Corona-Tagebuch (30)Sonntag, 19. April: I’m the bad guy

Corona-Tagebuch (30) / Sonntag, 19. April: I’m the bad guy
Billie Eilish, Idol einer ganzen Generation Foto: AP/dpa/Invision/Jordan Strauss

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Das Coronavirus beherrscht das Leben. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Eigentlich genau der richtige Zeitpunkt, um seine Gedanken mal wieder in einem Tagebuch niederzuschreiben. Was fällt uns auf, was empfinden wir und was erwarten wir? Das Corona-Tagebuch gibt Einblick in diese Gedankenwelt.

Liebes Tagebuch, heute will ich mal nicht von mir selbst berichten, sondern von Claire, meiner Teenie-Tochter. Die liegt momentan wahrscheinlich wach in ihrem Bett und kann nicht einschlafen. Es stimmt, bei uns haben sich die Hausregeln seit dem Lockdown ziemlich gelockert. So wird die Altersbeschränkung auf Netflix momentan des Öfteren ignoriert (heute haben wir „It“ geschaut), und auch bei Büchern wird nicht so genau hingesehen (sie liest momentan „Friedhof der Kuscheltiere“). Außerdem ist der nächtliche Zapfenstreich verlängert worden und es gibt nur noch eine leichte Handybeschränkung. 

Ich weiß, liebes Tagebuch, dass du das nicht gut findest, aber bitte bedenke, dass Claire ein Einzelkind ist und sicher sehr darunter leidet, ihre Freundinnen nicht treffen zu können. Dagegen ist sie ständig mit ihren ab und zu „peinlichen“, sicher aber ziemlich „uncoolen“ Eltern eingeschlossen. Als Abwechslung müssen Facebook-Live-Boxtrainings des BC Esch herhalten. Und die Spaziergänge mit Max im Wald. Fürs Gassigehen mit ihrem geliebten Hund hat sie sich sonst nie sonderlich interessiert, genauso wenig fürs Kochen. Das hat sich in Coronazeiten geändert, was schön ist. 

Jetzt aber ist Schluss mit lustig. War mit Claire in den letzten Wochen vor 12 Uhr mittags nicht zu rechnen, so sind exzessives Ausschlafen und stundenlanges Gammeln im eigenen Zimmer ab Montag passé. Die Osterferien sind vorbei und in ihrer Schule scheint man es nun ernst zu meinen mit dem Homeschooling. Jedenfalls steht am Montag eine Mathe- und VieSo-Stunde via Gruppenkonferenz auf dem Programm. Und zwar um 9 Uhr. Ich bin doch kein schlechter Vater oder gar Mensch, liebes Tagebuch, nur weil ich seit Tagen schon meine Schadenfreude über den frühen Beginn kaum verbergen kann und mir für Montag fest vorgenommen habe, mindestens eine Viertelstunde später aufzustehen als Claire – selbst wenn das für mich bedeutet, dass ich eine Zeit lang wach im Bett verharren muss? Ich denke nicht, ein bisschen Spaß muss auch in diesen traurigen Tagen sein und du weißt ja, dass nichts auf dieser Welt wichtiger für mich ist als Claire, nicht wahr, Tagebuch?

Mitleid ist also derzeit nicht von mir zu erwarten. Wenn ich aber daran denke, was sie alles momentan so verpasst, dann tut mir mein Teenie-Girl dann doch ein wenig leid. Zum Geburtstag und zu Weihnachten bekam sie Konzertkarten geschenkt. Einmal für Loredana und einmal für Billie Eilish. Alles abgesagt. O.k., ich brauch da jetzt nicht mit hin, aber Claire hatte sich riesig darauf gefreut, vor allem auf Billie Eilish. Apropos, jeder, der einen Teenager zu Hause sitzen hat, sollte diesen Instagram-Spruch kennen: „Billie Eilishs Musik ist für Teenager, die meinen, sie wären ‚Psycho’, aber in Wirklichkeit zu ängstlich sind, im Restaurant Ketchup nachzubestellen.“

Gerne würde ich momentan im Restaurant für Claire Ketchup nachbestellen. Restaurant-Besuche mit der Familie und sinnfreies Gelaber beim Bier mit den Kollegen auf den „Gradins“ des einzig wahren Fußballstadions des Landes sind das, was ich im Lockdown am meisten vermisse. Aber jetzt schreibe ich wieder von mir. Das wollte ich ja diesmal nicht – und deshalb höre ich jetzt auf. Vor dem Schlafengehen schleich ich mich aber noch vor Claires Tür und horche, ob sie schon schläft. Muss am Tag drauf schließlich früh raus, die Arme. In diesem Sinne: Gute Nacht, liebes Tagebuch!     

     

Das Tageblatt-Tagebuch

Das Leben ist, wie es ist. Corona hin oder her. Klar, die Situation ist ernst. Aber vielleicht sollte man versuchen, ein wenig Normalität in diesem Ausnahmezustand zu wahren. Deshalb veröffentlicht das Tageblatt seit dem 16. März (s)ein Corona-Tagebuch. Geschildert werden darin persönliche Einschätzungen, Enttäuschungen und Erwartungen verschiedener Journalisten.