Stadtgeschichte / Straßenbahn und Stadtplanung 1875
Am 13. Dezember ist es so weit: Die neue Straßenbahn erreicht den Hauptbahnhof! An der Ausdehnung des Straßenbahnnetzes nach Cloche d’Or wird eifrig weitergearbeitet. Mit dem Bau der neuen N3 entsteht eine zusätzliche Zufahrtsstraße aus Richtung Süden. Bonneweg erhält somit eine weitere Zufahrtsstraße, die zur Verdichtung des städtischen Raumes beiträgt. Neue Arbeitsplätze werden entlang dieser neuen Zufahrt entstehen. Arbeiten und Wohnen im gleichen Stadtviertel wird hier schon bald Wirklichkeit sein. Die Anbindung an den Flughafen ist in Planung.
Als 1875 die Tram in Luxemburg erstmals verkehrte, stellte sie ebenso wie heute einen neuen Schritt in Richtung Stadtentwicklung dar. Auch wenn kurz vor 1900 auf dem heutigen Gebiet der Hauptstadt weniger als 40.000 Menschen lebten, hatte man sich bereits 1873 für den Bau einer Straßenbahn entschieden. Als 1875 die erste Tram vom Bahnhof zum Glacis fuhr, war Luxemburg die zehnte Hauptstadt in Europa, die ihren Bürgern diese städtische Dienstleistung bot. Die Straßenbahn verkehrte ansonsten nur in großen industriellen Ballungsgebieten.
Luxemburg hatte 1867 aufgrund des Londoner Vertrags seine Rolle als Festungsstadt aufgeben müssen. Es stellte sich die Frage der zukünftigen Entwicklung und der neuen Identität der Stadt. Drei Alternativen wurden damals untersucht: Luxemburg sollte entweder Universitätsstadt werden, industrieller Standort oder politischer Entscheidungsort. Das Universitätsprojekt kam nicht zustande. Die damals in Planung gewesene Hochschule fand schließlich in Freiburg in der Schweiz ihre Heimat. Als Industriestandort konnte Luxemburg-Stadt, ohne eigene Bodenschätze, nicht mit den aufstrebenden Industriestädten im Süden des Landes mithalten. Blieb als einzige realistische Lösung, Luxemburg zur nationalen Metropole zu entwickeln. Die 1867 erhaltene politische staatliche Neutralität verschaffte der Hauptstadt einen Standortvorteil im Umfeld des deutsch-französischen Krieges. Dabei versteht sich „Hauptstadt“ als Nähe zu politischen, wirtschaftlichen und religiösen Entscheidungsträgern sowie als neue Heimat für jene, deren Zukunft in Elsass-Lothringen, Deutschland oder Frankreich ungewiss war. Wurden im „Minett“ industrielle Produktionsanlagen errichtet, so wurden in Luxemburg-Stadt Strategien geplant und Entscheidungen getroffen. Die Hauptstadt musste eine urbane Ausrichtung erhalten, welche den Ansprüchen internationaler Investoren entsprach und die auf deren zukünftige Sesshaftigkeit hinauszielte.
Die „Al Bréck“ ist zu schmal
Zeitgleich mit dem Inkrafttreten des endgültigen Stadtentwicklungsplanes („Plan d’agrandissement de la ville de Luxembourg“), welcher diese Zielsetzungen förderte, begannen 1873 die Planungen zum Bau der Straßenbahn. Erst zehn Jahre später wurde Luxemburg offiziell zur „offenen Stadt“. Radialstraßen verbinden nun die historische Altstadt mit den ausländischen Märkten. Die „Avenues“ führen ins Zentrum, während die Ringstraßen für Wohnzwecke geplant wurden und als Verbindungswege zu den Hauptachsen dienten. Die Hauptachsen sind geradlinig angelegt, nach dem Muster von Bahnstrecken. Sie konnten einwandfrei für die Straßenbahn genutzt werden. Gleich nach der Einführung der Tram, 1875, erwies sich das zur Festungszeit gebaute und nur sieben Meter breite Viadukt als zu schmal. Engpässe und Stau behinderten einen reibungslosen Verkehr. Da man damals eine Erweiterung dieser Brücke ausschloss, begann eine 22 Jahre dauernde Diskussion zum Bau einer zweiten Brücke über das Petrusstal.
Die Entscheidung zum Bau der „Neuen Brücke“ (Pont Adolphe) fiel erst 1897. Die neue Planung umfasste die Anlage eines neuen Stadtviertels auf Plateau Bourbon, der Anschluss an die Straßenbahn war in der Planung inbegriffen.
Der Umzug der Straßenbahnverwaltung von Hollerich zum Limpertsberg erfolgte erst 1908 mit der Einführung der „Elektrischen“ und einer Umstrukturierung der Betriebsleitung. Die neuen Hallen und der Verwaltungssitz auf dem Limpertsberg sollten dem neuen Schul- und Wohnviertel in ruhiger Lage wirtschaftlichen Aufschwung verleihen. Politisch bedeutete dies aber auch, dass die nun unter der Leitung der Hauptstadt stehende Straßenbahnverwaltung nicht mehr auf dem Gebiet der Gemeinde Hollerich angesiedelt war. Die nun freigewordenen Grundstücke im Bereich der rue de Strasbourg, rue du Fort Wedell und rue Joseph Junck erlaubten die wirtschaftliche Entwicklung dieses Areals in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs.
Ein rein städtisches Verkehrsmittel
Die Straßenbahn ist eine städtische Erfindung: Sie bedient eine Kundschaft auf kurzen Strecken, sie verkehrt in kurzem Taktverkehr, bietet die Aufnahme vieler Fahrgäste, vermeidet das Parken von Kutschen sowie die Pflege der Zugpferde. Doch noch bedeutsamer ist die gemeinsame Nutzung des öffentlichen Straßennetzes durch Wagen, Tram, Radfahrer und Fußgänger. Die Eröffnung von Fahrradgeschäften in der Avenue de la Porte Neuve, Avenue de la Gare, Avenue Monterey bezeugen das Aufkommen eines neuen zusätzlichen Verkehrsmittels. Der kostspielige Bau von Bahndämmen oder Viadukten entfällt. Die Straßenbahn verkehrt auf den gleichen Wegen wie ihre Kunden. Diese brauchen nicht zum Bahnhof zu laufen; sie steigen einfach unterwegs ein. Auf den Bau eigener Bahnhöfe wird verzichtet. Haltestellen folgen in nur 300 m Entfernung aufeinander.
Die Verflechtung mit der lokalen Geschäftswelt war eng, kaufte man doch seine Fahrkarten auch in den Geschäften oder in den an den Linien gelegenen Wirtshäusern. Die Straßenbahnwagen waren innen und außen Werbeträger kommerzieller Produkte. Da sie durch Geschäftsstraßen wie die Avenue de la Gare, die Grand’rue oder am Marktplatz „Knuedler“ vorbei verkehrte, fuhr sie mit ihren Gästen gleich an vielen Geschäftsauslagen vorbei. Die Nähe eines Kinos, einer Gaststätte, einer Klinik, Schule oder Wohnviertels zu einer Haltestelle wurde immer wieder als Vorteil erwähnt. Die Stadt erlebt sich nun in Fahrzeitminuten, nicht mehr in geografischer Entfernung oder körperlicher Anstrengung. Die Fahrzeit ist verlässlich, die Kadenz regelmäßig, wobei die Geschwindigkeit doppelt so hoch lag wie die des Fußgängers.
Hauptbahnhof Luxemburg
In den Jahren 1859 bis 1904 wandelte sich der Bahnhof Luxemburg zum multimodalen Umschlagsplatz mit fünf internationalen Eisenbahnlinien, zwei regionalen Schmalspurbahnen, und wurde zum Terminus der Straßenbahn.
Die Tram fördert städtische Dichte, verbindet Peripherie mit Zentrum, beide können sich zeitgleich entwickeln. Sie verknüpft die preiswertesten Grundstücke mit den ertragreichsten, versorgt die Arbeitsplätze im Zentrum mit Arbeitnehmern der Außenbezirke. Bevor es Ring-Straßenbahnen gab, durchquerten die ersten Linien bestehende Stadtsiedlungen. Ihr zuverlässiges Angebot zog Kunden und Einwohner an, der Zersiedlung des städtischen Raumes wurde Einhalt geboten. Zum städtischen Raum gehörten Anschluss ans Wasser-, Kanal- und Gasnetz, Bürgersteig, nächtliche Beleuchtung sowie Anschluss an die Straßenbahn!
Städtisches Wachstum lenken
Die Herausforderung bestand darin, das städtische Wachstum räumlich zu lenken. Bereits 1899 hatte die Berliner Gesellschaft „Union“ ein Projekt bei der Gemeinde eingereicht, um das Plateau Bourbon sowie die Stadtteile Merl und Limpertsberg per Tram zu erschließen.
In der Oberstadt sind Puits Rouge („Roude Pëtz“) und Hôtel des Postes die wichtigsten Umschlagplätze. Ab 1913 fuhr die Straßenbahn ab Puits Rouge nach Eich, 1930 sogar bis nach Heisdorf. An Gemeindegrenzen hatte sich die Tram weder 1875 noch 1913 oder 1930 gestört. Infolge der Eingemeindung der Nachbarkommunen, im Jahre 1920, wurden sieben neue Linien eingeführt. Alle zukünftigen Wohnviertel sollten an das Zentrum angebunden werden. Busse wurden ab 1923 nur in topografisch schwierigen Lagen eingesetzt. Ab 1925 wurden auch die Streckenabschnitte der Schmalspurbahnen Luxemburg-Remich und des „Charly“ nach Echternach ins Verkehrskonzept mit einbezogen. Bis Alzingen, respektive Dommeldingen, fuhren die Züge nun öfters. Spezialtarife wurden den Fahrgästen angeboten.
Das Straßenbahnnetz war zwischen 1875 und 1930 von 2,5 km auf 31 km angewachsen und erreichte nun 50.000 Einwohner. Der Bau der Linien war an den Wohnungsbau gekoppelt. 1876 bereits hatte Ingenieur Edouard André Wohnviertel rechts und links der Avenue de la Gare entworfen, die durch die in unmittelbarer Nähe angelegten Tram-Haltestellen ans Zentrum angebunden waren. Die „Société nationale des habitations à bon marché“ errichtete ihre „Wohnkolonien“ in Limpertsberg und Beggen nahe der neuen Straßenbahnlinien. 1936 wurde in Bonneweg ein ganzes Viertel mit Anschluss an die Straßenbahn errichtet. Die Tram erlaubte es, die Bevölkerung auf das gesamte Stadtgebiet aufzuteilen. Entlegene Viertel fühlten sich eingebunden und aufgewertet. Bei der Einweihung der Linie nach Neudorf schrieb die Presse zum Beispiel, die Lebensqualität dieses Viertels sei nun mit derjenigen auf dem Limpertsberg vergleichbar.
In den 1950er Jahren entstand die autogerechte Stadt. Sie diente als Mittel gegen die Ausblutung der Landgemeinden, dem Interesse der Industrie, der freien Wahl des Wohnortes und Eigenheims im Grünen. Was einst ein Vorteil der Straßenbahn war, wurde ihr nun zum Verhängnis. Das Auto eroberte die Fahrspur der Tram und führte zu Störungen im Verkehr. Hielt die Straßenbahn die Stadt zusammen, führte der Individualverkehr zur Zersiedlung des Raumes und schleichend zum Stau. In dem Rhythmus, wie einst die Tramways eingeführt worden waren, wurde sie wieder abgeschafft.
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Die Stadtplaner von vor mehr als hundert Jahren waren den heutigen Urbanisten weit voraus, wesentlich weitsichtiger.