Das endlose Warten auf die seit Jahren gelobte Abschaffung der Visapflicht hat bei den Betroffenen unübersehbare Spuren hinterlassen. Eher ungläubig als begeistert reagierten die von heimischen TV-Teams befragten Kosovaren in der Warteschlange vor dem Schweizer Konsulat in Pristina auf die frohe Kunde aus Straßburg vom baldigen Ende aller Wartequalen. „Schön wäre es, aber persönlich kann ich nicht daran glauben“, so der Familienvater Adem Alijaj.
Jubelstürme über die überfällige Aufhebung der Visapflicht sind bei dem seit 2008 unabhängigen Staatenneuling zwar ausgeblieben. Doch die Erleichterung im letzten Visumreservat auf dem Balkan über den baldigen Wegfall der zeitraubenden und kostspieligen Visumsprozedur bei Reisen ins Schengenreich ist groß: Spätestens ab dem 1. Januar 2024 sollen auch die 1,7 Millionen Kosovaren für 90 Tage in die Staaten der Schengenzone ohne Visa einreisen können – wie fast alle anderen Europäer auch.
„Endlich werden sich unsere Bürger gleichberechtigt mit den anderen europäischen Nationen fühlen“, freute sich Staatschefin Vljosa Osmani. Begeistert reagierte auch die EU-Mission in Pristina in einer Erklärung zum verspäteten grünen Reiselicht für die Bewohner ihres Gastlandes: „Großartige Nachrichten – für Kosovo und die EU!“
89 Millionen Euro für Reisevisa in fünf Jahren
Dabei waren es zögerliche EU-Partner wie Frankreich oder die Niederlande, die mit kräftigen Tritten auf die Liberalisierungsbremse die Isolierung des Kosovo lange noch verstärkten. Die Visapflicht wurde für die benachbarten EU-Anwärter Montenegro, Nordmazedonien und Serbien bereits 2009 aufgehoben, bevor 2010 auch noch Albanien und Bosnien und Herzegowina folgten. Während die Moldawier seit 2014 und die Georgier und Ukrainer seit 2017 weitgehend visafrei durch Europa reisen können, stehen sich die Kosovaren noch immer vor den Auslandskonsulaten die Beine in den Bauch.
Zwar hatte die EU-Kommission bereits 2018 alle der gestellten Bedingungen für den Wegfall der Visapflicht für erfüllt erklärt. Doch auch die Tatsache, dass noch immer fünf EU-Staaten die Eigenstaatlichkeit des Kosovo nicht anerkannt haben, verzögerte die von Brüssel schon lange zugesagte Reiseliberalisierung: Schätzungen zufolge hatten die Bewohner des bitterarmen Balkanstaats allein in den letzten fünf Jahren 89 Millionen Euro für Reisevisa und den dafür nötigen Papierberg zu berappen.
Erst der Ukrainekrieg hat die EU-Partner aus Angst vor einem Ausweiten des russischen Einflusses auf dem Westbalkan an die Notwendigkeit erinnert, die ermatteten Kosovaren nicht weiter endlos in der Warteschleife hängen zu lassen. Sorgen, dass der Wegfall der Visapflicht den Exodus junger Kosovaren in den Westen beschleunigen könnte, werden zumindest von dem Bürgerrechtler Veton Mujaj in Peja (Pec) nicht geteilt: „Wenn unsere jungen Leute reisen können, werden sie endlich ein realistisches Bild erhalten, wie das Leben im Westen ist.“
De Maart
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