Im GesprächSPD-Vorsitzender Lars Klingbeil: „Es muss ein Ruck durch alle politischen Ebenen gehen“

Im Gespräch / SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil: „Es muss ein Ruck durch alle politischen Ebenen gehen“
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil während eines Gesprächs mit dem deutschen Fernsehsender ARD Foto: dpa/Fabian Sommer

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Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil ist gerade viel unterwegs in Deutschland. Dabei begegnet er auch zunehmendem Unmut über die Regierung. Nun hofft er, dass das 200-Miliarden-Euro-Paket die erhoffte Wirkung entfaltet – und setzt vor der MPK auf überparteiliche Lösungen.

Tageblatt: Herr Klingbeil, wir begehen den Tag der Deutschen Einheit. Wie steht es Ihrer Einschätzung nach um die Einheit im Land?

Lars Klingbeil: Was die Ost-West-Frage betrifft, sind wir vorangekommen. Wir haben eine stärkere Deutsche Einheit als es etwa vor zehn Jahren noch der Fall war. Der Osten ist attraktiv, das zeigen die Industrieansiedlungen von Intel und Tesla. Und auch zu Recht deutlich selbstbewusster. Aber unser Land befindet sich gerade insgesamt in einer Zeit der starken Polarisierung. Zwei Jahre Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, die Klimakrise – das macht was mit den Menschen.

Es brodelt, immer stärker auch montags auf den Straßen, gerade noch beschränkt auf Ostdeutschland. Die Menschen treiben auch ihre Sorgen auf die Straße.

Bei diesen Protesten muss man sehr genau trennen. Es gibt viele, die haben große Sorgen, wie sie bei den massiven Preissteigerungen über die Runden kommen sollen. Das nehme ich sehr ernst. Um diejenigen muss Politik sich kümmern und das tun wir. Wir haben drei Entlastungspakete geschnürt, wir erhöhen in diesem Monat den Mindestlohn auf 12 Euro, davon profitieren viele Millionen Menschen vor allem im Osten, wir nehmen 200 Milliarden Euro in die Hand, um die Energiepreise deutlich zu senken. Aber es gibt eben unter den Protestlern auch solche, die schon gegen Flüchtlinge, gegen Corona-Maßnahmen, für Russland unterwegs waren und jetzt versuchen, die berechtigten Sorgen zu instrumentalisieren und unser Land zu spalten. Das dürfen wir nicht zulassen. Das ist auch keine Frage von Ost/West.

Aber es gibt eben unter den Protestlern auch solche, die schon gegen Flüchtlinge, gegen Corona-Maßnahmen, für Russland unterwegs waren und jetzt versuchen, die berechtigten Sorgen zu instrumentalisieren und unser Land zu spalten. Das dürfen wir nicht zulassen.

Am Dienstag treffen sich Bund und Länder. Die Länder haben bei ihrer letzten Zusammenkunft eine Liste von finanziellen Wünschen an den Bund gerichtet. Was ist Ihre Botschaft an die Ministerpräsidentenkonferenz?

Ich habe in den letzten Tagen immer wieder gesagt, es muss jetzt ein Ruck durch alle politischen Ebenen gehen. Es muss Schluss sein mit dem Klein-Klein, mit Streit und mit Blockaden. Diesen Ruck spüren wir jetzt mit dem 200-Milliarden-Euro-Paket, mit der Strom- und Gaspreisbremse. Die Ampel hat geliefert. Und ich erwarte, dass jetzt auch die Konservativen auf Länderebene diesen Ruck nicht ausbremsen. Am Ende geht es doch darum, dass wir uns alle der Wucht der Krise bewusst sind, zusammenstehen und gemeinsam unser Land durch diese Zeit bringen.

Die Länder beklagen unter anderem, dass mit ihnen nicht vorab gesprochen wurde …

Es gibt nicht „die Länder“. Es gibt konservative Ministerpräsidenten wie Markus Söder oder Hendrik Wüst, die lehnen sich gerade nur zurück und zeigen mit dem Finger auf den Bund. Damit offenbaren sie, dass sie als Landesvater der Krise nicht gewachsen sind. Während Stephan Weil in Niedersachsen gerade eigene Milliarden für Entlastungen in die Hand nimmt und sehr schnell große LNG-Terminals für die Energieversorgung in ganz Deutschland bauen lässt, passiert in Bayern sehr wenig. Das wird einem Land wie Bayern, das eigentlich wirtschaftlich stark ist, auf die Füße fallen, wenn der eigene Ministerpräsident die Arbeit verweigert und nur bockig auf die Ampel im Bund zeigt.

Das wird einem Land wie Bayern, das eigentlich wirtschaftlich stark ist, auf die Füße fallen, wenn der eigene Ministerpräsident die Arbeit verweigert und nur bockig auf die Ampel im Bund zeigt

Muss Bundeskanzler Olaf Scholz da ein Machtwort sprechen?

Das 200-Milliarden-Euro-Paket der Bundesregierung unter Führung von Olaf Scholz ist ein Durchbruch. Ein Machtwort, wenn Sie so wollen. Es ist das klare Zeichen: Diese Regierung wird alles tun, was notwendig ist, um die Preise wieder runter zu bekommen und Arbeitsplätze zu sichern. Von dieser gigantischen Summe werden alle profitieren: Familien, Studierende, Rentnerinnen und Rentner genauso wie kleine und große Unternehmen. Und es wird helfen, unser Land durch eine schwierige Zeit zu bringen. Denn vor uns liegt ein Winter, der für sehr viele Menschen herausfordernd werden kann. Die Gaspreisbremse und die Strompreisbremse sind für mich der richtige Schritt. Es muss nun schnell ein konkretes Modell für den Eingriff in den Gasmarkt her. Die finanziellen Mittel stehen jetzt umfassend bereit.

Gibt es auch Projekte, von denen Sie sich verabschieden? Ist das Bürgergeld zum Beispiel der richtige Weg in der Krise?

Wir müssen den sozialen Zusammenhalt stärken, gerade in schwierigen Zeiten. Da dürfen wir keinen Zentimeter nachlassen. Weil wir den Wert eines Landes, das nicht gespalten ist wie Frankreich, die USA oder Italien, doch gerade sehen. Wir leben in einer stabilen Demokratie. Das ist ein hoher Wert an sich. Darauf können wir stolz sein. Und das hat eben mit einem starken Sozialstaat zu tun. Und deswegen werden wir beispielsweise auch unser Ziel, die Kinderarmut stärker zu bekämpfen, auf jeden Fall weiterverfolgen.

Sie spielen auf die Kindergrundsicherung an, die noch verabredet ist. Weiß Finanzminister Lindner das auch?

Christian Lindner hat den Koalitionsvertrag ja auch unterschrieben.

Wir haben multiple Krisen, Sie haben vor einem Jahr die Bundestagswahl gewonnen. Macht Ihnen Politik noch Freude? Wie vermittelt man Optimismus?

Vor einem Jahr haben die ersten Sondierungsgespräche stattgefunden, und es kommt mir vor, als wären seitdem drei Legislaturperioden vergangen. Es ist wahnsinnig viel passiert, es gab noch nie eine Bundesregierung, die zu ihrem Start so viele Krisen gleichzeitig bewältigen musste. Aber es ist ein Privileg, diesen Job zu machen und als Partei den Bundeskanzler zu stellen. Damit haben wir Verantwortung übernommen. Ich habe den Anspruch, dass die Menschen in drei Jahren auf diese Regierung blicken und sagen, die haben uns gut durch diese Krisen gebracht.

Annexion niemals akzeptieren

Mit Blick auf den russischen Krieg in der Ukraine, der Auslöser für die meisten Probleme ist: Die USA haben gerade neue Hilfen angekündigt für die Ukraine. Muss Deutschland noch mehr machen, mit Blick auf Kampfpanzer etwa?

Deutschland hat sich von Tag eins an die Seite der Ukraine gestellt und die jahrzehntelange Zurückhaltung etwa bei Waffenlieferungen aufgegeben. Wir sind heute der drittgrößte Waffenlieferant in die Ukraine. Unsere Waffen, die wir liefern, leisten einen Beitrag zum militärischen Erfolg der Ukraine und setzen Russlands Präsident Wladimir Putin unter Druck. Über den Ringtausch ermöglichen wir die Lieferung von über 100 Kampf- und Schützenpanzer osteuropäischer Bauart an die Ukraine. Diesen Weg müssen wir auch unbedingt weitergehen, wir dürfen uns an keiner Stelle von Putin unter Druck setzen lassen.

Die Angst im Land vor wirtschaftlichen, aber auch militärischen Folgen für Deutschland wird größer. Wie begegnen Sie diesen Ängsten?

Indem ich mit den Bürgerinnen und Bürgern den Dialog suche und wir als Politik konsequent handeln. Wir müssen uns bewusst machen: Putin führt einen brutalen Angriffskrieg und setzt Energie als Waffe ein. Und er wird nicht aufhören, wenn wir nachlassen in unserer Solidarität. Es wird weitergehen. Deswegen müssen wir den teils russischen Narrativen so entschieden entgegentreten. Wir werden die Annexion besetzter Gebiete in der Ostukraine niemals akzeptieren.

Herr Merz hat von „Sozialtourismus“ mit Blick auf Ukraine-Flüchtlinge gesprochen, sich dafür entschuldigt. Die Zahlen der Flüchtlinge steigt jedoch massiv an, die ersten Turnhallen werden wieder geöffnet, die Kommunen klagen über zu hohe Belastungen. Ist das nicht ein Problem für ein jetzt ohnehin bedrängtes Land?

Das war keine Entschuldigung, sondern ein Zurückrudern unter Druck. Ich kenne solche rhetorischen Muster von der AfD. Das ist unanständig für einen Vorsitzenden der Partei von Angela Merkel. Sie hätte niemals Politik auf dem Rücken von Geflüchteten gemacht. Friedrich Merz will vor der Landtagswahl in Niedersachsen Stimmen am rechten Rand fischen. Aber das ist nicht aufgegangen. Die Menschen in unserem Land sind klüger, als Friedrich Merz denkt.

carlocoin
3. Oktober 2022 - 18.55

Et misst emol en Ruck durch d'SPD goen