Die NATO erhöht ihre Bereitschaft massivSchnelle Eingreiftruppe soll von 40.000 auf über 300.000 Soldaten ausgebaut werden

Die NATO erhöht ihre Bereitschaft massiv / Schnelle Eingreiftruppe soll von 40.000 auf über 300.000 Soldaten ausgebaut werden
„Weit über 300.000 Soldaten“: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Madrid Foto: dpa/Olivier Matthys

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In Madrid trifft sich die NATO zu ihrem wichtigsten Gipfel seit Jahrzehnten. Das Bündnis stellt sich angesichts des russischen Angriffskrieges neu auf, vergrößert die schnelle Eingreiftruppe von 40.000 auf über 300.000 Soldatinnen und Soldaten.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wird beim Auftakt des NATO-Gipfels an diesem Dienstag in Madrid kaum daran denken, was er vor 25 Jahren gemacht hat. Im Sommer 1997 ordnete der Norweger noch als Finanzminister seines Landes den Staatshaushalt, als sich die Staats- und Regierungschefs der Allianz zu ihrem Gipfel ebenfalls in Madrid trafen. Damals ging es auch schon um Erweiterung – und um eine weitere Annäherung an ein als Partner empfundenes Russland. Es entstanden die Instrumente vertrauensvoller Kooperation. Jetzt wird das Land im neuen strategischen Konzept der Allianz die „bedeutendste direkte Bedrohung“.

Vermutlich hätte sich das auch der damalige NATO-Generalsekretär, der Spanier Javier Solana, nicht vorstellen können, womit sich einer seiner Nachfolger ein Vierteljahrhundert später beschäftigen muss. Unter seiner Regie bot die Allianz Polen, Tschechien und Ungarn Beitrittsverhandlungen an. Zum 50. Geburtstag der NATO im April 1999 war die Aufnahme geschafft. Die NATO wuchs von 16 auf 19 Mitglieder.

Wenn sich bis Donnerstag die Staats- und Regierungschefs der NATO wieder in Madrid versammeln, wissen sie um die Bedeutung: Es ist ihr wichtigster Gipfel seit mindestens 21 Jahren, seit den Terroranschlägen auf die NATO-Führungsmacht USA. Eigentlich wollte Stoltenberg seinen Posten als Generalsekretär schon geräumt haben und einen etwas weniger stressigen Job als norwegischer Zentralbankchef bekleiden. Doch auf Drängen der NATO hat er in Kriegszeiten bis Herbst nächsten Jahres verlängert. Seine bestimmte und zugleich ruhige und verbindliche Art hat der Allianz in der jüngsten Krise durchaus gut angestanden.

Schweden, Finnland … und die Türkei

Gerade in diesen Tagen braucht er sein ganzes diplomatisches Geschick, das er sich in neun Jahren als Regierungschef Norwegens und in acht Jahren als Generalsekretär einer auf 30 Mitglieder gewachsenen Allianz erworben hat. Wieder geht es in Madrid um eine Erweiterung. Dieses Mal nach Norden und unter völlig veränderten Vorzeichen. Schweden und Finnland, über Jahrzehnte militärpolitisch bündnisneutral, drängen vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine in die Allianz. Doch beide Länder müssen den Sprung über die türkische Hürde nehmen. NATO-Mitglied Türkei wirft beiden Staaten vor, „Terrororganisationen“ wie die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die syrische Kurdenmiliz YPG zu unterstützen, und verlangt Sicherheitsgarantien.

Bereits in den Wochen zuvor war Stoltenberg auf Vermittlermission in Finnland und Schweden, suchte dann den Ausgleich mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Und auch am Vorabend des Starts in Madrid versucht er fieberhaft, das türkische Veto vom Tisch zu bekommen, trifft sich in Brüssel mit Magdalena Andersson, der schwedischen Ministerpräsidentin. In Madrid holt Stoltenberg dann am Dienstag alle noch einmal an einen Tisch: Andersson, Erdogan und den finnischen Präsidenten Sauli Niinistö. Aus Ankara kommt begleitend ein Dämpfer: Die Teilnahme an diesem Treffen bedeute nicht, dass die Türkei von ihrer Position zurückweiche. Auch deutsche Diplomaten senken die Erwartungen. Es sei „keine Katastrophe“, wenn das Bündnis für die Einstimmigkeit zur Norderweiterung „ein paar Wochen mehr“ braucht.

Im Mittelpunkt steht in Madrid das neue strategische Konzept. Diese politische Vorgabe für alle militärischen Ausplanungen hatte die NATO zuletzt 2010 neu formuliert. Damals bot das Bündnis Russland eine „strategische Partnerschaft“ an. Auf Seite zehn steht der Satz, der den damaligen Zustand beschreibt: „Heute herrscht Frieden im euroatlantischen Raum. Die Bedrohung durch einen konventionellen Angriff auf das Gebiet der NATO ist gering.“ China kam in dem NATO-Papier damals noch nicht vor. Das ist dieses Mal anders. Ursprünglich sollte China einen neuen Schwerpunkt einnehmen, nun blickt die Allianz doch zuallererst auf Russland – und wie die NATO reagiert.

Und dazu hat Stoltenberg Neuigkeiten. Eine größere Präsenz an der NATO-Ostflanke und eine höhere Verteidigungsbereitschaft waren die Ankündigungen seit dem 24. Februar, dem Beginn des Krieges. Nun wird Stoltenberg konkret, kündigt an, dass die schnelle Eingreiftruppe der NATO von derzeit 40.000 auf über 300.000 Soldaten ausgebaut werden soll. Das wird vor allem als Botschaft an das Baltikum gesehen. Dieses sieht sich massiven Drohungen russischer Politiker ausgesetzt und fürchtet, bei einem russischen Angriff „ausgewischt“ zu werden. Da bilden 300.000 NATO-Truppen schon einen anderen Rückhalt. Sie sollen in Friedenszeiten in ihren Herkunftsländern in Bereitschaft stehen und binnen zehn bis 30 Tagen dorthin verlegt werden können, wo sie gebraucht werden.