Regionales Saatgut: In der Grauzone SEED arbeitet für die Erhaltung regionaler Obst- und Gemüsesorten

Regionales Saatgut: In der Grauzone  / SEED arbeitet für die Erhaltung regionaler Obst- und Gemüsesorten
75 Prozent der europäischen Bevölkerung leben in Städten. Im mediterranen Garten von Schwebsingen werden private Gartenbesitzer beraten, wie sie Biodiversität im eigenen Garten umsetzen können. Außerdem ist dort eine Datenbank mit 50.000 bestimmten Sorten entstanden – ein Schwerpunkt liegt auf regionalen Obstsorten.  Foto: Editpress/Claude Lenert

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Der Samen entscheidet, was später auf den Teller kommt: ob Obst, Gemüse oder Getreide gentechnisch verändert ist, ob es von einer regionalen Pflanze stammt oder von einer aus Südamerika. Die Bewahrung traditioneller, lokal angepasster Sorten ist ein vergessenes und unterschätztes Thema. Bislang interessieren sich nur Spezialisten dafür. Das Netzwerk SEED kämpft seit zehn Jahren um Anerkennung und Förderung.

„Wir machen hier keine Folklore“, sagt Frank Adams (60), Generalsekretär bei SEED. „Hier geht es um Nahrungssicherheit und Dienst an der Gesellschaft.“ Der gelernte Gärtner und Lehrer an der Ackerbauschule in Gilsdorf sitzt zusammen mit SEED-Präsident Georges Moes (60) im Büro des mediterranen Gartens in Schwebsingen. Einen Stock tiefer überwintern gerade Palmen und Kakteen, es ist noch zu kalt.

Die großen Feigen- und Kiwibäume oder die Korkeiche draußen machen sich nichts aus den Temperaturen. Noch blüht nur wenig auf dem Gelände. Trotzdem schaffen plätschernde kleine Brunnen, Skulpturen und andere Pflanzen eine Atmosphäre in dem Garten, die eher Südfrankreich als Luxemburg suggeriert. 2009 schenken die Besitzer das 15 Ar große Gelände mitten in dem Winzerort der „Fondation Hëllef fir d’Natur“. Die Stiftung ist Mitbegründer und Mitglied des Netzwerkes SEED. 

Anfangs ist unklar, wie sich der Ziergarten in das Engagement im Natur- und Umweltschutz einreihen kann. Schnell entsteht aber aus einer Beobachtung heraus eine Idee. „75 Prozent der europäischen Bevölkerung lebt in Städten“, sagt SEED-Präsident Georges Moes. „Diese Menschen kommen normalerweise nicht über den eigenen Garten mit Natur in Berührung.“

Artenvielfalt beim Saatgut von Nutzpflanzen

Der Gedanke wächst, damit zu zeigen, wie Biodiversität sogar im Ziergarten funktionieren kann. Die „Fondation“ ist neben Natur- und Umweltschutz längst in Sachen Klimaschutz unterwegs. Moes ist Agrar-Ökonom mit Spezialisierung auf Gartenbau und Grünraumgestaltung. Er findet unter anderem alte Rosen- und Fuchsiensorten in Schwebsingen und beginnt, Saatgut zu gewinnen und zu sammeln.

Die Nachfrage ist da. „Die Leute rufen hier an und fragen nach Trieben oder Samen, weil sie diese Sorten für ihren eigenen Garten haben wollen“, sagt er. Moes hat eine Datenbank aufgebaut, in der rund 50.000 verschiedene Sorten mit Schwerpunkt auf heimischen Obstsorten erfasst sind. Allein im Trintingertal bei Waldbredimus hat er 30 verschiedene Kirschsorten gefunden. Darum geht es bei SEED.

Die in dem Netzwerk organisierten Saatgutbauer und -händler haben sich der Rettung und Bewahrung traditioneller, regionaler Sorten verschrieben. Gerade im Klimawandel stellt sich heraus, dass sie enorme Vorteile haben. Lokal angepasste Sorten kommen mit dem Boden ihres Standortes zurecht, sind widerstandsfähig gegen Schädlinge und gentechnisch nicht verändert. Ein Beispiel ist die „Roi des Belges“-Bohne aus der Wallonie.

Regional bekannte Sorten gedeihen am besten

Lange vergessen erweist sie sich wieder angebaut als schmackhafter Beweis aller Eigenschaften, die regionalen Sorten nachgesagt werden. Beim Obst gilt das beispielsweise für Apfelbäume der Sorte „Triumph“ und „Renette“. Lange standen sie zusammen mit Kirsch-, Birnen- oder Mirabellenbäumen in den „Bongerten“. Zwei Millionen Obstbäume wurden Anfang des 20. Jahrhunderts in Luxemburg gezählt. Heute sind es laut „natur&ëmwelt“ noch 200.000.

Um dem Verschwinden entgegenzuwirken, arbeitet die „Fondation Hëllef fir d’Natur“ von „natur&ëmwelt“ seit über 20 Jahren gemeinsam mit Partnern an der systematischen Erfassung und Vermehrung alter traditioneller Obstsorten – ganz im Sinne von SEED. In Schwebsingen werden die Apfelbäume gerade wieder gezüchtet. Anerkannt und vor allem politisch gefördert wird dieser Beitrag zur Artenvielfalt und damit zur Biodiversität nur punktuell, obwohl beides wichtige Punkte auf der Agenda der Regierung sind.

„Wir bewegen uns derzeit in einer Grauzone“, sagt Adams in Bezug auf die luxemburgischen und europäischen Gesetze und die politisch verantwortlichen Ansprechpartner. „Saat- und Pflanzgut von Obst-, Getreide- und Gemüsesorten, die offiziell nicht registriert sind, dürfen nicht kommerziell über Gärtnereien zum Beispiel gehandelt werden“, sagen die Verantwortlichen von SEED. Das darf nur mit Saatgut gemacht werden, das es in die nationale oder europäische Sortenliste schafft.

Bisheriger rechtlicher Rahmen lässt Lücken 

Das gilt auch für lange vergessene und nun wieder in Mode gekommene regionale Nutzpflanzen, um die sich die Mitglieder des Netzwerkes kümmern. „Wir können eine Eintragung in die Sortenliste personell und vor allem finanziell nicht leisten“, sagt Adams. In Frankreich beispielsweise kostet der Eintrag einer einzigen, regionalen Sorte 600 Euro, den administrativen und personellen Aufwand nicht eingerechnet. Hilfe dabei würde den SEED-Enthusiasten helfen.

Der Saatgutmarkt ist weltweit fest in der Hand global agierender Konzerne und, viel wichtiger, er ist vereinheitlicht. Was das heißt, zeigen Erhebungen des „National Center for Genetic Resources Preservation“ in Großbritannien. Um 1900 gab es 408 verschiedene Tomatensorten. 100 Jahre später werden nur noch 79 verschiedene Sorten auf der Insel angebaut. Gleiches gilt für britische Bohnensorten. Die Auswahl ist von 408 Sorten im gleichen Zeitraum auf 25 zurückgegangen. Saatgut bringt milliardenschwere Umsätze.

„Wir können uns nicht in Opposition dazu bringen“, sagt Generalsekretär Adams. „Die biotechnologische Pflanzenzucht ist viel schneller als die Weiterentwicklung vor Ort, so wie wir sie machen.“ Trotzdem wollen SEED und Partnernetzwerke wie das „Réseau Meuse-Rhin-Moselle“ (RMRM) aus ihrer Nische heraus. Die Rettung und Vermehrung traditioneller Nahrungssorten und der Handel mit diesen Samen kommen in Zeiten, in denen „regional“ eine Renaissance erlebt, dem Gemeinwohl zugute.

Das ist inzwischen sogar auf EU-Ebene angekommen. Die Kommission will die bestehenden Rechtsvorschriften zum Saatguthandel überarbeiten, um zu einer „nachhaltigen Agrar- und Lebensmittelproduktion beizutragen“, die die „Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels und deren Eindämmung unterstützt“. Das steht in der Zusammenfassung einer Umfrage der Kommission, die am 27. März abgelaufen ist. Aus Luxemburg kamen elf Antworten, darunter von SEED und RMRM. Aus Schweden kamen sogar 1.685 der insgesamt 1.908 Antworten. Dort lief eine Kampagne für die Erhaltung alten Saatguts und die Anerkennung der darin Aktiven über die sozialen Netzwerke.

Die EU-Umfrage „Have your say“ 

Als Ziel der Umfrage wurde Folgendes formuliert: „Ziel dieses Fragebogens zur öffentlichen Konsultation ist es, die Meinungen verschiedener Interessengruppen und Bürger zur Überarbeitung der EU-Rechtsvorschriften über den Verkehr mit Saatgut und anderem Pflanzenvermehrungsmaterial einzuholen. Mit der Überarbeitung soll ein kohärenter Rechtsrahmen geschaffen werden, der allen Nutzern eine große Auswahl an Pflanzenvermehrungsmaterial bietet, zu einer nachhaltigeren Agrar- und Lebensmittelproduktion und widerstandsfähigen Wäldern beiträgt, die Erhaltung und nachhaltige Nutzung pflanzen- und forstgenetischer Ressourcen fördert und die Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels und deren Eindämmung unterstützt.“