„Die Welt sieht uns zu“: Die Oscars in unruhigen Zeiten

„Die Welt sieht uns zu“: Die Oscars in unruhigen Zeiten

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Mehr als drei Stunden mussten die Oscarzuschauer warten. Dann ist endlich der Moment gekommen, auf den alle den ganzen Abend über gewartet haben: Frances McDormand ist gerade als beste Hauptdarstellerin für ihre Rolle in der Tragikomödie „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ ausgezeichnet worden – da stellt sie die Trophäe auch schon wieder neben sich auf den Boden. „Ich habe einiges zu sagen.“

Die Zuschauer im Saal und an den Fernsehbildschirmen halten den Atem an. „An alle weiblichen Nominierten: Steht bitte mit mir auf“, fordert die 60-Jährige die Anwesenden auf. Und als unter euphorischem Jubel die wenigen nominierten Frauen aufstehen, wird mit einem Schlag das Ungleichgewicht dieser Oscarshow klar: Nachdem Hollywood monatelang von Missbrauchsvorwürfen und Debatten um mehr Gleichberechtigung von Frauen und Minderheiten erschüttert worden war, bleibt bei diesen Oscars doch vieles beim Alten.

Werden die Preise den Wunsch nach mehr Vielfalt widerspiegeln? Und welche Rolle werden die drängenden politischen und gesellschaftlichen Themen spielen? Diese Fragen stellten sich vorab viele. Der große Paukenschlag aber blieb bei der 90. Oscarverleihung aus. Die Show wirkte, als habe jemand die Handbremse angezogen. Bis auf einen Einspieler, der für mehr Vielfalt im Filmgeschäft plädierte, schien alles mit Vorsicht geplant und einstudiert. Die erste Show nach dem spektakulären Fall von Produzentenmogul Harvey Weinstein kam brav, wenn nicht sogar behäbig daher.

Keine politische Veranstaltung

Viele Gäste hatten sich zwar „Time’s Up“-Nadeln angesteckt und zeigten sich auf diese Weise solidarisch mit der Bewegung gegen sexuellen Missbrauch. Doch dann war es vor allem Moderator Jimmy Kimmel, der ein paar böse Spitzen verteilte. „Oscar ist derzeit der beliebteste und am meisten respektierte Mann“, witzelte der 50-Jährige und ergänzte: „Er hält seine Hände dort, wo man sie sehen kann.“ Er sei nie unflätig und man sehe keinen Penis. „Das ist ein Mann, von dem wir mehr in dieser Stadt brauchen.“ Viel mehr als diese gut dosierte Kritik gab es nicht. Anders als bei den Golden Globes wurde US-Präsident Donald Trump sogar mit keinem Wort erwähnt.

Allerdings, und das muss man eben auch festhalten, wollen die Oscars gar keine politische Veranstaltung sein. Vielmehr sollen mit Hollywoods höchster Auszeichnung traditionell die Filme und herausragende Leistungen gewürdigt werden – und diesem Anspruch wurde die Gala auch gerecht. Immerhin gewann mit „Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“ das fantasievollste, einfallsreichste und originellste Werk völlig gerechtfertigt die Trophäe als bester Film. Der Mexikaner Guillermo del Toro wurde für seine Kinovision und die Erschaffung dieses Fantasy-Märchens gleich noch als bester Regisseur geehrt; zwei weitere Preise gab es für die Filmmusik und das Produktionsdesign.

Was wird bleiben?

Den einen großen Gewinner suchte man jedoch vergebens. Stattdessen wurden die Preise an viele verschiedene Filme verteilt: So jubelten Frances McDormand und Sam Rockwell über die Trophäen als beste Hauptdarstellerin beziehungsweise bester Nebendarsteller in dem gesellschaftskritischen Beitrag „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“.

Was aber wird von dieser Oscar-Nacht bleiben? Die Fans, die im benachbarten Kino die Liveübertragung der Show schauten, werden sicher noch lange von ihrer Überraschung erzählen, als plötzlich Jimmy Kimmel mit Stars wie Mark Hamill, Emily Blunt und del Toro vor ihnen stand und Snacks verteilte. Und Regisseur und Autor Jordan Peele schrieb Oscargeschichte, als er als erster Afro-Amerikaner den Preis für das beste Drehbuch zur Horror-Komödie „Get Out“ gewann.

Nach einem turbulenten Jahr für die Filmindustrie blieb die Oscarverleihung insgesamt aber hinter den Erwartungen zurück. „Die Welt sieht uns zu, wir müssen ein Beispiel setzen“, hatte Moderator Kimmel anfangs noch gesagt und damit auch auf die Forderungen nach mehr Vielfalt angespielt. Viel trugen die Oscars selbst nicht dazu bei. Stattdessen muss sich in den nächsten Monaten und Jahren nun zeigen, dass all diese Diskussionen und Debatten nicht nur Lippenbekundungen sind, sondern dass sich in Hollywood tatsächlich auch nachhaltig etwas verändert.

Die Gewinner in den 24 Kategorien:

Bester Film

„Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“

Nominiert: „Call Me by Your Name“, „Darkest Hour“, „Dunkirk“, „Get out“, „Lady Bird“, „Phantom Thread“, „The Post“, „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“

Beste Regie

Guillermo del Toro für „Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“

Nominiert: Christopher Nolan – „Dunkirk“, Jordan Peele – „Get Out“, Greta Gerwig – „Lady Bird“, Paul Thomas Anderson – „Der seidene Faden“ („Phantom Thread“)

Bester Hauptdarsteller

Gary Oldman für „Die dunkelste Stunde“

Nominiert: Timothée Chalamet – „Call Me by Your Name“, Daniel Day-Lewis – „Der seidene Faden“ („Phantom Thread“), Daniel Kaluuya – „Get Out“, Denzel Washington – „Roman J. Israel, Esq. – Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“

Beste Hauptdarstellerin

Frances McDormand für „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“

Nominiert: Sally Hawkins – „Das Flüstern des Wassers“ („The Shape of Water“), Margot Robbie – „I, Tonya“, Saoirse Ronan – „Lady Bird“, Meryl Streep – „Die Verlegerin“ („The Post“)

Beste Nebendarstellerin

Allison Janney für „I, Tonya“

Nominiert: Mary J. Blige – „Mudbound“, Lesley Manville – „Der seidene Faden“ („Phantom Thread“), Laurie Metcalf – „Lady Bird“, Octavia Spencer – „Shape of Water“ („Das Flüstern des Wassers“)

Bester Nebendarsteller

Sam Rockwell für „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“

Nominiert: Willem Dafoe – „The Florida Project“, Woody Harrelson – „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“, Richard Jenkins – Shape of Water („Das Flüstern des Wassers „), Christopher Plummer – „Alles Geld der Welt“ („All the Money in the World“)

Bester nicht-englischsprachiger Film

„Eine fantastische Frau“ von Sebastián Lelio-Chile

Nominiert: „The Insult“ (قضية رقم ٢٣) von Ziad Doueiri – Libanon, „Körper und Seele“ (Testről és lélekről) von Ildikó Enyedi – Ungarn, „Loveless“ (Нелюбовь) von Andrei Swjaginzew – Russland, „The Square“ von Ruben Östlund – Schweden

Beste Kamera

Roger A. Deakins für „Blade Runner 2049“

Bruno Delbonnel – „Die dunkelste Stunde“ („Darkest Hour“), Hoyte van Hoytema – „Dunkirk“, Rachel Morrison – „Mudbound“, Dan Laustsen – „Shape of Water“ (Das Flüstern des Wassers“)

Original-Drehbuch

Jordan Peele für „Get Out“

Nominiert: Emily V. Gordon und Kumail Nanjiani – „The Big Sick“, Greta Gerwig – „Lady Bird“, Guillermo del Toro und Vanessa Taylor – „Das Flüstern des Wassers“ („The Shape of Water“), Martin McDonagh – „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“

Adaptiertes Drehbuch

James Ivory für „Call Me by Your Name“

Nominiert: Scott Neustadter und Michael H. Weber – „The Disaster Artist“, Scott Frank, James Mangold und Michael Green – „Logan-The Wolverine“, Aaron Sorkin – „Molly’s Game“, Virgil Williams und Dee Rees – „Mudbound“

Schnitt

Lee Smith für „Dunkirk“

Paul Machliss und Jonathan Amos – „Baby Driver“, Tatiana S. Riegel – „I, Tonya“, Sidney Wolinsky – „Das Flüstern des Wassers“ („The Shape of Water“), Jon Gregory – „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“

Filmmusik

Alexandre Desplat für „Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“

Nominiert:  Hans Zimmer – „Dunkirk“, Jonny Greenwood – „Der seidene Faden“ („Phantom Thread“), John Williams – „Star Wars: Die letzten Jedi“ („Star Wars: The Last Jedi“), Carter Burwell – „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“

Filmsong

„Remember Me“ aus dem Film „Coco“

Nominiert: „Mystery of Love“ aus „Call Me by Your Name“ von Sufjan Stevens, „This Is Me“ aus „The Greatest Showman“ von Benj Pasek und Justin Paul, „Stand Up for Something“ aus „Marshall“ von Diane Warren, Lonnie R. Lynn und Diane Warren, „Mighty River“ aus „Mudbound“ von Mary J. Blige, Raphael Saadiq und Taura Stinson

Produktionsdesign

Paul Denham Austerberry (Production Design), Shane Vieau und Jeffrey A. Melvin (Set Decoration) für „Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“

Nominiert: Sarah Greenwood und Katie Spencer – „Die Schöne und das Biest“ („Beauty and the Beast“), Dennis Gassner und Alessandra Querzola – „Blade Runner 2049“, Sarah Greenwood und Katie Spencer – „Die dunkelste Stunde“ („Darkest Hour“), Nathan Crowley und Gary Fettis – „Dunkirk“

Tonschnitt

Richard King und Alex Gibson für „Dunkirk“

Nominiert: Julian Slater – „Baby Driver“, Mark A. Mangini und Theo Green – „Blade Runner 2049“, Nathan Robitaille und Nelson Ferreira – „Das Flüstern des Wassers“ („The Shape of Water“), Matthew Wood und Ren Klyce – „Star Wars: Die letzten Jedi“ („Star Wars: The Last Jedi“)

Tonmischung

Gregg Landaker, Gary A. Rizzo und Mark Weingarten für „Dunkirk“

Nominiert: Julian Slater, Tim Cavagin und Mary H. Ellis – „Baby Driver“, Ron Bartlett, Doug Hemphill und Mac Ruth – „Blade Runner 2049“, Christian Cooke, Brad Zoern und Glen Gauthier – „Das Flüstern des Wassers“ („The Shape of Water“), David Parker, Michael Semanick, Ren Klyce und Stuart Wilson – „Star Wars: Die letzten Jedi“ („Star Wars: The Last Jedi“)

Visuelle Effekte

Gerd Nefzer, John Nelson, Paul Lambert und Richard R. Hoover für „Blade Runner 2049“

Nominiert: Christopher Townsend, Guy Williams, Jonathan Fawkner und Dan Sudick – „Guardians of the Galaxy Vol. 2“, Stephen Rosenbaum, Jeff White, Scott Benza und Mike Meinardus – „Kong: Skull Island“, Joe Letteri, Daniel Barrett, Dan Lemmon und Joel Whist – „Planet der Affen: Survival (War for the Planet of the Apes)“, Ben Morris, Mike Mulholland, Neal Scanlan und Chris Corbould – „Star Wars: Die letzten Jedi“ („Star Wars: The Last Jedi“)

Animationsfilm

„Coco“ von Lee Unkrich

Nominiert: „The Boss Baby“ – Tom McGrath und Ramsey Ann Naito, „The Breadwinner“ – Nora Twomey und Anthony Leo, „Ferdinand – Geht STIERisch ab!“ („Ferdinand“) – Carlos Saldanha und Lori Forte, „Loving Vincent“ – Dorota Kobiela, Hugh Welchman und Ivan Mactaggart

Animations-Kurzfilm

„Dear Basketball“ von Glen Keane

Nominiert: „Garden Party“ – Victor Caire und Gabriel Grapperon, „Lou“ – Dave Mullins und Dana Murray, „Negative Space“ – Max Porter und Ru Kuwahata, „Es war einmal … nach Roald Dahl“ („Revolting Rhymes“) – Jakob Schuh und Jan Lachauer

Dokumentarfilm

„Icarus“ von Bryan Fogel

Nominiert: „Abacus: Small Enough to Jail“ – Steve James, Mark Mitten und Julie Goldman,
„Augenblicke: Gesichter einer Reise (Visages Villages)“ – Agnès Varda, JR und Rosalie Varda, „Die letzten Männer von Aleppo (آخر الرجال في حلب)“ – Feras Fayyad, Kareem Abeed und Søren Steen Jespersen, „Strong Island“ – Yance Ford und Joslyn Barnes

Dokumentar-Kurzfilm

„Heaven Is a Traffic Jam on the 405“ von Frank Stiefel

Nominiert: „Edith+Eddie“ – Laura Checkoway und Thomas Lee Wright, „Heroin(e)“ – Elaine McMillion Sheldon und Kerrin Sheldon, „Knife Skills“ – Thomas Lennon, „Traffic Stop“ – Kate Davis und David Heilbroner

Make-up/Frisur

Kazuhiro Tsuji, David Malinowski und Lucy Sibbick für „Die dunkelste Stunde“

Nominiert: Daniel Phillips und Loulia Sheppard – „Victoria & Abdul“, Arjen Tuiten – „Wunder“ („Wonder“)

Kostümdesign

Mark Bridges für „Der seidene Faden“

Nominiert: Jacqueline Durran – „Die Schöne und das Biest“ („Beauty and the Beast“), Jacqueline Durran – „Die dunkelste Stunde“ („Darkest Hour“), Luis Sequeira – „Das Flüstern des Wassers“ („The Shape of Water“), Consolata Boyle – „Victoria & Abdul“

Kurzfilm

„Silent Child“ von Chris Overton

Nominiert: „DeKalb Elementary“ – Reed Van Dyk, „The Eleven O’Clock“ – Derin Seale und Josh Lawson, „My Nephew Emmett“ – Kevin Wilson, Jr., „Watu Wote – All of us“ – Katja Benrath und Tobias Rosen