Alain spannt den Bogen / Schwerpunkt 20. Jahrhundert

Das Quatuor Arod (Foto: Alfonso Salgueiro)
Mit einem recht gewagten Programm wusste die Pianistin Tamara Stefanovich am vergangenen Donnerstag im Kammermusiksaal der Philharmonie das Publikum zu begeistern. Wenn ausschließlich komplexe und zum größten Teil atonale Etüden des 20. resp. 21. Jahrhunderts gespielt werden, dann hätte das auf die Dauer ziemlich überfordern können, zumal keine Pause angesetzt war.
Mit Etüden von Karol Szymanowsky, Emma-Ruth Richards, Hans Abrahamsen, Marcel Reuter, Vassos Nicolaou, Martin Suckling, Claude Debussy, Milica Djordjevic, Grazyna Bacewicz, Sergej Rachmaninow, György Ligeti, Zeynep Gedizlioglu, Alexander Skriabin und Olivier Messiaen wurden insgesamt 14 Komponisten in ihrem Etüdenschaffen vorgestellt. Während 70 Minuten erlebte das Publikum eine hundertprozentig engagierte und konzentrierte Pianistin, die mit ihrem virtuosen und griffigen Spiel jedes einzelne Stück zu einem funkelnden Diamanten machte. Dennoch: Weniger wäre mir lieber gewesen, denn irgendwann hatte man sich an die vielen atonalen, explosiven und z.T. hässlichen Töne gewöhnt, sodass die Musik im Laufe des Abends ihre Wirkung verlor. Eine Etüde von Chopin oder Clementi, von Schumann oder gar Czerny hätten dem Zuhörer etwas Zeit zum Verschnaufen gegeben. Vielleicht wären auch Erklärungen der Solistin gerade bei diesem Programm gut beim Publikum angekommen. Trotzdem. Ein pianistisch überragender und programmatisch hochinteressanter Klavierabend.
Campestrini statt König
20. Jahrhundert war dann auch beim Konzert der Solistes Européens Luxembourg angesagt. Hier stand Dimitri Schostakowitschs intime und herausragende Symphonie Nr. 14 aus dem Jahre 1969 auf dem Programm. Da dieses Werk für klein besetztes Streichorchester, Schlagzeug und zwei Solisten komponiert ist, hatte man die Streicherserenade op. 22 von Antonin Dvorak als Füller vorangestellt. Da Christoph König kurzfristig in den USA für Michael Tilson Thomas bei New World Symphony einspringen musste, wurde dieses Konzert von dem eher weniger bekannten österreichischen Dirigenten Christoph Campestrini einstudiert und dirigiert. Und es war verblüffend, zu hören, was dieser Dirigent mit einem für ihn unbekannten Orchester innerhalb weniger Tage erarbeiten konnte.
Campestrini ging natürlich keine Risiken ein und baute auf das Potenzial des Orchesters. Doch er arbeitete sehr deutlich an Klangbalance und Ausdruck. Vor allem schien es ihm wichtig, den kammermusikalischen Charakter bei beiden Werken beizubehalten. So klang Dvoraks Serenade wie ein erweitertes Streichquartett, das Spiel war flüssig, die Interpretation musikantisch. Trotzdem waren alle Stimmen klar herausgearbeitet, sodass auch die Anatomie des Stückes sehr gut zur Geltung kam.
Die düster-traurige und pessimistische 14. Symphonie von Schostakowitsch braucht einen Dirigenten, der es versteht, die Stille mitzudirigieren. Und diese Stille, dieses Endliche der Musik (und des Lebens), dieses Auflösen und Verströmen versteht Campestrini sehr subtil auf das Orchester und das Publikum zu übertragen. Er bevorzugt z.T. die dunklen Streicher, die ein dunkles Fundament für seine Interpretation bilden. Aber auch hier wird sehr kammermusikalisch agiert, Campestrini verpflichtet sich dem Ausdruck der Musik, ohne jemals larmoyant oder kitschig zu werden. Diese wunderbare Orchesterbalance nutzen auch die beiden Gesangssolisten. Sowohl die Sopranistin Miina-Liisa Värelä wie auch der Bassist Mika Kares sind Interpreten von internationalem Format und besitzen Stimmen und einen Vortrag, die ihnen eine große Karriere versprechen. Leider strömte das Publikum nach den letzten Takten sehr schnell aus dem Saal, anstatt den Musikern, ihrem Dirigenten und den Solisten den verdienten lautstarken Applaus zu spenden. Vielleicht ist es auch nicht der Moment, gerade jetzt ein Publikum mit einer hoffnungslosen Musik über den Tod zu konfrontieren.
Bartok und Ravel
Am Dienstag spielte dann das erstklassige Quatuor Arod ebenfalls ein Konzert mit äußerst anspruchsvoller Musik, wobei auch hier der Schwerpunkt auf Werken des 20. Jahrhunderts lag. Das Herz des Konzerts bildete das kurze, aber überragende 3. Streichquartett von Bela Bartok, das in seiner Modernität und seiner expressiven, fast gnadenlosen Sprache für mich zu den besten Quartetten des 20. Jahrhunderts gehört. Bartok schafft es hier, ein Maximum an Ausdruck, neuen Formen und Ideen in einem knapp 15 Minuten dauernden Stück zu bündeln. Das Quatuaor Arod spielt dieses Werk dann auch mit der nötigen Schärfe und Kälte. Die Musik wird quasi mechanisch und entmenschlicht. Die Schärfe lässt denn auch die Struktur sehr gut zur Geltung kommen, zumal insbesondere die 2. Geige und die Bratsche ungewöhnlich viel Raum erhalten.
Diese atemberaubende Interpretation wirkte sich dann auch auf die beiden anderen Werke aus. Maurice Ravels einziges Streichquartett profitierte von dieser etwas kühlen, aber immer sehr dynamischen Spielweise, sodass auch hier eine neue Perspektive der Interpretation gezeigt wurde, die sich bewusst von dem floralen Charakter des Impressionismus distanziert.
Weniger gelungen das 11. Streichquartett von Antonin Dvorak, dem dieser Interpretationsansatz nicht so gut zu Gesicht stand. Die Modernität des Ansatzes passt eben nicht überall. Somit klang dieser Dvorak unnötig scharf und grell; das musikantische Element wollte sich trotz aller Virtuosität und Spiellaune nicht so richtig einstellen. Selbst das Finale, mit seinem volkstümlichen Charakter, geriet dem Quatuor Arod in meinen Augen zu kalkuliert und distanziert. Als Zugabe spielten die vier jungen Musiker den langsamen Satz aus Debussys Streichquartett – auch hier eine mustergültige Leistung, bei der das Publikum den Atem anhielt.
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