EU-Gipfeltreffen„Schwierige“ und „rüde“ Debatte über grundlegende Werte

EU-Gipfeltreffen / „Schwierige“ und „rüde“ Debatte über grundlegende Werte
Er hat nicht sehr viele Freunde in der EU, Ungarns Regierungschef Viktor Orban Foto: Pool AP/dpa/Olivier Matthys

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Der thematische Schwerpunkt des Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs in den vergangenen Tagen lag auf dem Osten Europas. Zum einen wurde kurzfristig eine Debatte über ein sehr umstrittenes ungarisches Gesetz auf die Gipfel-Tagesordnung gehoben. Zum anderen gab es Meinungsverschiedenheiten darüber, inwieweit die EU einen Dialog mit Russland suchen soll.

„Es ist vollkommen klar, dass es eine Ost-West-Teilung gibt“, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron, als er sich zu einer Frage über die Debatte über das ungarische Gesetz äußerte, das unter anderem „Werbung“ für Homosexualität verbietet, die an Minderjährige gerichtet ist. Er reagierte damit auf den Umstand, dass vor allem osteuropäische EU-Staaten ein Schreiben an die Spitzen der Union nicht unterstützten, in dem auf den Internationalen Tag der LGBTQI-Gemeinschaft am 28. Juni und die Einhaltung europäischer Grundwerte und -prinzipien aufmerksam gemacht wird. Im Saal habe es „mehr Unterstützung“ gegeben, sagte der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel, einer der Initiatoren des von 17 Mitgliedstaaten unterzeichneten Briefs. Während der Debatte zum Thema am Donnerstagabend im Kreis der EU-Staats- und Regierungschefs seien es „nur zwei Länder“ gewesen, „die wirklich konkret gesagt haben, dass sie total auf Herrn Orbans Seite“ seien, berichtete Xavier Bettel am Freitagmorgen. Es handelte sich dabei um Polen und Slowenien.

Die Tatsache aber, dass während eines Gipfeltreffens eine derartige Diskussion über grundlegende Werte, die als Fundament der Europäischen Union gelten, geführt wird, kann durchaus als etwas bisher nie Dagewesenes bezeichnet werden. Zumal dabei tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten offen zutage traten. Es sei eine „schwierige“, zuweilen „rüde“ Debatte gewesen, beschrieb EU-Ratspräsident Charles Michel den Verlauf. Es sei „keine harmonische Diskussion“ gewesen, sondern eine mit „sehr tiefen Kontroversen“, berichtete die deutsche Kanzlerin Angela Merkel.

Wir können nicht davon ausgehen, dass das ein freundschaftliches Gespräch wird

Angela Merkel, über ein eventuelles Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin

Der französische Präsident stellte denn auch fest, dass in manchen EU-Ländern ein „Anstieg des Illiberalismus“ auszumachen sei. Gegen den er empfiehlt, etwas zu unternehmen. Und auch die deutsche Kanzlerin beobachtet Ähnliches und bemerkte in ihrem Rückblick auf die Ratstagung, dass es „tiefgreifend unterschiedliche Vorstellungen“ mit Ungarn darüber gebe, was die Zukunft der EU angehe. Doch es sei nicht nur Ungarn, das etwa die Losung einer „ever closer union“, also einer Union, die immer mehr zusammenwächst, wie es im Lissabonner Vertrag vorgegeben wird, infrage stelle, so Angela Merkel weiter. Für Emmanuel Macron ist die Diskussion über und der Kampf für die europäischen Werte eine „existenzielle Frage“. Die auch die Glaubwürdigkeit der EU nach innen betreffe, wenn es darum gehe, die Rechtsstaatlichkeit einzuhalten oder dies von anderen zu fordern, so der französische Präsident.

Dialog mit Russland

„Die meisten von uns waren sehr klar, dass das neue ungarische Gesetz gegen unsere Werte geht“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Kommission hat bereits ein Schreiben nach Budapest geschickt, in dem das ungarische Homosexuellen-Gesetz beanstandet wird. Sie warte nun auf eine Antwort von der ungarischen Regierung. „Das Verfahren ist offen“, sagte Ursula von der Leyen.

Ein anderer Dialog wird vorerst noch nicht geführt, jener mit Russland. Angela Merkel und Emmanuel Macron hatten die Gipfelteilnehmer mit einem Vorschlag überrascht, ein Gipfeltreffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu planen. Dazu kommt es nun nicht. Stattdessen wird „der Europäische Rat Formate des Dialogs mit Russland und die Bedingungen dafür ausloten“, wie es in der Schlusserklärung des Gipfeltreffens heißt. Die deutsche Kanzlerin zeigte sich „betrübt“ darüber, dass manche EU-Staaten noch nicht der Ansicht seien, „selbstbewusst und klar“ gegenüber Russland auftreten zu können. Da doch viel über die Souveränität der EU geredet werde, müsse ein ähnliches Gespräch mit Putin, wie US-Präsident Joe Biden es führte, möglich sein, monierte Angela Merkel und bemerkte: „Wir können nicht davon ausgehen, dass das ein freundschaftliches Gespräch wird.“

Hilfe für Flüchtlinge aus Syrien

Für ihn sei es „kein Drama“, dass es zu keinem Gipfeltreffen mit Putin komme, meinte hingegen Emmanuel Macron und führte die „komplexe“ Diskussion der 27 über Russland auf die verschiedenen historischen Hintergründe zurück. Er sei vielmehr zufrieden, dass es in der Runde zu einem Sinneswandel, was die Beziehungen der EU zu Russland anbelange, gekommen sei und sich die EU nun eine richtige Strategie für den Umgang mit Moskau geben wolle. Die EU solle nicht mehr nur auf Provokationen und Attacken aus Russland reagieren. Immerhin sei sie in einer Position der Stärke, so die Kommissionspräsidentin. Denn die Importe aus Russland in die EU machten weniger als fünf Prozent aus. Damit sei die EU aber Russlands größter Handelspartner. Mehr als 37 Prozent der Importe in Russland kämen aus der EU, so Ursula von der Leyen weiter. Dieses Ungleichgewicht könnte stärker werden, wenn die Tendenz einer Abkehr von fossilen Brennstoffen aus Russland zunehme.

Ein anderer schwieriger Nachbar, die Türkei, wird hingegen mit weiterer Hilfe rechnen können. Die 27 einigten sich darauf, für die syrischen Flüchtlinge bis zum Jahr 2024 weitere drei Milliarden Euro an Hilfen bereit zustellen. Dabei handele es sich nicht mehr um humanitäre, sondern um „sozioökonomische Unterstützung“. Den Flüchtlingen müsse eine Perspektive gegeben werden, erklärte die Kommissionspräsidentin. Weitere 2,2 Milliarden Euro sollen für die syrischen Flüchtlinge in Jordanien und dem Libanon zur Verfügung gestellt werden. Da die Gelder aus dem EU-Haushalt aufgebracht werden, sollen auch die EU-Staaten einen Beitrag leisten.