Schwitzen in Pjöngjang – Der Luxemburger Christian Ginter läuft einen Marathon in Nordkorea

Schwitzen in Pjöngjang – Der Luxemburger Christian Ginter läuft einen Marathon in Nordkorea

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Hier wieder ein Atomwaffentest, dort kriegslüsterne Drohungen an Donald Trump. In den Medien hört man ständig Schauergeschichten über die Demokratische Volksrepublik Korea und ihren kontroversen Staatschef Kim Jong-un. Das im Westen allgemein unter dem Namen Nordkorea bekannte Land in Ostasien gilt als das abgeschiedenste der Welt. Kaum vorzustellen, dass irgendjemand von außerhalb dort Urlaub machen, geschweige denn an einer großen Sportveranstaltung teilnehmen würde. Christian Ginter aus Luxemburg hat im April genau dies getan und berichtet von seinen Erlebnissen im Einsiedlerkönigreich.

Von Steve Peffer

Seit 20 Jahren ist der Ausdauersport ein untrennbarer Teil von Christian Ginters Person. Er biete ihm den perfekten Ausgleich zum oftmals sehr stressigen Alltag, so der 40-jährige Familienvater, der als „Conseiller“ im „Ministère de la Mobilité et des Travaux publics“ arbeitet und inzwischen bereits viermal einen internationalen Marathon gelaufen ist. Doch warum hatte es den Hobbyathleten nach Nordkorea verschlagen? „Es war reiner Zufall. Ich wollte einfach mit meiner Familie während der Osterferien Urlaub mit Sport verbinden und erfuhr im Internet darüber, dass genau zur passenden Zeit in Pjöngjang ein international anerkannter Marathon stattfinden würde.“

Der Reiz, das berühmt-berüchtigte Nordkorea mit eigenen Augen zu sehen und beurteilen zu können, inwiefern das von den Medien gezeichnete Bild dieses Landes der Wahrheit entspricht, sorgte für eine einstimmige Entscheidung unter der vierköpfigen Familie. Anders als bei den meisten Urlaubszielen mussten Flug und Hotel von einer staatlich zugelassenen Reiseagentur gebucht werden, denn anders erhält man kein Visum. Vor der Abreise mussten die Anwärter zudem ein zehn Seiten langes Dokument mit Benimmregeln studieren, um nicht versehentlich ins Fettnäpfchen zu treten und schlimmstenfalls die Gefangenschaft in einem Arbeitslager zu riskieren. Neben regierungskritischer Literatur sind unter anderem auch das Tragen von Jeans und das Fotografieren älterer Menschen verboten.

Wegen „Kim und Struppi“ verhört

Die Reise führte zuerst ins chinesische Peking, von wo aus der Anschlussflug nach Pjöngjang erfolgte. Christian erinnert sich an die gewöhnungsbedürftige Bordverpflegung: „Uns wurde eine übertrieben süße Cola mit Kaugummigeschmack und eine seltsame Art Hamburger serviert. Ich dachte mir, hoffentlich ist das kein Vorgeschmack auf die nordkoreanische Küche.“

Der erste kulinarische Eindruck wurde jedoch schnell von einer noch traumatischeren Erfahrung überschattet. „Im Flugzeug mussten wir auf einem Meldeformular genau angeben, welche Gegenstände wir dabei hatten. Insbesondere Bücher und Handys wurden kontrolliert. Da fiel mir plötzlich ein, dass ich das Buch ’Kim und Struppi‘ von Christian Eisert dabei hatte.“ Dabei handelt es sich um einen komödiantischen Reisebericht über Nordkorea von einem deutschen Autor. Eigentlich wollte Christian dieses Buch in Peking zurücklassen, in der Hektik landete es dann doch wieder in der Reisetasche.

Von der Polizei abgeführt

Wie erwartet wurden die Güter von Familie Ginter bei ihrer Ankunft genauestens kontrolliert und das problematische Buch von den Beamten kritisch unter die Lupe genommen. Kurz darauf wurde Christian von der Polizei abgeführt und verhört. „Ich war den Tränen nahe. Was, wenn ich nun dafür verurteilt werde?“, schildert der gebürtige Escher seine Gefühle in dem Moment. Zum Glück wurde er nach einer knappen halben Stunde dank der Unterstützung seiner nordkoreanischen Reisebegleiterin wieder freigelassen. Trotzdem ließ Christian bis nach der Heimreise das mulmige Gefühl nicht los, doch noch einmal verhaftet werden zu können.

In der Hauptstadt Pjöngjang leben über drei Millionen Menschen. Trotzdem sind die Straßen fast wie ausgestorben. In der ganzen Stadt, die architektonisch von farbigen Plattenbauten, futuristischen Hochhäusern und breiten Alleen geprägt ist, herrscht eine bedrückende Atmosphäre. Sogar auf dem 2015 neu eröffneten Flughafen, der etwa doppelt so groß ist wie das luxemburgische Pendant, schien die Zeit stehen geblieben zu sein, denn im Durchschnitt werden nur zwei Flüge pro Tag durchgeführt. Einen ähnlichen Eindruck vermittelte das Yanggakdo Hotel, in dem die Familie zwei Nächte verbrachte. „Die Einrichtung unseres Zimmers erinnerte mich an Fotos aus der Sowjetunion während der 1960er Jahre. Oder an das Haus meiner Oma, als ich noch ganz klein war“, berichtet Christian. Auf eigene Faust mit dem Taxi zum Hotel fahren, um anschließend einen Stadtbummel zu unternehmen und einen Kaffee trinken zu gehen – diese Freiheit genießen Nordkorea-Urlauber nicht. Jeder Moment während des Aufenthalts ist geplant und Touristen werden außerhalb des Hotels auf Schritt und Tritt von ihren Reiseführern begleitet. Willkürliche Begegnungen mit Einheimischen waren demzufolge unmöglich.

Mehr als 50.000 Zuschauer beim Marathon

Mit dem Bus wurde den Neuankömmlingen zuerst die Marathonstrecke gezeigt, bevor man sich in einem Restaurant ans Abendessen machte. Menükarten gab es nicht, wie in einer Schulkantine wurde allen Gästen das gleiche Mahl serviert: Hühnchen mit Reis, dazu scharf eingelegter Kohl namens Kimchi, das Nationalgericht der beiden Koreas. Als vegetarische Alternative zum Hühnchen gab es Japchae, ein traditionelles Nudelgericht mit Gemüse.

Am Morgen des Folgetages wurde Familie Ginter vor dem Hotel abgeholt und ins Kim-Il-Sung Stadion gebracht, Start- und Zielpunkt des „Mangyeongdae Prize International Marathon“. Was sie dort erwartete, übertraf ihre kühnsten Vorstellungen. „Das Stadion war gefüllt mit über 50.000 Zuschauern, die die Läufer lautstark anfeuerten. Die Stimmung vor dem Rennen war der Wahnsinn, so etwas hatte ich noch nie zuvor erlebt“, sagt Ginter.

Rund 400 Leute nahmen an dem Marathon teil, darunter 150 Läufer aus aller Welt. Während die 250 teilnehmenden Nordkoreaner ihrer Leistung nach zu urteilen das Rennen als einen ernst zu nehmenden Wettbewerb betrachteten, schoben die ausländischen Athleten dagegen eher eine ruhigere Kugel. Der einzigartige Schauplatz unterdrückte den Ehrgeiz nach einer guten Platzierung. Die Strecke führte bis über die Stadtgrenzen hinaus entlang des Taedong-Flusses und vorbei an wichtigen Sehenswürdigkeiten wie dem Kim-Il-Sung-Square und dem Großen Theater. An mehreren Streckenposten wurde Wasser bereitgestellt.

Zum Schluss noch ein Bierchen

Die motiviertesten unter den Läufern, zu denen auch Christian gehörte, machten erst nach 21 Kilometern kehrt und legten so einen ganzen Marathon hin. Seine beiden Kinder begnügten sich mit 5 Kilometern. Nach knapp drei Stunden erreichte Christian schweißgebadet das Stadion, wo er wieder von der lauten Menge empfangen wurde. „Unter dem Beifall von so vielen Menschen machten sich all die Anstrengungen und das drei Monate lange Training ganz klar bezahlt.“ Doch anstatt dass er sich unter die wohlverdiente kühlende Dusche stellen und seine Energiereserven mit einem üppigen Mittagessen neu auffüllen konnte, mussten er und seine Familie zunächst auf die Ankunft der restlichen Teilnehmer warten und anschließend die langwierige Abschlusszeremonie über sich ergehen lassen. Allen Teilnehmern wurden zur Belohnung eine Medaille und eine Urkunde überreicht.

Nachmittags folgte eine Stadtführung zu Attraktionen wie den riesigen Bronzestatuen der ehemaligen Staatschefs oder dem 170 Meter hohen Juche-Denkmal, die die Läufer während des Marathons nur aus der Ferne betrachten konnten oder noch überhaupt nicht zu Gesicht bekamen. Zur Feier des Tages versammelte man sich abends noch in einem Lokal, wo sich die stolzen Sportler, gut versorgt mit mehreren Sorten koreanischen Bieres, vergnügt über ihre Erlebnisse austauschten. „Ich muss schon sagen, in Nordkorea gibt es echt gutes Bier“, meint Christian lachend.

Am Morgen danach trat Familie Ginter schon wieder die Heimkehr an und blickt auf eine kurze, aber ereignisreiche und unvergessliche Reise zurück. „Nordkorea war tatsächlich genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es war eine sehr interessante Erfahrung und ich bin froh, dass ich diese einmalige Gelegenheit hatte – allerdings würde ich nicht noch einmal dahin fahren“, so das Fazit von Christian, der sich bereits auf die exotischen Wettläufe der kommenden Jahre freut. Als Nächstes auf der Wunschliste der Marathon-Destinationen stehen Japan und Südafrika.