Streik bei der SNCF: Drei Monate Chaos

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Weil Frankreich seine Eisenbahn auf die moderne Zeit und die europäische Konkurrenz vorbereiten will, gehen die Gewerkschaften auf die Barrikaden. Sie versprechen 36 Tage Streik vom 3. April bis zum 28. Juni.

Es herrscht Ratlosigkeit in Metz und in Straßburg. Die Gewerkschaften suchen den Machtkampf mit der Regierung. Dafür haben sie eine besondere Methode erfunden. In jeder Woche wird es zwischen dem 3. April und dem 28. Juni 2018 zwei Tage Streik geben. Frankreich soll regelmäßig lahmgelegt werden. Wie das genau geschehen soll, ist noch nicht bekannt. In der Außenstelle Metz der Regionaldirektion „Großer Osten“ wie auch in der Regionaldirektion selbst in Straßburg weiß man noch nicht, was die Gewerkschaften anstellen werden. Auch ist noch unbekannt, wie viele Züge an den Streiktagen zwischen Lothringen und Luxemburg fahren werden. In Metz ahnt man aber, dass es unangenehm werden wird. Die Meinungen sind auch gespalten. „Es ist nicht gut, dass die Gewerkschaften die Passagiere als Geisel nehmen“, sagt ein Eisenbahner gegenüber dem Tageblatt.

Worum geht es?

Die französische Eisenbahn SNCF schleppt einen Schuldenberg von 36 Milliarden Euro mit sich herum. Er erhöht sich pro Jahr um drei Milliarden. Die französische Regierung will daher die SNCF restrukturieren. Sie will sie auch vorbereiten auf den freien Markt in Europa. Bis zum Ende des Jahres muss die entsprechende Gesetzgebung erfolgt sein. In den darauffolgenden zwei Jahren sollen die Strukturen stehen. Danach dürfen in Frankreich europäische Eisenbahnen auf den Strecken der SNCF fahren und den Franzosen in ihrem Land Konkurrenz machen. Frankreich will dazu im Wesentlichen dem Statut der Eisenbahner an Kragen. Wer zukünftig eingestellt wird, soll kein Beamter mehr sein mit lebenslanger Sicherheit des Arbeitsplatzes. Von den gut 160.000 Eisenbahnern in Frankreich sind heutzutage nur noch 90 Prozent Funktionäre.

In den französischen Regionen soll die Konkurrenz über öffentliche Ausschreibungen von Strecken erfolgen. Der Präsident der Region „Grand Est“ in Straßburg könnte zum Beispiel die Strecke Metz – Luxemburg ausschreiben. Nicht auszuschließen, dass sie dann von der CFL bedient werden könnte, wenn die sich bewirbt und die Ausschreibung gewinnt. Im Fernverkehr könnte die Deutsche Bahn mit ihrem ICE auch die Strecke Paris-Marseille bedienen.

Deutsches Modell als Vorbild

Die französische Regierung hat zur Vorbereitung auf die Öffnung ihres Marktes zwei Vorbilder gehabt: Das britische mit einer im ersten Anlauf misslungenen Privatisierung oder das deutsche als integriertes Unternehmen und als Aktiengesellschaft. Der frühere Chef der Deutschen Bahn, Rüdiger Grube, hatte seinem französischen Kollegen Guillaume Pepy schon vor Jahren geraten, sich nicht auf das von der Europäischen Kommission empfohlene Modell eines aufgeteilten Unternehmens einzulassen. Bei der Umwandlung der Deutschen Bahn in eine Aktiengesellschaft im Staatsbesitz hatte die Bundesregierung alle Schulden übernommen und ein integriertes Unternehmen gegründet, dem sowohl die Gleise gehören als auch die Züge. Ein Unternehmen, das für alles rund um die Eisenbahn verantwortlich ist.

Frankreichs Premierminister Edouard Philippe hat angekündigt, dass das deutsche Modell des integrierten Unternehmens das französische Vorbild ist. Er will die französische Staatsbahn in eine Aktiengesellschaft im Staatsbesitz umwandeln, deren Kapital nicht privatisierbar sein soll. Zur Regelung der Konkurrenz auf dem französischen Schienennetz braucht es eine Regulierungsbehörde. Die bisher auf dem französischen Netz fahrenden Züge tun dies mit Abkommen auf Gegenseitigkeit. Die Strecken nach Frankfurt, Stuttgart oder München haben jeweils deutsch-französisches Personal an Bord und auch die Fahrscheine können an normalen Schaltern gekauft werden. Wirkliche Konkurrenz ist der Thalys von Paris nach Dortmund. Die Deutsche Bahn verkauft für ihn keine Fahrscheine. Da bleibt nur das Internet.

Entlastung im Pensionswesen

Für die französischen Gewerkschaften sind solche Systeme ein Gräuel. Die Umwandlung der SNCF in eine staatliche Aktiengesellschaft lehnen sie ab. Sie fürchten die Privatisierung und glauben der Regierung nicht. Sie sind gegen das Ende des Beamtenstatuts. Sie wollen, unter der Führung der radikalen Gewerkschaft CGT, die bei der Bahn die Mehrheitsgewerkschaft ist, dass sich nichts ändert. Staatspräsident Macron hingegen hatte im Wahlkampf versprochen, dass sich etwas ändert. Und damit die Veränderung nicht in monatelangen Diskussionen versinkt, hat er zusätzlich Verordnungen ins Spiel gebracht.

Im Parlament wird dazu ein globales Gesetz eingebracht, das die Veränderung im Prinzip billigt und sie über Verordnungen möglich macht. Macron will keine Zeit verschleudern und Ende des Jahres im Grundsatz die Veränderung der SNCF abgeschlossen haben. Genau das wollen die Gewerkschaften verhindern. Sie wollen „ad vitam aeternam“ diskutieren, werfen der Regierung vor, über die Verordnungen das demokratische System Frankreichs auszuhebeln. Die Gewerkschaften wissen aber, dass danach eine weitere Auseinandersetzung kommt. Französische Lokführer gehen mit 52 Jahren in die Rente, das Zugpersonal mit 55 bis 56 Jahren. Die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft und der Verzicht auf Beamte bedeuten auf Dauer für den französischen Staat eine Entlastung im Pensionswesen. Macron plant noch in diesem Jahr die Diskussion über die Umstellung des Rentenwesens in Frankreich auf eine Punkte-Rente.

Luxemburg am anfälligsten

Was sich in Frankreich ab dem 3. April abzeichnet, ist ein Machtkampf zwischen dem Chef der CGT, Philippe Martinez, und dem Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Hinter der Auseinandersetzung bei der Eisenbahn steckt die um das Sozialsystem. Martinez, der die CGT auf einen Konfrontationskurs geführt hat, musste im vergangenen Jahr bereits erfahren, dass der nach außen freundliche und lächelnde Staatspräsident Macron im Innern kühl und eisenhart sein kann. Die Auseinandersetzung um die Reform des Arbeitsrechtes hat die Gewerkschaft verloren. Jetzt steht Martinez zwar nicht alleine, aber die Situation hat sich geändert. Zwei Drittel der Befragten in der französischen Bevölkerung haben sich in Umfragen gegen einen Streik ausgesprochen.

Wenn gestreikt wird – woran kein Zweifel besteht – wird der Streik sich in zwei Regionen entscheiden. Jeder dritte Nutzer der SNCF befindet sich im Großraum Paris. Die andere Region wird der „Große Osten“ des Landes sein. Aus ihm fährt täglich jeder dritte Grenzgänger Europas mit der Bahn nach Belgien, nach Luxemburg, nach Deutschland und in die Schweiz. Der Großraum Straßburg ist dabei etwas weniger anfällig. Die Grenzgänger können die Straßenbahn nach Kehl benutzen, die gerade eine neue Brücke von Straßburg nach Kehl bekommen hat. Im Falle des Streiks dürfte Luxemburg am anfälligsten sein. Hier bilden sich die Staus von Lothringen auf der Autobahn in das Großherzogtum schon morgens um 6 Uhr.

Die von den Gewerkschaften angekündigten Streiktage:

April

Dienstag, 3.
Mittwoch, 4.
Sonntag, 8.
Montag, 9.
Freitag, 13.
Samstag, 14.
Mittwoch, 18.
Donnerstag, 19.
Montag, 23.
Dienstag, 24.
Samstag, 28.
Sonntag, 29.

Mai
Donnerstag, 3.
Freitag, 4.
Dienstag, 8.
Mittwoch, 9.
Sonntag, 13.
Montag, 14.
Freitag, 18.
Samstag, 19.
Mittwoch, 23.
Donnerstag, 24.
Montag, 28.
Dienstag, 29.

Juni
Samstag, 2.
Sonntag, 3.
Donnerstag, 7.
Freitag, 8.
Dienstag, 12.
Mittwoch, 13.
Sonntag, 17.
Montag, 18.
Freitag, 22.
Samstag, 23.
Mittwoch, 27.
Donnerstag, 28.

Rosa Alpina
22. März 2018 - 19.12

Da plant man monatelang Urlaub in Frankreich, reserviert Hotels, kauft Zugbilette und dann streiken die? Hotels absagen Tickets ändern und womöglich nicht rechtzeitig zu Hause sein. Urlaub in Frankreich? Nie wieder!

Norbert Muhlenbach
18. März 2018 - 11.29

Die franzoesische Regierung muss es wagen. Jedes Jahr 3 Mia Euro mehr an Schulden?? fuer die Bahn. Reiner Wahnsinn. Beamten Privilegien abschaffen! Und die Gelegenheit beim Schopf greifen, und der CGT endlich den Garaus zu machen. Thatcher hat es auch geschafft, obwohl die staatliche Kohleindustrie 1 Jahr gestreikt hat.

Helmut Wyrwich
18. März 2018 - 10.55

Ich gebe Ihnen eine Information, schlicht und einfach, erklärend aber ohne Kommentar, die Auswirkungen auf das Leben in Frankreich, in Luxemburg, Deutschland und der Schweiz für viele Menschen, Unternehmen und die Wrtschaft allgemein hat. Der Vorteil dieser wertfreien Information: Sie können Sie nutzen. Sie können sich möglicherweise auf die Folgen für sich einrichten oder Sie nutzen sie nicht, weil sie nicht betroffen sind, fühlen sich aber informiert. Sie können sich selbst ein Urteil bilden, ohne dass der Journalist Sie in irgendeiner Weise verführt.

monnijhemp
18. März 2018 - 9.44

finger weg von den sozialen errungenschaften. dieser fiese schnösel macron, neoliberaler knecht der spekulanten und parasiten, wird sich an der speerspitze des französischen proletariats, den heldenhaften eisenbahnern, die zähne wund beissen! wehe, wenn die schaffenden massen zum arbeits- und klassenkampf aufrufen. in frankreich wird die hölle los sein !

J.C. KEMP
18. März 2018 - 9.27

Anders gesagt: Wir brauchen einen Putin oder einen Li, da gibt's kein Streikrecht. Oder einen stärkeren Diktator in Brüssel. Ist es das, was Sie uns sagen wollen, Robbes? Majo dann! Solange es Ihre Forderungen sind, sind sie wohl nicht egoistisch!

Jacques Zeyen
18. März 2018 - 9.21

Es sei denn, die Bürger sehen ihre eigenen Arbeitsplätze durch die Globalisierung den Bach hinuntergehen – dann streiken sie mit. Es sind die Gewerkschaften, die dem Patronat die Ausbeutung des Arbeiters ausgetrieben haben. Es ist immer leicht, anderer Meinung zu sein, wenn man nicht selbst betroffen ist! Transport, Bildung und Gesundheit sind Dienstleistungen, die eben Geld kosten, und da muss der Staat gerade stehen, denn es geht um Allgemeingut. Aber eine Armee (Grande Nation) verschlingt Unsummen, und ob die heute noch gebraucht wird (in der Größenordnung) ist fraglich. Ich hoffe, dass meine Züge in Zukunft noch immer von technischen "Beamten" kontrolliert werden und nicht von unterbezahlten Privatos, denen alles wurscht ist. Siehe England und Deutschland ...

McDully
18. März 2018 - 9.06

Mat 52 an Pensioun oder 55.... majo dann, d‘Allgemengheet bezillt jo. Logesch dass F defizitär ass mat dem do System.

Robbes
18. März 2018 - 7.32

Überall wird reformiert. Was aber nicht reformiert wird, ist das Streikrecht. Das gehört aber gründlich reformiert. Es kann nicht angehen, dass immer häufiger brave Bürger, die sich nicht wehren können, als Geiseln genommen werden, um egoistische Forderungen durchzusetzen.

L.S
18. März 2018 - 0.01

Was wollen Sie uns sagen? Ich verstehe beim besten Willen worauf Sie hinaus wollen.

J.C. KEMP
17. März 2018 - 20.17

Ech hoffen dat di franzéisch Gewekschaften hart bleiwen an op kee Fall nogin. Ech hun an England oft genuch de schreckleche System materliewt, total Mëscht. An eng staatlech Aktiegesellschaft, do bleiwen d'Passagéier op der Streck, well do gët op de Mortjesss rationaliséiert. Eng Eisebunn, iwwerhaapt ÖT muss e Service public bleiwe, wéi Waasser, Gas, Stroum, Enseignement a Stroossen. Iwwregens och Kliniken.

Isaac Ben L. Weismann
17. März 2018 - 19.51

Oh la, la, s'brent! Die Feststellung, daß ich von DO aus lieber über F-SB oder F-Strasbourg, hat sich von selbst gelöst, dank diesem Artikel. Thalys, ein rein kommerzielles Gebilde und keine Fahrkarten in Deutschland erhältlich. Na sowas aber auch. Mich wundert in diesen irren Zeiten, warum es nicht möglich sei, eine Fahrt mit dem ICE-EC über LuX nach Paris in einer Fahrkarte unterbitngen kann, wo wir doch eine "TreueGemeinschaft" in diesen "Europäischen Vorhöfen" darstellen. Hätte fast den Anfall gehabt, zu sagen, wo Draghi drauf steht, sind die Werte entsprechend. Etwas Wahres muß doch beim Baren immer wieder herumkommen. Solange es NULLEN genug gibt, stirbt die Hoffnung zuletzt. Enn Schöne und Alleweil Gute Zeit. Moin.