uni Luxemburg untersuchen jetzt, wie die Signalübertragung zwischen Darm und Gehirn funktioniert und warum manchmal bei Morbus Crohn und Co. auch eine psychische Störung entsteht. 

Verdauung und Psyche haben auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Der Psychobiologie ist es zu verdanken, dass wir heute einen Zusammenhang zwischen Kopf und Körpermitte, zwischen Darmgesundheit und Depressionen, erkennen können. Magen-Darm-Beschwerden gehören zu den häufigsten Symptomen, mit denen Menschen zum Arzt gehen. Nur bei ganz wenigen Patienten entwickeln sich daraus sogenannte „chronischentzündliche Darmerkrankungen“ (CED). Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa sind die beiden häufigsten.

In Luxemburg erkranken schätzungsweise 0,3 bis 0,5 Prozent der Bevölkerung, nach derzeitigem Bevölkerungsstand rund 2.000 Menschen, zeit ihres Lebens an Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa, erklärt der Psychologe und Experte für die Wechselbeziehungen zwischen Körper und Psyche Dr. André Schulz von der Universität Luxemburg.

„CED werden zur Gruppe der autoimmunen Erkrankungen gezählt. Das ist aber nur die halbe Wahrheit“, sagt er und erklärt: „Wir wissen, dass das Immunsystem den eigenen Darm angreift. Einschlägige Studien haben gezeigt, dass es sich bei diesem Angriff eher um eine Immunschwäche handelt.“ Denn bestimmte Mikroorganismen werden von der Körperabwehr nicht daran gehindert, die Darmschleimhaut zu durchqueren. „Deshalb greift sie das Immunsystem richtigerweise an, aber am falschen Ort – in der Darmschleimhaut, da wo sie nicht hingehören“, so der Wissenschaftler. Bei der Abwehr der Eindringlinge wird auch gesunde Darmschleimhaut angegriffen und entzündet sich.

Ein Kollateralschaden, der rein statistisch bei etwa einem von 200 Menschen auftritt. Vor allem in Industrieländern steigt die Zahl der Autoimmunkrankheiten seit Jahren deutlich an. „CED stellen bereits jetzt ein Problem für die öffentliche Gesundheit dar. Und in Zukunft vermutlich noch mehr“, schätzt Schulz.

Wie konnte es so weit kommen?

Die genauen Ursachen von CED-Erkrankungen sind noch immer unbekannt. Bei den Risikofaktoren, die einen Ausbruch der Krankheit begünstigen, steht an erster Stelle eine häufige Antibiotika-Nutzung in der Kindheit. Als Risikofaktor Nummer zwei gilt übertriebene Hygiene.

Zur Aufgabe von Antibiotika gehört, schädliche Bakterien abzutöten. „Doch es gibt mehr Mikroben in unserem Körper, als es überhaupt Zellen gibt“, merkt der Forscher an. Im Normalfall leben Mikroben mit dem Menschen in Symbiose. Dabei kommt den Darmbakterien für die körperliche und für die psychische Gesundheit eine tragende Rolle zu. „Wenn sie durch Antibiotika abgetötet werden, können sie ihre Aufgaben – wie Mikroben am Eindringen in die Darmschleimhaut zu hindern – nicht erfüllen.“

Ähnlich kontraproduktiv wirkt sich eine übertriebene Hygiene aus. Dadurch kommt das Immunsystem mit wenigen Erregern in Kontakt und wird entsprechend unzureichend trainiert, schildert der Psychologe und ergänzt: „Außerdem verändert Stress alles.“ Als dritter Risikofaktor verändert er das Immunsystem und die Zusammensetzung der Darmflora entscheidend und wird im Fachjargon als „potenziell gesundheitsschädlich“ bezeichnet.

Der akute Schub

Wenn die Entzündung des Darms in die Höhe schnellt, sprechen Fachleute von einem akuten Schub. Die beiden häufigsten CED – Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa – nehmen Wissenschaftler in Luxemburg in einer aktuellen Studie exemplarisch unter die Lupe.
Morbus Crohn befällt alle Bereiche des Magen-Darmtraktes, von der Mundschleimhaut bis zum Dickdarm. Die Erkrankung betrifft alle Schichten des Darmschleimhaut und ist „segmental“: Manche Abschnitte des Darms können befallen sein, während angrenzende Teile nicht entzündet sind.

Morbus-Crohn-Patienten weisen häufiger einen Nährstoffmangel und eine Unterversorgung mit Vitamin D, A und B12 auf, da die entsprechenden Abschnitte im Darm, die für die Aufnahme dieser Stoffe zuständig sind, durch die Entzündungen ihre Aufgabe nicht erfüllen. Fieber gehört ebenfalls dazu. Im Fall von Morbus Crohn wird eine familiäre Häufung beobachtet, bei eineiigen Zwillingen liegt die Rate bei 67 Prozent Übereinstimmung.
Colitis Ulcerosa betrifft ausschließlich den Dickdarm und nur die oberste Schicht der Darmschleimhaut. Anders als bei Morbus Crohn sind entweder der gesamte Darm oder ganze Teilabschnitte wie Enddarm oder Mastdarm chronisch entzündet. Nährstoffmangel ist bei Colitis Ulcerosa seltener. Viel häufiger leiden Betroffene unter Blutverlust.

Beide Erkrankungen zeichnen sich durch höchst individuelle Verläufe aus. Akute Krankheitsschübe zeichnen sich in beiden Fällen durch häufige, wässrige Durchfälle aus, bis zu 30 Mal täglich, oft wochenlang. Starke, krampfartige Schmerzen kommen dazu. Die andauernden Durchfälle gehen mit Blutungen im Darm einher, oft ist Blutarmut die Folge. Den Erkrankten geht es in der akuten Entzündungsphase teilweise so schlecht, dass sie keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen können. Im schlimmsten Fall müssen sie flüssig oder intravenös ernährt werden. Viele Morbus-Crohn-Patienten müssen operiert werden, dabei werden ganze Darmabschnitte entfernt.

Ein Teufelskreis

Die Symptome der Erkrankungen schränken Betroffene sehr stark in ihrem Alltag ein. „Diese Patienten“, sagt Dr. Schulz, „können nicht an ein normales Leben denken.“ Der Teufelskreis der Erkrankungen bietet Nährboden für psychische Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen. Diese Störungen werden in der Therapie erst auf den zweiten Blick, nach der akuten Krankheitsversorgung, sichtbar. „Kurioserweise spielt für die wahrgenommene Lebensqualität die psychische Störung die Hauptrolle, weniger die körperliche Erkrankung“, unterstreicht der Wissenschaftler.

Menschen, die von CED betroffen sind, haben ein dreimal höheres Risiko, an Angststörungen oder Depressionen zu erkranken im Vergleich zu Menschen ohne Darmerkrankung, erklärt Dr. Schulz. Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa verlaufen oft in Schüben. Das besonders perfide daran, abgesehen von den körperlichen Symptomen, sind die Auswirkungen auf die Psyche.

„Das dreifache Risiko, an Angststörungen oder Depressionen zu erkranken, betrifft nur Patienten, bei denen die Erkrankung gerade eine Ruhepause einlegt. Während eines akuten Schubs zeigen bis zu 80 Prozent der CED-Patienten Symptome von Angststörungen und Depressionen“, schildert der Studienleiter.

Luxemburgs Wissenschaftler „ermitteln“

An der Forschung am Schnittpunkt zwischen Körper und Psyche beteiligen sich derzeit mehrere Wissenschaftler aus unterschiedlichen Institutionen in Luxemburg. „Wir versuchen, alle diese Bereiche – Steuerung der Stressachsen, Immunsystem, Zusammensetzung der Mikroben im Darm – innerhalb dieser Studie abzubilden“, sagt Dr. André Schulz.

Mit diesem Projekt betreten die Forscher Neuland. Denn die Ursachen für CED, die Schulz hier schildert, sind hinreichend bekannt. Was bisher weniger beachtet wurde, und das macht die Studie aus Luxemburg einzigartig, ist die psychische Gesundheit bei Erkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa.

Schulz hatte die Idee für die Studie und arbeitete die Projektzielsetzung aus. Gemeinsam mit seinem Team am „Clipslab“, am Universitätslabor am Fachbereich Psychologie, wo u.a. die Wechselwirkung zwischen Gesundheit und Psychologie untersucht wird, leitet er die Studie.

Forscher des „Luxembourg Centre for Systems Biomedicine“ (LCSB), eine weitere Forschungseinrichtung der Universität, steuern im Rahmen des Projekts Erfahrungswerte über die biochemische Zusammensetzung der Mikroben im Darm bei.

Das fehlende Puzzlestück

Die Forscher um Dr. André Schulz setzen ihre Suche nach der buchstäblichen Nadel im Heuhaufen an der Schnittstelle zwischen Körper und Geist an. Ihr Interesse gilt, rechtzeitig zu erkennen, warum CED-Patienten psychische Störungen, u.a. Angststörungen und Depressionen, entwickeln und wie sie vorsorglich behandelt werden können. Psychische Gesundheit lässt sich ungleich besser beeinflussen, bevor eine Störung ausgebrochen ist, erklärt Schulz.

„Wenn man es sich einfach machen möchte, kann man sagen, es ist normal, durch die schwere Erkrankung eine psychische Störung zu entwickeln. Doch so einfach ist es nicht“, erörtert er. Die Frage, warum vermutlich zwischen 20 und 40 Prozent der Erkrankten in Luxemburg eine solche Störung nicht entwickeln, während die Mehrheit psychisch leidet, steht im Raum.

Das können die Forscher nur dann verstehen, wenn sie neben dem eigentlichen Krankheitsverlauf die sogenannten Stressachsen, das Immunsystem und die Zusammensetzung der Darmbakterien in ihren Untersuchungen miteinbeziehen. Bei einem akuten Schub ausgeschüttete entzündungsfördernde Botenstoffe sind teilweise mit denen vergleichbar, die bei Depressionen nachweisbar sind.

Zusammenhang zwischen Kopf und Körpermitte 

Diese Erkenntnis zeigt den Forschern einen Zusammenhang zwischen Kopf und Körpermitte auf. Sie erklärt allerdings nicht, warum manche Patienten trotz erhöhten entzündungsfördernden Botenstoffen eine psychische Störung entwickeln und andere nicht.
Eine Fährte, die die Wissenschaftler in der Studie verfolgen, prüft die Informationsübertragung zwischen Peripherie (Botenstoffe) und zentralem Nervensystem.

Schulz‘ Kernhypothese: Entzündliche Botenstoffe können nur dann eine Depression auslösen, wenn sie irgendwo im Körper mit offenen Armen empfangen werden. Die offenen Arme sind besondere Rezeptoren, die an einzelnen Nervensträngen sitzen. „Wir müssen diese Signalübermittlung zwischen Körper (peripheres Nervensystem) und Gehirn erfassen.“ Schulz ist überzeugt, dass „eine Depression entstehen kann, wenn diese Informationen, die entzündungsfördernden Botenstoffe, auch entsprechend im Gehirn verarbeitet werden.“ Erkennt das zentrale Nervensystem sie nicht, hat die Depression keine Chance. Idealerweise, sagt der Experte für Körper-Psyche-Interaktion, lässt sich eine „Wenn-dann-Regel“ zwischen der Menge an Botenstoffen, der Arbeit der Rezeptoren und dem Ausbruch der Krankheit eindeutig feststellen.

„Ist eine Depression einmal ausgebrochen, wird der gesamte Krankheitsverlauf negativ beeinflusst. Depressive Patienten beteiligen sich möglicherweise weniger aktiv an der Therapie, nehmen ihre Medikamente nicht ein und halten medizinische Empfehlungen bezüglich ihrer Lebensweise nicht ein. Letzteres bedeutet nicht nur eine persönliche Isolation, sondern spielt auch eine entscheidende Rolle für die öffentliche Gesundheit“, erläutert Schulz.

Das Fernziel, das sich die Wissenschaftler setzen, ist ehrgeizig. „Möglicherweise lassen sich Depressionen bei CED-Patienten dadurch von vornherein verhindern“, hofft der Psychologiedozent.


Der Wissenschaft weiterhelfen

Für ihre Studie suchen die Wissenschaftler Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (alle Krankheitsbilder), sowohl mit als auch ohne psychische Begleitsymptome, sowie Personen mit Reizdarmsyndrom, aber ohne CED. Gesunde Probanden bilden die Kontrollgruppe.

Die Untersuchung wird an 1-2 Terminen an der Universität Luxemburg durchgeführt, die jeweils ca. 4-6 Stunden dauern können. Teilnehmer erhalten eine Aufwandsentschädigung. Interessierte können sich mit Angabe ihrer Kontaktdaten unter der E-Mail-Adresse ced@uni.lu melden. (Quelle: Uni.lu)


Unser Experte

Dr. André Schulz ist Diplompsychologe, Forscher und stellvertretender Direktor des Epsylon („Experimental Psychology Laboratories Network“, Netzwerk der Forschungsabteilungen experimenteller Psychologie) an der Uni Luxemburg sowie Leiter des „Clipslab“, in dem u.a. die Wechselwirkungen zwischen körperlicher Gesundheit und Psychologie untersucht werden.

 

 

Aender
8. September 2019 - 23.57

Dazu braucht es keiner Studie, fragt einfach die Menschen, welche gesundheitliche Probleme mit ihrem Darm haben. Schon Darmdivertikel verderben einem ganz oft den Spass am Leben.

Jacques Zeyen
8. September 2019 - 11.14

"Ist der Darm im Dauerstress, leidet auch die Psyche"....und umgekehrt. " Das schlägt uns auf den Magen"- Spruch den wir alle kennen. Anhaltende Stresssituationen schlagen oft auf unser "zweites Gehirn ",den Darmtrakt. Man endet mit Darmgeschwür und dann sitzt man im berühmten Teufelskreis.