Großbritannien / Scotland Yard: 300 Polizeibeamte verweigern Arbeit, weil Todesschütze angeklagt wird

Der Sitz von New Scotland Yard in Westminster im Zentrum von London
Erneut machen Angehörige der berühmten Londoner Polizeibehörde Scotland Yard durch zweifelhaftes Verhalten von sich reden.
Weil vergangene Woche ein Angehöriger des bewaffneten Spezialkommandos des Mordes angeklagt wurde, haben mehr als 300 Beamte ihre Waffenlizenz zurückgegeben. Behördenleiter Mark Rowley stellte sich hinter seine rebellierenden Spezialisten und fordert mitten im laufenden Verfahren rechtliche Sonderkonditionen für Polizisten, die Gewalt anwenden und an Verfolgungsjagden beteiligt sind. Die konservative Innenministerin Suella Braverman hat eilfertig eine Überprüfung angeordnet: Sie werde „alles tun“, um das Vertrauen der Beamten wiederherzustellen.
Die britische Polizei schießt viel seltener als vergleichbare Sicherheitsbehörden auf dem Kontinent. Das liegt vor allem daran, dass der normale Streifen-Bobby bis heute ohne Schusswaffe – dafür mit Reizgas und Schlagstock – unterwegs ist. Auch die ausgebildeten Spezialisten machen kaum von der Waffe Gebrauch. Allerdings sind ihre Schüsse fast immer tödlich. Dafür angeklagt oder sogar verurteilt zu werden, bleibt die absolute Ausnahme, wie die Statistik zeigt.
Im aktuellen Fall geht es um einen einzigen Schuss am Ende einer polizeilichen Verfolgungsjagd durch Süd-London. Anfang September vergangenen Jahres schlug die automatische Nummernschild-Identifikation Alarm wegen eines schwarzen Audi, der wenige Tage zuvor im Zusammenhang mit einem Waffendelikt aufgefallen war. Zunächst machte sich ein ziviles Polizeifahrzeug an die Verfolgung, in einem Wohnviertel ordnete der zuständige Einsatzleiter einen sogenannten „hard stop“ an. Dabei wurde der Audi von mehreren Polizeiautos eingekeilt. Zum tödlichen Schuss durch die Windschutzscheibe kam es offenbar, als der Fahrer eines der Fahrzeuge rammte.
Der Tod von Chris Kaba führte in mehreren englischen Städten zu Protestkundgebungen. Dass der 24-Jährige zu Haftstrafen wegen unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe und eines Messers verurteilt worden war, sei für den Fall irrelevant, argumentiert Kabas Familie: Den Ermittlungen zufolge war der Polizei der Fahrer des Wagens nicht bekannt, als es zur tödlichen Konfrontation kam.
Zweifelhafter Ruf der Abteilung SO19
Gegen den lediglich als „Beamter NX121“ identifizierten Schützen ermittelte die unabhängige Strafverfolgungsbehörde IOPC, ehe die Kronanwaltschaft am vergangenen Dienstag Anklage wegen Mordes erhob. Seither kochen bei den bewaffneten Beamten der Abteilung SO19, die auch für den Personenschutz von Royals und Spitzenpolitikern zuständig ist, die Emotionen hoch. Ein Treffen mit Polizeipräsident Rowley, der die Einheit früher selbst kommandiert hatte, verlief offenbar ergebnislos. Inzwischen haben mehr als 300 der rund 2.500 entsprechend ausgebildeten Polizisten ihre Waffenlizenz zurückgegeben.
Wieviel Sympathie die rebellischen Beamten von normalen Streifenbobbys der 43.500 Personen starken Metropolitan Police (MPS), geschweige denn von der Londoner Bürgerschaft zu erwarten haben? Das ist angesichts des zweifelhaften Rufes von SO19 keineswegs ausgemacht. Erst im vergangenen Jahr hatte sich die Polizeibehörde einer Prüfung durch die frühere Spitzenbeamtin Louise Casey unterziehen müssen. Deren 363-seitiger Prüfbericht stellte nicht zuletzt SO19 und deren Leitung an den Pranger: Sie habe „einen Jungensclub“ vorgefunden, dem die Führungsspitze „jedes erdenkliche Spielzeug“ genehmigt habe.
Wenn Polizisten ihre Pflichterfüllung verweigern und die Ministerin sie darin unterstützt, kann der Rechtsstaat nicht funktionierenfrüherer Leiter der Anklagebehörde CPS
Zudem gingen in den letzten Jahren zwei der schlimmsten Verbrechen von im Dienst befindlichen Polizisten auf das Konto von SO19-Angehörigen. Im Covid-Lockdown nahm ein bewaffneter Beamter unter dem Vorwand eines angeblichen Verstoßes gegen geltende Bestimmungen eine junge Londonerin fest. Sarah Everards Entführung, Vergewaltigung und Ermordung führte zu einem Aufschrei in der Bevölkerung. Ähnlich entsetzt reagierte die Öffentlichkeit im Januar dieses Jahres, als ein weiterer Angehöriger der bewaffneten Elite-Einheit eine lebenslange Freiheitsstrafe für eine Serie von Vergewaltigungen erhielt.
Armee-Einheiten in Bereitschaft
Bravermans Entscheidung, während eines schwebenden Verfahrens eine Überprüfung der geltenden Rechtsvorschriften anzuordnen, ruft unter Juristen Empörung hervor. Der frühere Leiter der Anklagebehörde CPS, Ken Macdonald, kritisierte die Innenministerin frontal: „Wenn Polizisten ihre Pflichterfüllung verweigern und die Ministerin sie darin unterstützt, kann der Rechtsstaat nicht funktionieren.“
Für Scotland Yard geht es jetzt zunächst darum, die bestehende Krise zu bewältigen. Übers Wochenende wurden Beamte bewaffneter Einheiten aus anderen Regionen des Landes angefordert. Allerdings hieß es bei der Gewerkschaft, eine Reihe der Betroffenen wolle aus Solidarität mit den Londoner Kollegen der zeitweiligen Versetzung nicht nachkommen. Das Verteidigungsministerium hält mehrere Armee-Einheiten in Bereitschaft, um notfalls einzuspringen. Dies soll aber nur für Terror-Einsätze gelten; für den normalen Dienst der bewaffneten Polizeikräfte seien Soldaten „nicht vorgesehen“, teilte ein MPS-Sprecher mit.
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Richtig so. Die Verbrecher laufen frei herum und die Polizisten sitzen im Gefängnis.