Amoklauf in RusslandSchütze fühlte sich wie „Gott“: Zahlreiche Tote nach Amoklauf an Schule in Kasan

Amoklauf in Russland / Schütze fühlte sich wie „Gott“: Zahlreiche Tote nach Amoklauf an Schule in Kasan
Trauerarbeit am Schuleingang: Der 19-jährige Täter hat sich nach dem Blutbad ergeben Foto: AFP/Roman Kruchinin

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Ein 19-jähriger Informatikstudent aus der russischen Teilrepublik Tatarstan rückte mit einem Jagdgewehr auf seine frühere Schule aus – und erschoss mehrere Schüler und Lehrer. Die Bestürzung ist groß, der Kreml kündigt eine Prüfung des Waffengesetzes an.

„Versperrt die Türen!“ Als diese Worte der Schuldirektorin durch die Lautsprecher tönten, war klar: Etwas war nicht in Ordnung im Gymnasium Nr. 175 in der Stadt Kasan, 700 Kilometer östlich von Moskau. Es war der erste Schultag nach den zehntägigen Maiferien, halb zehn Uhr. Schüler und Lehrer verbarrikadierten sich auf Befehl in den Klassenräumen. „Wir schlossen uns ein und setzten uns in eine Ecke der Klasse“, erzählte eine 15-jährige Schülerin dem russischen Telegram-Kanal Mash. „Viele Kinder waren hysterisch.“ Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Schütze bereits im Schulgebäude.

Schüler und Lehrer des Kasaner Gymnasiums erlebten am Dienstag Minuten der Todesangst. Das zweistöckige graue Gebäude in einem Plattenbauviertel Kasans wurde Ziel eines Amoklaufs. Der mutmaßliche Schütze ist der 19-jährige Ilnas G. Er betrat das Gebäude durch den Haupteingang und eröffnete das Feuer. In einem Klassenraum richtete er ein Blutbad an: Dort erschoss er gleich mehrere Schüler. Nach vorläufigen Angaben der Regionalbehörden wurden neun Menschen getötet, acht Schüler und eine Lehrperson. Rund 20 Personen wurden mit teils schweren Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert. Die Zahl der Todesopfer könnte sich also noch erhöhen.

Medienberichten zufolge ist der Schütze ein früherer Schüler des Gymnasiums. Der junge Mann, der eine Ausbildung zum IT-Spezialisten absolvierte, kündigte seine Tat auf seinem Telegram-Kanal an. In der kurzen Mitteilung artikulierte er Allmachts- und Auslöschungsfantasien: „Ich bin wie Gott, ich will, dass alle sich zu meinen Sklaven erklären. Ihr müsst alles tun, was ich will.“ G. wünschte sich weiters, dass nichts Lebendiges mehr auf der Welt übrig bleiben solle. Auf einem Foto zeigt sich der Teenager in schwarzer Kleidung, das Gesicht mit einem Tuch mit der Aufschrift „Gott“ verhüllt. Ein politisches Tatmotiv war nicht ersichtlich. Gegenüber Medien erklärte der Vater des Tatverdächtigen, sein Sohn sei nicht religiös. Tatarstan ist eine mehrheitlich muslimische Teilrepublik in der Wolgaregion.

In Handschellen abgeführt

Als die Rettungs- und Sicherheitskräfte eintrafen, wurde mit der Evakuierung der Schüler begonnen. Über Leitern wurden die Jugendlichen aus dem Gebäude befreit. Polizeikräfte stürmten die Schule und verhafteten den mutmaßlichen Attentäter. Auf einem Video ist zu sehen, wie sich der 19-Jährige ergibt und in Handschellen abgeführt wird. Er dürfte allein gehandelt haben. G. könnte eine mehrjährige Haftstrafe wegen Mordes drohen.

Der Kreml reagierte umgehend. Präsident Wladimir Putin, der den Familien der Opfer und Verletzten sein Beileid aussprach, veranlasste eine Prüfung des Waffengesetzes im Hinblick auf die verwendete Waffe. Der junge Mann besaß sein Gewehr – eine Selbstlade-Schrotflinte des türkischen Herstellers Hatsan – legal. Erst vor knapp zwei Wochen wurde diese vergleichsweise günstige Jagdwaffe offiziell auf ihn zugelassen.

Wie das möglich war, wird wohl auch Gegenstand der Ermittlungen sein. Bei seiner ersten Vernehmung machte der Tatverdächtige einen vollkommen aufgelösten Eindruck. Ein ähnliches Gewehr nutzte auch der Attentäter von Kertsch auf der russisch annektierten Krim, als er vor drei Jahren einen Amoklauf auf seine frühere Schule verübte. Damals starben 21 Menschen.