Brand in Kayl Schock und Ohnmacht: „Ouvrez la porte, ouvrez la porte!“

Brand in Kayl  / Schock und Ohnmacht: „Ouvrez la porte, ouvrez la porte!“
Am Tag danach offenbaren sich die wahren Ausmaße des Brandes Foto: Editpress/Julien Garroy

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Selbst zwölf Stunden nach dem Brand stehen noch immer Menschen in kleinen Trauben vor der Ruine des Hauses Nr. 60 in der rue du Commerce. Manche starren einfach nur still auf die verkohlten Reste, manche sprechen leise miteinander. Auch die Feuerwehrleute sind nach dieser langen Zeit noch immer mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Windböen tragen den Geruch von Rauch.

„Ich bin geschockt“, sagt Lucia Tiziana Ferraro, die als eine der ersten den Brand entdeckt hat. Gegen 2.30 Uhr habe sie die ersten kleineren Flammen beobachtet, etwa eine halbe Stunde später habe es „so richtig gebrannt“, erzählt sie. Sie setzt einen Notruf ab und erfährt, dass sie schon die Zweite ist, die die Einsatzkräfte alarmiert. Da retten sich die Betroffenen schon aus den Fenstern.

Die meisten haben die gleichen Szenen vor Augen. Flammen, Rauch, Menschen, die den Weg ins Freie suchen. Und Schreie. „Ouvrez la porte, ouvrez la porte!“, hört einer. Andere denken zuerst, es sei ein Familienstreit. Eine davon ist Mariette (68). Sie kommt gerade vom Rathaus zurück, wo sie eine Parkvignette erhalten hat. „Wir dürfen unsere Garage nicht mehr benutzen“, sagt die Kaylerin. „Sie verläuft unter dem abgebrannten Haus und das ist einsturzgefährdet.“

Sie und ihr Mann wohnen drei Häuser weiter. Als sie Kinderschreie hört, weiß sie, dass es kein Familienstreit ist. Da schlagen schon die Flammen aus dem Haus. Sie und ihr Mann laufen aus ihrer Mietwohnung auf die Straße. „Von da an durften wir nicht mehr zurück“, sagt sie. Im Mantel, mit dem Pyjama und den Hausschuhen an, geht es zur „Maison relais“, die die Gemeinde den vorsorglich Evakuierten zur Verfügung stellt.

Respekt für die Gemeinde Kayl 

„Wir sind richtig verwöhnt worden, Respekt für die Gemeinde Kayl“, sagt die Rentnerin. Um halb neun morgens erst, sechs Stunden nach Brandausbruch, dürfen sie wieder zurück. Obwohl nur einen Steinwurf von ihrer Wohnung entfernt, kennt sie niemanden aus dem betroffenen Haus. Dort herrscht nach ihren Aussagen ein ständiges Kommen und Gehen. Der Eigentümer des Mietshauses wohne in Esch, sagt sie.

Nachdem er schon morgens gesehen wurde, steht er nachmittags wieder vor dem Haus. Seinen Namen will er gegenüber der Presse nicht sagen, bestätigt aber, dass sich zum Zeitpunkt des Unglücks etwa 20 Personen im Gebäude befanden. Er wisse nur, dass das Feuer in einem Apartment ausgebrochen ist, in dem eine fünfköpfige Familie wohnte.

Sowohl die Anwohner als auch die Rettungskräfte werden in den Stunden nach dem Brand mit Nahrung und anderen Hilfsmitteln versorgt
Sowohl die Anwohner als auch die Rettungskräfte werden in den Stunden nach dem Brand mit Nahrung und anderen Hilfsmitteln versorgt Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Schlechter baulicher Zustand der Immobilie 

Antworten und Gewissheiten sind knapp – sowohl zur Ursache des Brandes als auch zum Zustand des Hauses. Dem wird von mehreren Seiten nachgesagt, es sei in keinem guten baulichen Zustand gewesen. „Uns hat jemand erzählt, dass heute Morgen einer der Anwohner auf den Hausmeister losgegangen ist und ihm gesagt hat, er sei schuld am Tod des Kindes“, sagt Mariette und berichtet, dass es erst kürzlich Bauarbeiten in dem Gebäude gab.

Viele machen sich Gedanken, und wie üblich bei solchen Anlässen, brodelt die Gerüchteküche. Nachbar Emile Weber zieht es nachmittags ebenfalls an die Unglücksstelle. Er wohnt im Haus direkt neben der Brandstelle. Das Ausmaß des Schadens überrascht ihn nicht. Ein Bauunternehmer hat ihm bereits vor Jahren vom schlechten Zustand des Hauses erzählt. Die Geschichte endete damals mit den Worten: „Du willst nicht wissen, wie es drinnen aussieht.“

Der Tod des kleinen Jungen erschüttert ihn. „Die französische Familie hat erst seit anderthalb Monaten dort gewohnt.“ Und wie viele, die so etwas erleben, nagt die Ohnmacht an ihm. „Es ist nicht schön: Sie stehen da und können nicht helfen“, sagte er.

Spendenaufruf

Dem großen Wunsch der Bevölkerung, zu helfen, hat die Gemeinde Kayl noch am Dienstag entsprochen, indem sie eine Anlaufstelle für Spenden geschaffen hat. Bürger können sich via E-Mail an commune@kayl.lu melden und die Art ihrer Spende (Kleider, Möbel etc.) sowie ihre Kontaktdaten hinterlegen. Des Weiteren können Geldspenden via Überweisung auf das Konto von „Käl-Téiteng Hëlleft asbl.“ (LU16 0090 0000 0652 7717) getätigt werden.