EuropaSorgen vor Erstarken der Rechtsextremen vor den Wahlen in Italien

Europa / Sorgen vor Erstarken der Rechtsextremen vor den Wahlen in Italien
EVP-Präsident Manfred Weber (r.) unterstützt im italienischen Wahlkampf seinen Parteifreund Silvio Berlusconi und dessen Partei Forza Italia, die sich wiederum den Postfaschisten der Fratelli d’Italia angedient hat  Fotos: dpa/Montage: Editpress

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Ungarn und Polen machen der EU seit Jahren Sorgen, Schweden vollzog kürzlich einen Rechtsruck, und diesen Sonntag dürfte es mit Italien auch das erste große EU-Gründerland treffen. Warum erstarken die Rechtspopulisten und Postfaschisten? Und wie gehen die Parteien der Mitte in Europa damit um?

Wenn Gabriele Bischoff, die Vizevorsitzende der Sozialdemokraten im Europa-Parlament, auf die Entwicklung in Schweden und Italien schaut, liegen für sie die aktuellen Ursachen klar auf der Hand: „Wir sind in Europa von der Corona-Pandemie direkt in die nächste Krise geschlittert“, stellt die SPD-Politikerin fest. Viele Menschen müssten ihr mühsam Erspartes aufbrauchen oder sich am Ende des Monats fragen, wie sie über die Runden kommen sollen. „Das ist ein idealer Nährboden für rechtspopulistische Parteien, die aus den Sorgen der Menschen Profit schlagen“, erläutert die Europa-Abgeordnete.

Dieser Nährboden hat im Norden der EU die ursprünglich aus der Neonazi-Szene hervorgegangenen Schwedendemokraten vor zwei Wochen auf 20,5 Prozent anwachsen lassen und die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson zum Rücktritt veranlasst. Der Erfolg der Rechtspopulisten war auch im Mitte-rechts-Lager überraschend. Der Parteichef der Moderaten, Ulf Kristersson, hatte lediglich mit Hilfe der Schwedendemokraten als Mehrheitsbeschaffer regieren wollen – nun wurde er von ihnen sogar überholt und musste den Platz der zweitstärksten schwedischen Partei (hinter den Sozialdemokraten) räumen. Zwar verkündeten die Christdemokraten als weitere im Bunde, die Schweden hätten „für den Machtwechsel gestimmt“. Dennoch lassen etwa die Liberalen noch Zweifel erkennen, ob der Drei-Stimmen-Vorsprung wirklich zu einer stabilen Mitte-rechts-Regierung führt.

Das ist problematisch auch für die EU, denn Schweden übernimmt zu Jahresbeginn die EU-Ratspräsidentschaft. Instabile Verhältnisse und unklarer Einfluss von EU-Skeptikern in Schweden könnten leicht das Vorankommen der gesamten Union gefährden. Erst recht gilt das, wenn nach den Wahlen an diesem Sonntag die 45-jährige Giorgia Meloni mit ihren Brüdern Italiens die Regierungsgeschäfte der drittstärksten Volkswirtschaft in der EU übernimmt. Eine Bewunderin des Anti-Europäers Viktor Orbán in Ungarn würde dann die Nachfolge des Pro-Europäers Mario Draghi, des vormaligen Chefs der Europäischen Zentralbank, übernehmen. Das würde sofort zu Spannungen führen, machen Meloni und ihre Bündnispartner von Lega und Forza doch Stimmung mit der Ankündigung von Steuersenkungen auf Kosten neuer Verschuldung. Doch schon jetzt droht der italienische Schuldenberg unbeherrschbar zu werden und die gesamte EU zu destabilisieren.

Soziale Netze fördern extremistische Positionen

In Brüssel hoffen viele Rechtspopulisten, dass ihnen Schweden und Italien Schwung für die Europawahlen in anderthalb Jahren verleihen. Noch sind sie in zwei Fraktionen und etliche fraktionslose Abgeordnete zersplittert. Meloni, so wird spekuliert, könnte die EU-skeptischen Kräfte bündeln und die Sozialdemokraten vom Platz der zweitgrößten Fraktion verdrängen.

Für Nicola Beer, die Vizepräsidentin des Europa-Parlamentes, ist das Anlass für Alarmstimmung. „Dass jetzt extremistische Parteien quer durch die EU immer stärker an Oberwasser gewinnen, muss uns in höchste Alarmbereitschaft versetzen“, sagt die FDP-Politikerin. Es handele sich um ein „Notsignal“. Die gesellschaftliche Verfasstheit sei angespannt, der Boden des sozialen und demokratischen Friedens inzwischen „hauchdünn“. Die Parteien der Mitte müssten darauf „schlüssig und schnell“ reagieren – und zwar „ohne ideologische Nebenschauplätze“.

Beer mahnt ihre Kolleginnen und Kollegen in der demokratischen Mitte, sich zuvorderst darum zu kümmern, dass „Energie verfügbar und bezahlbar bleibt und Lebensmittel erschwinglich“. Das dürfe nicht mit „Subventionslawinen“ geschehen, sondern mit strukturellen Reformen, etwa mit Blick auf ein verbessertes Strommarktdesign. Beer: „Es geht jetzt auch nicht darum, Nachfrage zu stimulieren, auch wenn extremistische Ränder mit einfachen Rezepten werben – Schulden retten keine Arbeitsplätze.“ Vielmehr müsse es in der aktuellen Krise gelingen, das Angebot, gerade bei Energie, zu vergrößern, damit die Preise zu drücken und so für eine erste Entspannung zu sorgen.

EVP-Chef macht Wahlkampf für Berlusconi

Auf eine weitere Ursache für den Aufschwung der Rechtspopulisten verweist Grünen-Digitalexpertin Alexandra Geese. „Bisher pushen die sozialen Netzwerke extremistische Positionen stärker als sachliche Informationen“, erläutert die Europa-Abgeordnete aus Bonn. Plattformen wie Facebook und Youtube strichen höhere Gewinne ein, wenn die Menschen länger am Bildschirm blieben. Das funktioniere am besten mit polarisierenden und aufstachelnden Inhalten. Dieses Geschäftsmodell sei somit „demokratiefeindlich, denn es begünstigt extremistische Positionen“. Geeses Empfehlung: „Mit der neuen europäischen Internet-Gesetzgebung, die kurz vor der Umsetzung steht, haben wir Instrumente in der Hand, um solche Risiken für die Demokratie einzudämmen.“

In Schweden haben die Konservativen eine Partei mit neonazistischen Wurzeln hoffähig gemacht. Sie haben die Narrative der extremen Rechten übernommen und damit legitimiert.

Gabriele Bischoff, S&D-Abgeordnete im EU-Parlament

Auf ein aufschlussreiches Phänomen im rechten Lager macht Bischoff aufmerksam. „In Schweden haben die Konservativen eine Partei mit neonazistischen Wurzeln hoffähig gemacht. Sie haben die Narrative der extremen Rechten übernommen und damit legitimiert. Das hat sie selbst geschwächt“, analysiert die Sozialdemokratin. Nach jüngsten Umfragen zeichnet sich Ähnliches für Italien ab. Die Lega von Matteo Salvini liegt fünf Prozentpunkte hinter ihrem letzten Ergebnis, Forza Italia von Silvio Berlusconi sogar sechs. Dafür werden Melonis Postfaschisten über 20 Prozentpunkte mehr zugetraut.

„Die Parteien der Mitte müssen sicherstellen, dass die Brandmauer gegen Rechtspopulisten und Postfaschisten stabil bleibt“, lautet der Schluss für Bischoff. Der EVP-Fraktionschef und einflussreiche Chef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, hatte indes kein Problem damit, Wahlkampf für Berlusconi zu machen. Für den, der mit Meloni regieren will.

Jill
24. September 2022 - 11.50

Die rechten Wähler/Parteien sollen das Problem sein, dabei sind sie nur das Resultat von ungelösten Problem und Nöten innerhalb der Bevölkerung. Das wahre Problem sind die etablierten Parteien die diese Sorgen nicht ernst nehmen, die wahren Missstände verheimlichen oder beschönigen. Auch in diesem Artikel wird mit keinem Wort erwähnt, wieso es in Schweden zu diesem Wahlresultat kam.

Phil
24. September 2022 - 5.39

Wenn das Volk sich von der aktuellen Politiklandschaft im Stich gelassen fühlt, ist es nicht verwunderlich wenn die Bürger sich nach Alternativen umschauen.

JJ
23. September 2022 - 14.54

Bunga Bunga Berlusconi kann physisch eiskalt mit der Mumie von Ramses II mithalten. Und und er lebt noch.Berlusconi,nicht Ramses. Aber politisch war Ramses doch eine andere Nummer als der Partyhecht. Gerne erinnert man sich noch an Sylvio's Auftritt im Erdbebengebiet als er die Betroffenen mit "Camping macht Spaß" tröstete oder seine arroganten Auftritte bei EU-Treffen,wo die ganze Corona auf den Herrn aus Rom warten musste.Dann aber ereilte ihn ein Schicksalsschlag: Musste er doch "sozialen Dienst" leisten als Strafe für seine Eskapaden mit Minderjährigen.