Freitag14. November 2025

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Alain spannt den BogenStreicher im Mittelpunkt: Das Marmen Quartet und Tabea Zimmermann

Alain spannt den Bogen / Streicher im Mittelpunkt: Das Marmen Quartet und Tabea Zimmermann
Das Marmen Quartet gastierte in Esch und überzeugte mit brillanter Technik und klarem Klang  Foto: Syl Geyer

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Am 23. Oktober gastierte das Marmen Quartet im „Conservatoire de Musique Esch/Alzette“. 2013 gegründet, hat das junge Ensemble bereits mehrere wichtige Preise gewonnen, darunter je einen 1. Preis bei der Bordeaux International String Quartet Competetion und beim Internationalen Streichquartettwettbewerb in Banff. Die Qualitäten des Marmen-Quartetts lassen sich schnell ausmachen. Sofort fallen die unbändige Gestaltungslust sowie die Kommunikationsfreudigkeit der Musiker auf.

Jede Phrase ergibt die andere. Die Musiker hören sich zu und sind in einem permanenten musikalischen Dialog miteinander, sodass man als Zuhörer den Eindruck erhält, das Musikstück würde im Moment neu auf der Bühne geboren. Dazu kommen eine brillante Technik und ein sehr individueller klarer Klang, der immer durchhörbar bleibt. Und das, obwohl neben den Standardmusikern Johannes Marmen, 1. Violine und Bryony Gibson-Cornish, Bratsche mit Sinead O’Halloran eine neue Cellistin mit dabei war und der erkrankte 2. Violinist Ricky Gore von Laia Valentin Braun ersetzt wurde. Als Einstieg hatte das Marmen Quartet das Streichquartett B-Dur op. 64/3 von Josef Haydn gewählt.

Die Dynamik und das Zusammenspiel waren mustergültig, zumal sich jeder einzelne Musiker in bestem solistischen Licht präsentieren konnte. Der Zugang zu Haydns Musik war sehr direkt und von einer wunderbaren Spiellust geprägt, die sowohl dem positiven Drive als auch dem musikalischen Humor des Komponisten sehr entgegenkam. Mit Humor ging es dann auch weiter. Obwohl György Ligetis 1. Streichquartett aus den Jahren 1953/54 mit dem Untertitel Métamorphoses nocturnes versehen ist und relativ langsam und ernsthaft beginnt und ausklingt, passiert in der Mitte doch enorm viel. Ligeti lässt seinen Einfallsreichtum walten, grüßt Bartok, Strawinsky und Berg und erinnert augenzwinkernd an Schönbergs Verklärte Nacht.

Nichts dem Zufall überlassen

 Foto: Syl Geyer

Ein nuanciertes Wechselspiel der Farben, Tempi und Dynamik lässt den Hörer immer neue Momentaufnahmen entdecken, die dann wieder wie ein Schattenspiel verschwinden. Das Marmen Quartet spielt dieses einsätzige Werk, bei dem die zwölf kurzen Sätze nahtlos ineinander übergehen, mit höchster Konzentration und einem atemberaubenden Gefühl für räumlichen Klang. Die Musik wird dank des subtilen und kontrastreichen Spiels der vier Musiker quasi dreidimensional wahrgenommen. Nahtlos ineinander über gehen auch die sieben Sätze des Streichquartetts Nr. 14 op. 131 von Ludwig van Beethoven. Mit dramatischem Zugriff, höchster Intensität und immenser Innenspannung wird hier eine Ensembleleistung von Weltklasse geboten.

Nichts ist dem Zufall überlassen und trotzdem ist genug Raum für Spontaneität. Die Innenspannung ist über 35 Minuten gewährt, die technische Brillanz und das interpretatorische Können der vier Musiker sind außergewöhnlich und lassen auf eine große Zukunft dieses Quartetts hoffen. Ohne Zweifel, dies war eines der besten Streichquartett-Konzerte, die ich in den letzten Jahren gehört habe. Nur schade, dass man sich in Esch so wenig Mühe gibt, auf solche Konzerte hinzuweisen. In der Philharmonie hätte das Marmen Quartet vor vollbesetztem Saal gespielt und wäre am Schluss regelrecht bejubelt worden. In Esch kam mit den rund 25 Zuhörern natürlich kaum Stimmung auf. Dem Marmen Quartet ist es aber hoch anzurechnen, dass die vier Musiker trotz des fast leeren Saales mehr als 100 Prozent Qualität geboten haben. Und das zeichnet große Künstler und Interpreten wirklich aus.

Ein Plädoyer für die Bratsche

Während das Marmen Quartet noch dabei ist, sich einen Namen zu machen, gilt die Bratschistin Tabea Zimmermann schon seit Jahren als eine der besten Interpretinnen ihres Fachs. Die Bratsche als Soloinstrument hat allerdings erst im 21. Jahrhundert so richtig an Bedeutung gewonnen. Zwar haben Komponisten wie Bach, Mozart, Telemann, Stamitz oder Paganini das Instrument solistisch eingesetzt, aber immer nur sporadisch.

Im 19. Jahrhundert stand die Bratsche dann komplett im Schatten der Violine oder des Cellos. So verwundert es auch nicht, dass sich Tabea Zimmermann in ihrem Solorezital vom 25. Oktober im Kammermusiksaal der Philharmonie fast ausschließlich auf Kompositionen des 20. Jahrhunderts beschränkte. Ausnahme: Nach der Pause spielte Zimmermann die Cellosuite Nr. 4 von Johann Sebastian Bach auf unvergleichliche Weise und zeigte, dass die Bratsche diesem Werk mindestens so gut liegt wie das Cello selbst. So interessant Zimmermanns Reise durch 99 Jahre Bratschenwerke auch war, ich hätte mir wegen der Ausgeglichenheit lieber eine weitere Bach-Suite gewünscht und dabei gerne auf ein modernes Werk verzichtet. Zimmermanns Reise war nämlich anstrengend.

 Foto: Syl Geyer

Mit der Sonate für Bratsche allein op. 25/1 von Paul Hindemith, der Sonate pour alto solo von György Ligeti und kürzeren Stücken aus Signs, Games and Messages sowie Gruß an Ulrich Eckhardt von György Kurtag verlangte bereits der erste Konzertteil schon höchste Konzentration vom Publikum. Nach Bach erklang dann Enno Poppes Filz solo, das neue, fremdartige aber spannende Klänge, Klangkombinationen und Klangfarben präsentierte und die Bratsche als ungemein interessantes und vielseitiges Instrument zeigte. Den Abschluss machte dann die Uraufführung des eben fertiggestellten Werkes Anyente from „Mysterium“ des luxemburgischen, in Australien lebenden Komponisten Georges Lentz. Auch er lotet die Möglichkeiten der Bratsche aus und schafft ein strukturell wohlausbalanciertes, stimmungsvolles und wunderbar getimtes Werk über Isolation und Einsamkeit. Ein größtenteils sehr konzentriertes und aufmerksames Publikum bedankte sich mit jubelndem Applaus für die exemplarischen Interpretationen von Tabea Zimmermann.