Luxemburg-StadtSicherheit im Bahnhofsviertel: Wut und Frust der Anwohner

Luxemburg-Stadt / Sicherheit im Bahnhofsviertel: Wut und Frust der Anwohner
Die Bewohner kämpfen für ihr Viertel Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Die Versammlung zum Thema Sicherheit im hauptstädtischen Bahnhofsviertel am Mittwochabend machte vor allem wieder einmal sichtbar, dass die Bewohner die Nase voll haben, einerseits natürlich von der Unsicherheit im Viertel, andererseits aber auch von leeren Versprechungen. Seit der letzten Versammlung 2019 habe sich die Sicherheit im Viertel nicht verbessert, lautete der Tenor des Abends.

Am Mittwochabend trafen sich Politiker und Vertreter der Polizei zum wiederholten Male mit den Einwohnern des Bahnhofsviertels, um sich deren Sorgen anzuhören, und zum wiederholten Male machten die Bewohner ihrem Ärger Luft. Der Sportsaal war zwar nicht rappelvoll, aber doch gut besucht. Man kann sich leicht vorstellen, wie die Atmosphäre ohne Covid-19 gewesen wäre. Den Fragen rund um die Sicherheit stellten sich in den letzten Jahren schon mehrere Politiker. Am Mittwochabend war es der für die innere Sicherheit zuständige Minister Henri Kox („déi gréng“), der einer sehr aufgebrachten Menge entgegentrat. Neben ihm befanden sich Vertreter von Polizei, Staatsanwaltschaft und Außenministerium (Abteilung Immigration). Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) fungierte als Gastgeberin, und stellte gleich zu Beginn fest, die Situation im Viertel sei „net acceptabel“.

Ihnen gegenüber saßen ein paar Hundert Einwohner, die zwar verschiedene Fragen und Ansichten hatten, die jedoch ein Gefühl von Frust und Enttäuschung einte. Einer regte sich über die Drogendealer auf, ein anderer kritisierte die Untätigkeit der Polizei gegenüber den Obdachlosen, die in Hauseingängen schliefen, wiederum ein anderer sprach das Thema Prostitution an. Verärgert zeigten sich allerdings die meisten auch darüber, dass sie regelmäßig zu einer Versammlung gerufen werden, wo ihnen Maßnahmen versprochen werden, sich aber in ihrem Alltag nichts ändere. Ein Redner brachte es am Schluss auf den Punkt mit der Frage: „Et la même chose dans deux ans avec un autre ministre?“

Viel Applaus erhielt der Redner, wie fast alle Bewohner, die ihr Anliegen zur Sprache brachten. Beifall für die „offiziellen“ Vertreter gab es so gut wie keinen. Die Diskussionen waren zwar allgemein sachlich; von einigen Ausnahmen abgesehen hatten die meisten Redner ihre Emotionen unter Kontrolle, doch der Frust in ihren Stimmen war nicht zu überhören. Sie wollten Konkretes hören, doch sie würden wieder nur „Statistiken und Grafiken“ bekommen, lautete eine Kritik.

Während die Vertreter von Polizei und Staatsanwaltschaft ihre Arbeit gegen die Drogenkriminalität in den Vordergrund stellten, gab Henri Kox zu, dass die Versäumnisse in dem Bereich zehn bis fünfzehn Jahre zurückreichen, und er nicht in kurzer Zeit alles ändern könnte. Er erwähnte die laufende Rekrutierungskampagne, wobei innerhalb von fünf Jahren die Zahl der Polizeibeamten um ein Viertel erhöht werden soll. Staatsanwalt Georges Oswald bemerkte in diesem Zusammenhang, dass man leider bis dato nicht daran gedacht habe, auch gleichzeitig die Anzahl der Staatsanwälte zu erhöhen.

Vonseiten der Polizei kam die Versicherung, dass zu ihren Prioritäten, gemäß den Wünschen der Bürger, eine stärkere Präsenz im Viertel gehört. Minister Henri Kox erwähnte das Gesetzesprojekt, das er kürzlich (8.11.2021) auf den Instanzenweg gebracht hat: Die Polizei soll demnach die Möglichkeit erhalten, Obdachlose aus Hauseingängen auch physisch zu entfernen. Sein Ausdruck „ein paar Meter weiter wegzubewegen“ brachte allerdings einige Anwesende auf die Palme: Ihrer Ansicht nach ändere das nichts am Problem.

Da das Drogenproblem eine nationale Herausforderung sei, plädierte Kox für eine Dezentralisierung von Strukturen wie „Abrigado“. Anfang kommenden Jahres treffe er sich diesbezüglich mit Vertretern von Ettelbrück und Esch. Kameras seien ein weiteres Hilfsmittel zur Verbesserung der Sicherheit. Es werde analysiert, inwiefern die bereits installierten Kameras im öffentlichen Raum von Nutzen waren, und wo noch eventuell weitere nötig seien.

Die Frage der privaten Sicherheitsfirma

Einer der ersten Bewohner, der ans Mikro trat, forderte die Anwesenden auf, sie sollten die Hand heben, wenn sie den Einsatz einer privaten Sicherheitsfirma befürworteten: Einige bekundeten ihre Zustimmung durch Applaus, doch ein Zwischenrufer bremste die Initiative aus: Das Publikum wäre nicht als „Applaudimeter“ für eine Privatfirma gekommen. Auch er erhielt Beifall. Minister Kox sprach sich zum wiederholten Male entschieden gegen private Sicherheitsbeamte im öffentlichen Raum aus: Das sei in unserem Rechtsstaat nicht zulässig. Kox verwies auf eine entsprechende Entscheidung des Staatsrats. Bürgermeisterin Polfer konterte, es sei doch Aufgabe der Gemeinde, die Sicherheit ihrer Bürger zu gewährleisten.

Außer einem Redner brachte niemand die Privatfirma ins Gespräch: Viele verlangten hingegen, dass die Polizei ihre Sicherheit garantiere. Eine Anwohnerin meinte, genau das sei doch die Aufgabe der Polizei. Sie sprach von einem Gefühl der „Hoffnungslosigkeit“, wenn trotz „Beweisen“ nichts gegen Straftäter unternommen werde. In vielen Äußerungen spürte man auch Frust über den Niedergang eines multikulturellen Viertels mit positivem Potenzial.

Lag allen Rednern ihre Sicherheit am Herzen, wiesen einige aber auch auf die soziale Komponente des Problems hin, für die vonseiten der Politik keine Antwort kam. Wohin z.B. mit einem Obdachlosen, wenn er aus einem Hauseingang verjagt wird? Warum können sich die Abhängigen ihre Drogen nicht in der Apotheke besorgen? Obwohl die Drogenproblematik das beherrschende Thema des Abends war, sprachen einige Bewohner die Prostitution an. Jeder der wolle, könne sehen, wer die Frauen zur Arbeit fahre. Warum sehe die Polizei es nicht? Und warum würde die Prostitution nicht wieder, wie es mal der Fall war, auf ein paar Straßen begrenzt? Fragen, auf die das Podium die Antworten schuldig blieb.

Mehr als nur Sicherheitsfragen

Anwesende Gemeindepolitiker im Saal waren sich insofern einig, als sie den „ras le bol“ der Leute verstanden. François Benoy, Gemeinderatsmitglied für „déi gréng“, sagte, der Frust der Bewohner sei durchaus nachvollziehbar. Ihm zufolge sei Minister Kox klar seiner Verantwortung gerecht geworden, in dem er für eine Aufstockung der Polizei sorgte. Es sei aber klar, dass Repression allein nicht helfe. Er habe Vertreter des Gesundheitsministers und des Sozialministeriums vermisst. Er plädierte wie Henri Kox für eine Dezentralisierung von Hilfsstrukturen für Abhängige und mehr Hilfe für Obdachlose wie z.B. „Housing first“.

In die gleiche Kerbe schlug Guy Foetz („déi Lénk“). Auch er zeigte Verständnis für den Frust der Anwohner, doch das Problem sei vielschichtiger, um es auf den Sicherheitsaspekt zu reduzieren. „Das Thema der privaten Sicherheitsfirma ist für die Anwohner nicht prioritär“, stellte er fest. Auch seine Partei fordert dezentrale Unterstützungsstrukturen für Abhängige. Allgemein habe er die sozialen und sanitären Aspekte wie auch urbanistische Ansätze bei den Lösungsvorschlägen vermisst. Er unterstrich, dass seine Partei entschieden gegen private Sicherheitsmaßnahmen sei, die in einem Rechtsstaat unzulässig seien. Guy Foetz hatte als eine von zwei Personen Beschwerde beim Verwaltungsgericht gegen die Einstellung einer privaten Sicherheitsfirma eingelegt.

Die CSV meldete sich mit einer Pressemitteilung zu Wort, in der sie „vollstes Verständnis für die Unzufriedenheit der Bürger“ zeigt, und sich in ihrer Kritik an der Sicherheitspolitik bestätigt fühlt. Der Platzverweis „light“, wie er von der Regierung vorgeschlagen wird, reiche ihr nicht aus. Die Partei fordert mehr Videoüberwachung und systematische Polizeipatrouillen an den Brennpunkten. Die CSV-Fraktion im Parlament fordert eine Dringlichkeitssitzung der zuständigen Kommissionen zusammen mit Justiz- und Polizeiminister.

Dass Polizeipräsenz nur ein Teil der Lösung sein kann, ist allerdings auch einigen Anwohnern klar. Eine Rednerin brachte den kulturellen Abstieg des Viertels mit der sozialen Misere in Verbindung. Früher gab es im Viertel Kinos, heute traue sich niemand mehr dorthin, wenn er nicht gerade da wohne. Und eine Umfrage Anfang dieses Jahres zeigte, dass den Bewohnern so einfache Dinge wie z.B. Straßenbeleuchtung auch wichtig sind.

Minister Henri Kox hatte einen schweren Stand
Minister Henri Kox hatte einen schweren Stand Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante