Smart Cities: Selbstzweck oder zum Wohl der Städte?

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Die Idee der intelligenten Stadt – „Smart City“ – hat in den letzten Jahren unsere Fantasie beflügelt. Viele glauben, dass hier die Zukunft der Stadt liege. Die digitale Optimierung von Gebäuden, Kommunikations- und Verkehrsinfrastruktur begeistert Politiker, Wirtschaftsführer und die breite Öffentlichkeit. Alle wollen smart sein – ohne dass man jeweils wüsste, was genau eine Smart City ist.

Von Constance Carr*

Dies hat einen gewissen Wettlauf der Innovationen ausgelöst, wobei die Entwicklungsgeschwindigkeit ein solches Tempo erreicht hat, dass der Appetit der Technologieindustrie und der Städte, hier mitzuspielen, unersättlich erscheint. Die Digitalisierung ist insofern ein wichtiger Aspekt der Stadtentwicklungspolitik weltweit. Luxemburg bildet hier keine Ausnahme und strebt eine führende Position in der digitalen Entwicklung an.

Doch es geht um mehr, als nur auf die Bedürfnisse der Technologie-Industrie einzugehen. Denn eine wirklich intelligente digitale Revolution würde auch Investitionen in Bereiche erfordern, die nichts mit Digitalisierungskenntnissen zu tun haben. Manche Produktentwickler erkennen diese Herausforderung und fragen sich, zum Beispiel, wie ihre Innovationen auf die reale Welt des Konsumenten übertragen werden können. Andere finden es notwendig, die psychologische Schnittstelle zwischen Mensch und Technik zu verstehen.

Gesellschaft ist essenziell

Dies alles ist sicherlich wichtig – aber ebenso wichtig zu verstehen ist, wie man miteinander umgeht, wie die Entscheidungsfindung organisiert wird, wie Informationen verbreitet werden und wie Zugang zu Wohlstand ermöglicht wird. Dieses gesellschaftspolitische Bewusstsein ist nicht Teil des Standardstudiengangs Informatik oder der Ingenieursausbildung, bleibt aber ein wesentlicher Bestandteil der zukünftigen Smart City. Es entscheidet auch darüber, ob die Digitalisierung der Gesellschaft zugutekommt oder nicht. Kurz gesagt: Gesellschaft ist essenziell.

Denn auch die Schattenseiten der Auswirkungen der Technologie-Industrie auf die Städte sind bereits gut dokumentiert. Das Silicon Valley ist bekannt für seine explodierenden Immobilienpreise, was die Obdachlosigkeit verschärft sowie lange, mühsame Pendlerströme provoziert.

Wenn Big Tech die urbane Digitalisierung übernimmt

Seattle ist mit dem Hauptsitz von Amazon konfrontiert, der einen raschen Wandel der Bevölkerung und damit verbundenen Herausforderungen ausgelöst hat. Und es gibt immer mehr Hinweise aus China darauf, dass die digitale Revolution eine Konsolidierung der Staatsmacht und neue Strukturen der sozialen Kontrolle mit sich bringt.

Ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn die urbane Digitalisierung von Big Tech übernommen wird, ist das Quayside-Projekt in Toronto, Kanada. Im Jahr 2017 führte Waterfront Toronto – eine Regierungsbehörde, die für die Bodennutzung entlang des Seeufers der Stadt zuständig ist – einen Wettbewerb zur Entwicklung von 12 Hektar Land durch.

Der Gewinner war Sidewalk Labs, Tochter von Alphabet Inc. und Schwester von Google LLC, die erklärte, dass sie die ultimative Smart City der Welt bauen würde. Quayside würde Toronto an die Spitze der technologischen Entwicklung weltweit bringen, so Sidewalk Labs.

Miete mit Daten bezahlen

Aus Holz, flexibel, vielseitig, und klimapositive Passivhäuser, automatische Müllabfuhr, selbstfahrende Autos, Sensoren links und rechts zur Überwachung von Luftverschmutzung, Pendlerströmen und kommunalen Dienstleistungen, die technische Fantasie wurde in ansprechenden Aquarellbildern illustriert. Quayside würde die städtische Wirtschaftsentwicklung unterstützen. Quayside sollte sicherstellen, dass Wohnungen erschwinglich sind, und den Trend der Gentrifizierung umkehren.

Einige spekulieren, dass anstelle von Bargeld Miete mit Daten bezahlt würde. Die Quayside-Entwicklung sollte auch partizipativ sein und verschiedene Inputs durch öffentliche Rundtischgespräche, Nachbarschaftstreffen, Designjams und Kindercamps einbeziehen. Diese werden als „Interaktion mit der Nachbarschaft“ oder „Innovationen in der Regierungsführung“ bezeichnet – Skepsis ist jedoch angebracht, weil der gesamte Prozess von Sidewalk organisiert und gesteuert werden soll.

Nicht nur Begeisterung

Der Hype und die Pläne treffen entsprechend nicht überall auf Begeisterung. Tatsächlich geben eine Reihe von Stimmen Anlass zu ernsthafter Sorge. Die Datenschutzbeauftragte von Sidewalk trat zurück, nachdem sie festgestellt hatte, dass die Privatsphäre von Bewohnern und Besuchern nicht gewährleistet werden konnte.

Aufsichtsratsmitglieder der Toronto Waterfront sind aus Protest zurückgetreten, weil das Projekt die Bewohner entrechten und den öffentlichen Haushalt stark belasten würde. Die Provinz Ontario hat eine Reihe von Mitgliedern aus dem Vorstand der Toronto Waterfront entlassen, weil sie nicht im öffentlichen Interesse gehandelt haben. Die Canadian Civil Liberties Association hat zudem eine Klage gegen alle drei Regierungsebenen eingereicht, weil die Vereinbarungen mit Sidewalk Lab zu Fragen der Datenverwaltung weder im Interesse der Öffentlichkeit noch verfassungskonform sind.

Facebook-Mitbegründer warnt vor Alphabets Geschäftsmodell

Darüber hinaus schrieb Roger McNamee, Silicon-Valley-Financier und Facebook-Mitbegründer, einen offenen Brief an die Gemeindeverwaltung in Toronto: „Googles Ziel ist es, die Effizienz zu steigern, indem es alle menschlichen Erfahrungen in Daten umwandelt, diese Daten verwendet, um Verhaltensprognosen zu erstellen, die es an Vermarkter verkaufen kann, und dann seine Algorithmen verwendet, um menschliches Verhalten in eine Richtung zu lenken, die seinem Geschäft zugutekommt.“

Zusammen mit Jim Balsillie (Gründer von Blackberry) und Prof. Shoshana Zuboff, Autorin des Buches „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“, hat McNamee die Öffentlichkeit vor Alphabets Geschäftsmodell gewarnt. Mit #BlockSidewalk hat sich eine breite soziale Bewegung gebildet, an der Stadtplaner, Techniker, Wirtschaftsführer, Landentwickler sowie Politiker und Anwohner beteiligt sind. Gemeinsam wollen sie das Projekt stoppen.

Vertrauen der Menschen

Sidewalks Antwort bestand primär im Versuch, den öffentlichen Diskurs zu dominieren. Zuerst wurde die Kritik schlicht ignoriert. Dann veröffentlichte man einen 1.500 Seiten starken „Planungsentwurf“, der wegen seiner Komplexität kaum die Öffentlichkeit erreichen konnte und dessen Implikationen unüberschaubar sind. In jüngster Zeit unterdrückt Sidewalk den Widerstand, indem es kritische Stimmen als irregeführte Beschwerdeführer herabsetzt. Laut Sidewalk seien die Kritiker nicht nur falsch informiert, sondern auch schädlich für das öffentliche Interesse.

Keine dieser Strategien lässt die Bereitschaft erkennen, sich einer echten Debatte zu stellen oder sich mit einer Vielfalt von Meinungen auseinanderzusetzen. Im Gegenteil zeigt es, wie die großen Technologieunternehmen in der Lage sind, den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen und zu bestimmen. Diese Strategie ist nicht neu: Ähnlich wie Google ist Facebook ins Zentrum der Kritik geraten, will die Defizite und Risiken seines Geschäftsmodells jedoch weder offenlegen noch substanziell ändern. Die Menschen müssen ihnen einfach vertrauen.

Trojanisches Pferd

Die Digitalisierung des urbanen Raums kann daher ein Trojanisches Pferd sein. Sie kann aber auch positive Veränderungen bewirken. Barcelona ist hier ein führendes Beispiel. Barcelonas Smart-City-Strategie begann mit der Agenda für wirtschaftliche Entwicklung und Wachstum, und sie wurde entwickelt, um eine Handvoll ausgewählter Unternehmen zu begünstigen. Nach einem Regierungswechsel wurde der Fokus jedoch auf die Bereiche Bürgerkontrolle, digitale Ermächtigung und technologische Souveränität gelenkt. Lokale Probleme wurden untersucht, diskutiert und digitale Lösungen ausprobiert, die das städtische Leben verbessern und nicht nur ein bestimmtes Geschäftsmodell begünstigen sollten.

Die Geschichte von Barcelona ist aus mehreren Gründen wichtig. Erstens bestätigt sie, dass die Anwendungen der Smart City lokalspezifisch sind. Zweitens zeigt sich, dass es positive Ergebnisse der Digitalisierung gibt, wenn ein geeigneter Governance-Rahmen geschaffen wird. Drittens: die Steuerung von Strukturen und Werten ist wichtig. Fragen der Fairness, Gerechtigkeit, Teilung und Beteiligung können in das Smart-City-Design integriert werden.

Win-win-Szenarien

Hier in Luxemburg verfolgt das Wirtschaftsministerium die Vision einer intelligenten digitalen Spezialisierung, und die Hauptstadt präsentiert sich seit einiger Zeit als Smart-City-Bühne. Welche Art von Smart City wird hier entstehen? Wem wird es zugute kommen? Wird es das Leben für alle oder nur für einige wenige verbessern? Welche Ressourcen werden verbraucht und wer profitiert? Man muss fragen, ob die „Dritte Industrielle Revolution“ mehr bedeutet, als neue Märkte zu erschließen. Und: Während das Google-Datenzentrum in Bissen sicher eine wichtige Infrastruktur der Digitalisierung ist – es ist nicht ohne Risiken und Widersprüche, wie seine kritische Diskussion bereits bestätigt.

Es gibt Win-win-Szenarien, in denen Digitalisierung und Smart City sowohl den Unternehmen, den Städten als auch der Öffentlichkeit nutzen. Der Schlüssel dazu sind die Beziehungen zwischen sozio-institutionellen und technischen Akteuren. Die clevere und intelligente, digitale Stadt ist eine offene, partizipative und nicht-technisch dominierte Stadt.

*Constance Carr ist Post-Doc am Institut für Geografie und Raumplanung der Universität Luxemburg und Gastwissenschaftlerin am City Institute der York University in Toronto, wo sie derzeit die Rolle des Big Tech in der Stadtentwicklung untersucht. Unter urbanunbound.blogspot.com finden Sie aktuelle Informationen zu dieser Forschung.

Die Forschertagung

Vom 4. bis 9. August findet an der Uni Luxemburg das Jahrestreffen der IGU Urban Geography Commission statt. Es ist das erste Mal, dass diese Forschertagung in Luxemburg organisiert wird. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir in den nächsten Tagen mehrere Beiträge von Forschern des Instituts für Geografie und Raumplanung der Uni Luxemburg.

 

Reuter
10. August 2019 - 16.55

Was machen wir bloß mit 'Smart Cities' wenn 50% der Bevölkerung einen IQ von unter 100 haben?