Nach fast 90 JahrenTelefonische Zeitansage wurde in Frankreich abgeschaltet – in Luxemburg seit 1955 aktiv (Update)

Nach fast 90 Jahren / Telefonische Zeitansage wurde in Frankreich abgeschaltet – in Luxemburg seit 1955 aktiv (Update)
Bis Freitag konnten die Franzosen noch telefonisch die genaue Uhrzeit erfahren Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Es war eigentlich nur noch eine Frage der Zeit: In Frankreich wurde nun nach fast 90 Jahren die telefonische Zeitansage abgeschaltet. Von jetzt an bleibt den Franzosen der Blick auf die Website des Pariser Observatoriums, um die ganz genaue Zeit zu erfahren.

Korrektur: Luxemburgs Zeitansage

In der ursprünglichen Version dieses Artikels hatten wir behauptet, die Zeitansage der Luxemburger Post sei ebenfalls längst abgeschaltet. Hier hat allerdings ein Irrtum vorgelegen, wie uns die Post schnell erklärt: Unter 12419 wird nach wie vor durchgesagt, was das Stündlein geschlagen hat.

Ein Sprecher von Post.lu teilt außerdem mit: „Der Zeitansagen-Dienst, der am 25. März 1955 eröffnet wurde, verzeichnete im ersten Jahr insgesamt 524.649 Anrufe. Damals wurde für jede Auskunft eine Gebühr von 2 LUF erhoben. Bis in die 2000-er Jahre war der Dienst unter der Nummer 19 erreichbar. Seitdem ist er unter der Nummer 12419 erreichbar. Im Juni 2022 verzeichnete POST Luxembourg mehr als 1.270 Anrufe auf dem Dienst.“

Wir freuen uns, dass die „gute, alte Zeit“ noch nicht ganz abgeschafft ist – und bitten für den Fehler um Entschuldigung! fgg

„Beim vierten Ton ist es Mitternacht“, sagt eine angenehme Stimme. Sie war in der Nacht zu Freitag zum letzten Mal in Frankreich zu hören, denn am 1. Juli wurde die telefonische Zeitansage abgeschaltet – ein besonderer Schritt für das Land, in dem die automatische Ansage der Uhrzeit 1933 erfunden wurde. Aber wer will noch 1,50 Euro für eine Auskunft zahlen, die sich heutzutage auf zahlreichen Bildschirmen ungefragt aufdrängt?

„Ich wusste gar nicht, dass es das noch gibt“, sagt der 51 Jahre alte Antonio Garcia. „Als ich klein war, haben wir das oft benutzt, wenn wir einen Zug nehmen mussten“, erinnert er sich. Er erinnere sich noch genau an das „Biep, biep, biep, biep“. „Wir haben da immer nach einem Stromausfall angerufen, wenn wir die Uhren neu stellen mussten“, erinnert sich die 43 Jahre alte Charlotte Vanpeen. „Ich bin ein bisschen traurig und nostalgisch, dass es das nun nicht mehr gibt.“

Die „sprechende Uhr“, wie sie in Frankreich genannt wird, hatte der Astronom Ernest Esclangon erfunden. Er leitete das Pariser Observatorium und war genervt, dass ständig Menschen anriefen, um die korrekte Zeit zu erfragen. Im Februar 1933 stellte er eine Maschine vor, die das nun automatisch beantworten sollte. Er nutzte dafür Lichttonspuren, eine Technik des Kinos.

Etwa 140.000 Menschen riefen am ersten Tag an, es mussten bald neue Leitungen hinzugefügt werden. Im Laufe der Zeit änderten sich die Uhren und die Sprecher. Mehr als drei Jahrzehnte lang war die satte Stimme des Radiosprechers Marcel Laporte zu hören. „Man nannte mich Monsieur Radiolo, ich hatte eine gewisse Berühmtheit“, sagte er später. Ihm folgten ein Schauspieler und ein Briefträger.

Erst 1991 gab es eine weibliche Stimme zu hören, die der Schauspielerin Marie-Sylvie Behr. Sie hatte die Ansagen für Jahre im Voraus aufgenommen. „Ich fand es sehr seltsam zu sagen ‚Mittwoch, 18. September 2088‘, weil ich wusste, dass ich dann nicht mehr da sein würde“, sagte sie. „Als ob ich eine Verabredung mit mir selber hatte, die ich nicht einhalten würde.“

Die sprechende Uhr hatte auch ihre wilden Zeiten, etwa 1957, als ein Streik für einen zweitägigen Ausfall sorgte. 1969 geschah etwas sehr Ungewöhnliches: Die automatische Zeitansage ging ganze vier Minuten vor, was als Erstes der Pariser Verkehrsbetrieb SNCF bemerkte.

Die Zeitansage wurde mit den Jahren immer genauer, bis auf zehn Millisekunden. Bevor sich Mobiltelefone verbreiteten, nutzten viele Franzosen das Angebot. „1991 hatten wir mehrere Millionen Anrufe im Jahr“, sagte Catherine Breton, Marketingchefin des Telekom-Unternehmens Orange, das die Zeitansage übernommen hatte. Im gesamten vergangenen Jahr seien es dagegen nur noch wenige Tausend Anrufe gewesen.

Sich selbst regulierende Funkuhren und die omnipräsenten Zeitangaben auf Mobiltelefonen und Computern hatten den Dienst überflüssig gemacht – zumal der Anruf in den vergangenen Jahren 1,50 Euro kostete.

Ein Twitternutzer veröffentlichte die letzten Minuten der sprechenden Uhr, die um Mitternacht abgeschaltet werden sollte. In einer letzten rebellischen Geste sagte die Stimme von Marie-Sylvie Behr auch noch die erste Minute des 1. Julis an, bevor ein monotoner Schlusston erklang. Von nun an bleibt den Franzosen der Blick auf die Website des Observatoriums, um die ganz genaue Zeit zu erfahren.