Wiltzer StürmerSanel Ibrahimovic: „Ich bin damals ohne Fußballschuhe hier angekommen“

Wiltzer Stürmer / Sanel Ibrahimovic: „Ich bin damals ohne Fußballschuhe hier angekommen“
Sanel Ibrahimovic ist vor sechs Monaten zum zweiten Mal Vater geworden Foto: Luis Mangorrinha/Le Quotidien

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Mit Sanel Ibrahimovic verliert nicht nur der FC Wiltz, sondern auch die BGL Ligue am Saisonende einen der erfolgreichsten Torjäger des letzten Jahrzehnts. Drei Wochen vor seinem Karriereende sprach der 34-jährige Vollbluttorjäger mit dem Tageblatt über Rekorde, Jubel und Enttäuschungen im Fußball.

Tageblatt: Sie hatten bereits vor der Saison angekündigt, dass es die letzte sei. Ist Ihnen bewusst, dass Ihre Karriere in drei Wochen zu Ende geht?

Sanel Ibrahimovic: Ja, ich habe damit bereits im Kopf abgeschlossen. Es war nicht einfach, aber die Entscheidung fiel schon vor längerer Zeit. Es kommt einfach der Moment, an dem man aufhören muss. Ich habe mit bald 35 Jahren inzwischen andere Prioritäten im Leben. Nachdem ich in Wiltz begonnen habe, will ich meine Karriere auch hier beenden. Es ist der richtige Zeitpunkt dafür.

Was wird Ihnen am meisten fehlen: das Team, die Tore oder der Druck?

Wahrscheinlich alle drei, denn diese Dinge gehören zusammen. Ohne Druck läuft nichts. Wenn man sich nicht selbst unter Druck setzt, braucht man erst gar nicht auf den Rasen zu gehen. Ich habe durch den Fußball unheimlich viele Freunde gewonnen. Das wird fehlen. Aber ich freue mich auf die Ruhe, die mich in Zukunft erwartet. Fußball ist sozusagen ein teures Hobby, besonders was die Freizeit angeht. Wenn man viermal pro Woche nach der Arbeit zum Training fährt, sieht man die Familie nur 30 Minuten am Tag. Ich bin vor sechs Monaten zum zweiten Mal Vater geworden und will unbedingt mehr Zeit mit dem Baby verbringen. Beim ersten Kind habe ich viel verpasst.

2008 kamen Sie aus Tuzla nach Wiltz, ein Jahr später haben Sie Ihre ersten Treffer in der Ehrenpromotion geschossen. Wie viele Testspiele waren nötig, um den Klub damals von einer Verpflichtung zu überzeugen?

Das ist schon sehr lange her … Ich glaube, es waren ein oder zwei Testspiele. Man muss bedenken, dass ich damals ohne Fußballschuhe angekommen bin. Ich habe vorher in Bosnien nur in der Halle gespielt. Ich war Futsal-Spieler, der mehrere Jahre lang nicht mehr auf Rasen gespielt hatte. Eigentlich sollte ich meine Mutter und Schwester während der Ferien besuchen, die in Wiltz lebten. Meine Mutter arbeitete in einer Apotheke und ihr Chef war Vorstandsmitglied in Wiltz. Sie hat ihm von mir erzählt … So ist das damals gelaufen. Wenn ich heute daran zurückdenke, kann ich es kaum glauben. Im Endeffekt war es die harte Arbeit, die mich dorthin geführt hat, wo ich jetzt bin. 

Erinnern Sie sich noch an das erste Tor – gleich beim ersten Auftritt in Luxemburg? 

Ja, denn ich habe ein sehr gutes Gedächtnis. Es war gegen Flaxweiler-Beyren, am fünften Spieltag (vorher fehlte die Spielerlaubnis, d.Red.). Es war der Ausgleichstreffer zum 1:1, allerdings haben wir das Spiel am Ende 1:2 verloren.

Seitdem kamen 151 Treffer in der BGL Ligue hinzu. Was bedeutet Ihnen diese Zahl? Wie viele sollen es in den verbleibenden drei Meisterschaftsspielen noch werden?

Es bedeutet, dass ich überall, wo ich war, Spuren hinterlassen habe. Wer hart arbeitet und an sich glaubt, kann es schaffen. Ich bin im Laufe der Jahre vielen guten Spielern, Stürmern, begegnet. Ich bin nicht groß und auch nicht sehr schnell. Aber ich habe etwas anderes: Ich kann sehr schnell denken und habe die Nase dafür, zu wissen, wo der Ball landet. Man muss Fußball fühlen. Letztendlich sind diese Zahlen respektabel. Es war nie mein Ziel, eine bestimmte Marke zu knacken. Dass es über 150 werden könnten, habe ich auch erst vor ein paar Wochen gemerkt. Meine Priorität war immer, zu gewinnen und Titel zu holen – auch dank meiner Mitspieler. Ich kann aufhören und mir sagen, dass ich das gut gemacht habe. Deshalb ist es auch wichtiger, mit Wiltz jetzt nach den Punkten zu sehen und nicht nach Toren. Dann werden wir sehen, wo wir am Ende stehen. 

Wiltz, RM Hamm Benfica, Jeunesse oder Düdelingen: Wo haben Sie letztlich die schönsten Momente erlebt?

Ich habe überall in diesen Klubs schöne Moment erlebt und mich wohlgefühlt. Der Start in Wiltz, dann eine kurze, aber gute Etappe in Hamm, bevor ich meinen ersten Titel bei der Jeunesse – mit vielen tollen Mitspielern – feiern durfte. Dort wurde ich dann auch zweimal Torschützenkönig. Beim F91 kamen so viele Titel dazu, dass ich nicht einmal mehr genau weiß, wie viele es waren. Wiltz dagegen wird meine erste und letzte Station bleiben, denn es ist mein Herzensverein. 

Es gab allerdings auch Enttäuschungen. Sie standen nicht im Kader der Europa-League-Elf des F91. Wie bewerten Sie diese Erfahrungen heute mit etwas Abstand?

Es gab viele Geschichten um diese Sache … Wenn ich zurückschaue, gibt es in meiner Karriere keine Enttäuschungen. In Düdelingen haben meine Teamkollegen gute Arbeit geleistet. Ich dagegen war verletzt, als der Trainer seine Liste aufgestellt hat. Das war seine Wahl. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ich so schnell zurück wäre. Klar hätte ich bei dieser Kampagne gerne auf dem Platz gestanden. Andererseits bin ich kein Fanatiker. Ich kann auch ohne diese Erfahrung leben. Die einzige Enttäuschung, die ich mir vorstellen kann, wäre es, wenn wir mit Wiltz die Klasse nicht halten könnten.

Derzeit steht noch nicht fest, in welche Richtung es für Ihren Klub gehen wird. Am Samstag steht Wiltz gegen RM Hamm Benfica mächtig unter Druck. Wie sehr macht sich das gerade bemerkbar?

Nervosität würde ich das nicht nennen. Es stimmt, dass wir gewinnen müssen. Danach werden wir dann sehen, wie sich die Sache entwickelt. Die Priorität liegt beim Spiel gegen Hamm, was danach kommt, spielt jetzt noch keine Rolle. Wir stehen in der Verantwortung. Es ist noch alles möglich, sogar das Relegationsspiel zu umgehen. 

Es könnte darauf hinauslaufen, dass Ihre Karriere mit einem Relegationsspiel endet. Wäre ein Erfolg im „Barrage“ ein guter Moment, die Schuhe an den Nagel zu hängen?

Es wäre natürlich besser, das zu umgehen. Auf jeden Fall wäre es mit weniger Stress verbunden. Aber wenn es sein muss, dann werden wir auch diese Hürde nehmen. Wir haben in unserem Kader genug Erfahrung und Qualitäten, um das zu schaffen. 

Werden Sie sich komplett aus dem Fußballmilieu zurückziehen? 

Ja, nach dieser Saison werde ich mich zurückziehen. Ich möchte mehr Zeit mit Familie und Kindern verbringen. In zwei, drei Jahren kann ich mir vielleicht vorstellen, einen Trainerjob zu übernehmen. Aber jetzt werde ich erst einmal zu Hause bleiben. 

Sieht man Sie ab nächster Saison trotzdem als Zuschauer im „Pëtz“?

Das kann schon sein. Aber die Jungen müssen jetzt das Ruder auf dem Platz übernehmen.

Die Erinnerungen

Ihr schönstes Tor: „Da gibt es keine Zweifel: 2017 im Pokalfinale gegen die Fola, als ich von der Mitte aus getroffen habe.“
Ihr wichtigstes Tor: „Davon gibt es viele. Es ist schwer, eins hervorzuheben. Ich erinnere mich aber an den letzten Titel mit dem F91. In Hostert lagen wir am vorletzten Spieltag bis zur 73. Minute 0:3 hinten. Am Ende haben wir 4:3 gewonnen. Ich habe das erste und das letzte Tor geschossen.“
Ihre beste Erinnerung: „Alle Titel, der erste Aufstieg mit Wiltz … Aber eigentlich bleibt die erste Meisterschaft mit der Jeunesse etwas Besonderes.“ 
Ihr peinlichster Moment auf einem Fußballplatz: „Als ich 2011 im Elfmeterschießen des Relegationsspiels gegen Hostert verschossen habe.“

Steckbrief

Name: Sanel Ibrahimovic
Alter: 34 Jahre
Position: Mittelstürmer
Staatsangehörigkeit: Luxemburger und Bosnier
Bisherige Vereine: Futsal-Spieler in Bosnien-Herzegowina und Kroatien; Wiltz, RM Hamm Benfica, Jeunesse, F91, Wiltz (seit 1.7.2019)
Erfolge: Viermal Meister, viermal Pokalsieger, dreimal Torschützenkönig, 151 Tore in 273 BGL-Ligue-Spielen (Nummer 11 der ewigen Bestenliste)