Samenkorn als Symbol des Widerstands

Samenkorn als Symbol des Widerstands
Norry Schneider ist seit mehreren Jahren in der Transition-Bewegung aktiv.

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Am Freitag und Samstag werden im Carré in der rue de l’Aciérie in Hollerich zum ersten Mal die „Transition Days“ veranstaltet. Worum geht es bei diesem Event, an dem sich rund 40 Organisationen beteiligen? Norry Schneider, Koordinator bei „Transition Minett“ und beim „Centre for Ecological Learning Luxembourg“ (CELL), erklärt.

Tageblatt: Was unterscheidet die „Transition Days“ von anderen Veranstaltungen der Transition-Bewegung?
Norry Schneider: Es ist eine neue Initiative. Die Veranstaltung wird etwas größer als das, was man bislang von uns gewohnt war. Unsere Events stehen allgemein zwar allen offen, doch häufig richten sie sich vor allem an Gleichgesinnte. Im Vordergrund steht auch diesmal die Vernetzung, doch es werden Themen behandelt, die es wert sind, dass sie breiter angegangen werden. Wir wollen Impulse für die Zukunft setzen. Aber nicht, indem wir die Regierung oder andere Institutionen dazu auffordern, zu handeln, sondern wir nehmen die Dinge selbst in die Hand. Irgendwann springt dann auch die Politik auf den Zug auf.

Das Thema der ersten „Transition Days“ ist die Landwirtschaft. Wieso gerade dieser Bereich?
Als Transitionsnetzwerk arbeiten wird sehr viel auf diesem Thema. Wir betreiben die Gemeinschaftsgärten, solidarische Landwirtschaft und Forschungsprojekte in diesem Bereich. In Luxemburg wurde in den vergangenen Jahren viel über Ernährung und Landwirtschaft diskutiert. Rundtischgespräche und Konferenzen beschäftigten sich mit den Fragen, ob man Vegetarier werden oder sich biologisch ernähren soll. Doch weiter ist man nicht gekommen.

Beim Rifkin-Prozess, an dem wir uns kritisch beteiligen, war auch eine „Food-Group“ vorgesehen. Allerdings haben wir das Gefühl, dass dies der einzige Bereich ist, bei dem es nicht weitergeht. Die Arbeitsgruppe hat sich nach Erscheinen des Rifkin-Berichts nur einmal getroffen und ist seitdem in Vergessenheit geraten. Konfliktuelle Positionen zwischen Forschern, Verwaltungen und Akteuren der Grassroots-Bewegung verhindern eine konstruktive Zusammenarbeit. Wir wollen all diese Leute wieder zusammenbringen.

Das Motto der „Transition Days“ lautet „Our Food, our Future“. Was ist damit gemeint?
Das Motto spiegelt die Haltung der „Reclaim“-Generation wider. Wir bewegen uns im Bereich von „Reclaim the streets“, „reclaim our food“ und der „Occupy“-Bewegung. In der Realität sehen wir aber, dass die Ernährung auf globaler Ebene von großen multinationalen Konzernen bestimmt wird. Auch Luxemburg bleibt davon nicht verschont.

Wir wollen selbst entscheiden, was auf unsere Teller kommt und was auf unseren Böden wächst. Und wenn ich „wir“ sage, schließe ich damit die Bürger, die Bauern, kleine Geschäfte und Schulkantinen mit ein. Alle diese Akteure haben das Gefühl, dass die Ernährung ihnen entgleitet und sie keinen Einfluss mehr haben.

Wie können „wir“ diesen Einfluss zurückgewinnen?
Milch und Fleisch werden stark gefördert. In diesem Bereich haben wir einen hohen Selbstversorgungsgrad. Beim Obst und Gemüse ist er mit rund einem Prozent sehr gering. Demnach werden 99 Prozent der pflanzlichen Lebensmittel importiert. Das meiste davon kommt nicht aus Thionville, sondern aus Ländern wie Spanien, Marokko oder aus Übersee. Das muss nicht unbedingt in Zukunft so bleiben.

Wir glauben natürlich nicht, dass nach den „Transition Days“ alles Obst und Gemüse in Luxemburg angebaut wird, doch es geht erst einmal darum, die Dinge in Gang zu setzen.

Am Freitag wird ein Workshop über „essbare Städte“ veranstaltet. Was kann man sich darunter vorstellen?
Über die Hälfte der Bevölkerung lebt in urbanen Räumen, vorwiegend im Süden und im Zentrum Luxemburgs. Doch unser Essen kommt von anderswo her. Immer mehr Städte verfügen über Ernährungsräte, wie es in Deutschland heißt, oder „Ceintures alimentaires“, wie man sie in Frankreich nennt. Diese Räte untersuchen, wie eine bessere Zusammenarbeit zwischen den städtischen und ländlichen Räumen hergestellt werden kann. Diese Verbindung kann z.B. durch direkte Verträge zwischen Bürgern und Bauern oder die Ansiedlung von landwirtschaftlichen Projekten an Stadträndern umgesetzt werden.

Wie soll das konkret vonstatten gehen?
Wir haben eine Initiative aus Nantes eingeladen, wo es ein Projekt gibt, urbane Grundstücke für die Essensproduktion zu nutzen. In Luxemburg herrscht hingegen bekanntlich ein Mangel an Grundstücken. Das wurde in der Wohnungsdiskussion thematisiert, doch im Bereich der Nahrung wird überhaupt nicht darüber gesprochen. Es gibt auch noch niemanden in Luxemburg, der konkret zu diesem Bereich arbeitet. Deshalb freue ich mich, dass das „Luxembourg Center for Architecture“ (LUCA) auch bei den „Transition Days“ dabei ist, damit solche Themen angesprochen werden können.

Wollen Sie etwa eine Neuauflage der Oekofoire schaffen?
Wir sehen die „Transition Days“ eher als Ergänzung zur Oekofoire, wenn es sie noch gäbe. Die Oekofoire war bis zuletzt stark vom Konsumgedanken geprägt. Das „Mouvement écologique“ hat natürlich immer versucht, auch Themen wie Solidarwirtschaft mit einzubringen und verschiedene Akteure zusammenzuführen, was auch zum Teil gelungen ist. Trotzdem sind diese Bereiche zwischen den zahlreichen Verkaufsständen in der Luxexpo etwas untergegangen. Das ist keine Kritik, aber auch die Oekofoire war eben eine „Foire“.

Worin unterscheiden sich die „Transition Days“ denn am meisten von der Oekofoire?
Am Samstag veranstalten wir zum Beispiel „Best Practice“-Workshops. Dort gibt es viel zu tun. Die Besucher können sich die Finger schmutzig machen, sich kennenlernen, miteinander interagieren. Wir veranstalten auch mehrere Konferenzen, bei denen auch das Publikum aktiv eingreifen kann und nicht erst am Ende des Vortrags Fragen stellen darf.

Die Transition-Bewegung fordert eine andere Landwirtschaft. Was stimmt denn nicht mit der konventionellen Landwirtschaft in Luxemburg?
Es besteht ein Kommunikationsproblem. Es gibt Landwirtschaftsbetriebe, die seit Generationen konventionelle Landwirtschaft betreiben und argumentieren, dass sie aus ökonomischen Gründen auf Pestizide wie Glyphosat angewiesen seien. Ich glaube, dass die Grenzen des Systems mit den Subventionen und dem Marktdruck so gezogen sind, dass diese Produzenten in dieser Logik recht haben.

Doch wir sind der Meinung, dass wir gemeinsam diesen Rahmen ändern können. Sowohl Bioproduzenten als auch konventionelle Landwirte können diesen Prozess mitgestalten. In anderen Ländern sieht man, dass dies keine Träumerei ist, sondern dass es funktionieren kann. Allerdings fehlt es an der nötigen Zusammenarbeit, um diese Veränderungen umzusetzen.

In Luxemburg gibt es ja bereits Projekte wie Terra oder Krautgaart, die einen alternativen Weg gehen. Sind diese Projekte rentabel?
Terra kommt bislang ganz ohne Zuschüsse aus. Natürlich fährt keiner von denen Mercedes, doch ihr Modell funktioniert. Das heißt natürlich nicht, dass die ganze Landwirtschaft nach dem solidarwirtschaftlichen Prinzip funktionieren muss. In der Fleisch- und Milchproduktion oder im Weinbau werden zum Teil ganz andere Modelle benötigt als im Obst- und Gemüseanbau. Doch die Solidarwirtschaft ist eine Nische, die einer ganzen Reihe von Akteuren Platz bietet. Mittlerweile gibt es vier solidarische Landwirtschaftsbetriebe in Luxemburg, die sich am Wochenende gemeinsam an einem Stand präsentieren werden, um ihre Projekte vorzustellen.

Trotz alledem gibt es auf EU-Ebene auch einen gegenläufigen Trend hin zur Begünstigung von Fleisch- und Futtermittelimporten aus Übersee, beispielsweise über Weg von Freihandelsabkommen. Kann der Kampf gegen eine übermächtige Agrar- und Lebensmittelindustrie gewonnen werden?

Ernährung ist tiefgreifend politisch. Schon die Aussaat eines einheimischen Samenkorns ist ein Symbol politischen Widerstands. Alles, was eine Gruppe oder ein Einzelner tut, um die Kontrolle über seinen Teller zurückzugewinnen, ist politisch.

Es hilft zwar, wenn Organisationen Kampagnen gegen Freihandelsabkommen führen, doch wenn es keine Initiativen gibt, die praktische Alternativen aufzeigen, dann bleibt es bei einem frontalen Kampf, der nur schwer zu gewinnen ist. Wenn aber beide Bewegungen ihre Kräfte bündeln – also zum einen Kampagnen und zum anderen konkrete Alternativen –, dann besteht eine Chance, diesen Kampf erfolgreich zu Ende zu führen.

Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das Konzept der „souveraineté alimentaire“, dem ja auch ein Workshop gewidmet ist?
Die Ernährungssouveränität spielt vor allem in der südlichen Hemisphäre eine wichtige Rolle und wird durch Initiativen wie Via Campesina praktiziert, die sich eben gegen dieses agro-industrielle System auflehnen. In Luxemburg gibt es keine Kleinbauern wie in Peru und trotzdem gibt es einige Gemeinsamkeiten. Souveränität bedeutet vor allem, sich die Thematik der Ernährung zurückzuerobern. Wie das konkret für Luxemburg aussehen soll, muss noch definiert werden. Deshalb organisieren wir die Transition Days Workshops, um über diese Thematik zu beraten.

Welche Rolle spielen dabei die sogenannten „Commons“?
„Commons“ bezeichnet Ressourcen, die jedem zustehen und die wir gemeinsam verwalten. Lange wurde behauptet, dass dies nicht funktionieren könne, weil der Mensch von Natur aus egoistisch sei. Die 2009 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnete Elinor Ostrom hat aber gezeigt, dass Commons durchaus möglich sind, wenn die Rahmenbedingungen richtig gesetzt werden. Die Commons stellen einen roten Faden in der Transitionsbewegung dar. Wir wollen dem luxemburgischen Publikum dieses äußerst komplexe Thema bei den Transition Days näherbringen.

Coby Meester
9. März 2018 - 15.23

Tiptop... Macht Hoffnung und Lust mitzumachen...