Sonntag2. November 2025

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Für Mama, für Papa, für PutinRusslands „Spezialoperation“ über die Ukraine in Schulen und Kindergärten

Für Mama, für Papa, für Putin / Russlands „Spezialoperation“ über die Ukraine in Schulen und Kindergärten
In einer Sankt Petersburger Schule haben sich Schüler zum „Z“ formiert – die Schulleitung fotografierte per Drohne Foto: Twitter

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Wie mit Kindern darüber reden, was gerade in der Ukraine passiert? Das russische Bildungsministerium hat eine eigene Antwort darauf gefunden. Mit einer Art „Spezialoperation“ in Schulen und Kindergärten.

Ein verschneiter Spielplatz, gelbe Klettergerüste und mehr als 50 Kinder. Die Buben und Mädchen aus dem Kindergarten Nummer 9 in der Industriestadt Nischni Tagil, knapp 100 Kilometer von Jekaterinburg am Ural entfernt, stehen in ihren warmen Schneeanzügen und in bunten Bommelmützen in der Kälte und schwenken russische Fähnchen. „Wir sind für den Präsidenten, für den Sieg und den Ruhm Russlands“, schreien sie.

Irgendjemand hat sie aus der Höhe gefilmt, so lässt sich die Aktion, die sich die Kindergartenleitung hat einfallen lassen, besser verkaufen: Die Kleinen formen ein Z. Der lateinische Buchstabe, im Russland dieser Tage als eine Art neue Swastika gebraucht, steht für die Unterstützung der „Spezialoperation“, unter der der Kreml seine Taten in der Ukraine ausführt. Zur Huldigung der russischen Armee müssen selbst Dreijährige antreten. Quer durchs Land. Der Kulturpalast von Nischni Tagil postet das Video in seinem Instagram-Account. Eigentlich ist Instagram in Russland mittlerweile verboten. Bildungseinrichtungen veröffentlichen auf ihren Internetseiten und in den sozialen Medien „Reporte“, wie sie die Anforderungen des Bildungsministeriums – in Russland Aufklärungsministerium genannt – umsetzen.

Panzer aus Buntpapier

Im Kindergarten Nummer 2 in Kalininsk in der Region Saratow haben die Erzieherinnen zwölf Kinder in zwei Reihen hingesetzt und jedem von ihnen ein Din-A-4-Blatt mit einem orange-schwarzen Z in die Hand gedrückt. In Nowowoskresenka bei Nowosibirsk halten zwei Jungen und zwei Mädchen ein mit Fingerfarben bemaltes Z in Weiß-Blau-Rot in den Händen. Im Kindergarten Nummer 111 in Sankt Petersburg präsentieren die Erzieherinnen eine „patriotische Ausstellung“ ihrer Schützlinge: Panzer aus Eierkartons, Panzer aus Streichholzschachteln, Panzer aus Buntpapier. Ein Putin-Porträt hängt an der Tür, darüber ein Z, daneben eine Puppe. Ein Zeichentrickfilm eines kremlloyalen Senders will in zweieinhalb Minuten erklären, was zwischen Russland und der Ukraine passiere. „Wanja und Kolja waren beste Freunde“, heißt es darin. „Alles machten sie zusammen. Dann aber wechselte Kolja (ein Junge in den Farben der ukrainischen Flagge) in eine andere Klasse und wollte sich fortan Mykola nennen. Er hatte neue Freunde (ein Junge in den Farben US-amerikanischer Flagge). Er fing an, andere zu verhauen, angestiftet von seinen neuen Freunden. Wanja (ein Junge in den Farben der russischen Trikolore) nahm ihm den Stock weg, damit er niemanden mehr schlägt. Aber Kolja heulte laut, so sahen alle drumherum in Wanja den Schuldigen. Dabei wollte Wanja nur Frieden für alle.“ So ähnlich verhalte es sich zwischen den Brüdervölkern Russland und der Ukraine, sagt die Stimme danach und verkauft den russischen Angriff auf sein Nachbarland als Friedensmission.

In Reih und Glied zum „Z“: Der Militarismus von klein auf ist nicht neu in Russland
In Reih und Glied zum „Z“: Der Militarismus von klein auf ist nicht neu in Russland Foto: Twitter

Der Militarismus von klein auf ist nicht neu in Russland. Patriotismus-Unterricht gehört in den Lehrplan staatlicher Schulen. Seit einigen Tagen steht neues Videomaterial zur Verfügung: eine offene Stunde unter dem Namen „Die Verteidiger des Friedens“. Es ist eine Propaganda-Veranstaltung für Kinder ab sechs. Da sitzt die zwölfjährige russische Sängerin Sofia Chomenko im Studio und sagt mit ihrer hellen Stimme: „Lasst uns über alles sprechen, was uns dabei helfen wird, herauszufinden, was gerade los ist.“ Sie hat „Experten“ eingeladen. Einen Moderator, der bei Putins Volksfront mitmischt, einst zu Wahlkampfzwecken gegründet, und einen Militärexperten, der, wie Russlands unabhängige Journalisten herausfanden, als Beleg seiner Expertise nichts publiziert hat.

„Echte Soldaten“

Sofia also stellt vermeintlich naive Fragen: Dürfen denn russischsprachige Ukrainer kein Russisch mehr sprechen? Hat denn alles mit dem Zerfall der Sowjetunion angefangen? Sind die USA denn eine wahrhaftige Bedrohung? Die „Experten“ erklären der Schülerin, dass die Orange Revolution in der Ukraine eine „Generalprobe“ für die Bedrohung Russlands gewesen sei, sprechen über den acht Jahre andauernden „Terror“ in den sogenannten Volksrepubliken im Donbass, legen nahe, dass die NATO Moskau „einkreise“ und sagen das, was das russische Staatsfernsehen Tag für Tag sagt: „Die Spezialoperation hat das Ziel, die Ukraine zum Frieden zu zwingen.“ Nach einer halben Stunde schaut Sofia nickend und sagt: „Ich fange an, die Logik zu sehen.“

Vor allem zum Jahrestag der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, die Moskau als „Heimholung“ bezeichnet, häuften sich die „Friedensstunden“ in den Schulen. Schulleitungen bekamen vom Aufklärungsministerium ganze Handbücher mit möglichen Fragen der Schüler und den offiziellen Antworten darauf. „Politische Pädophilie“ nennen Kritiker die Methoden, manche Eltern wehren sich gegen die Indoktrination ihrer Kinder. Sie beziehen sich auf das russische Schulgesetz. Danach ist politische Agitation in den Bildungseinrichtungen verboten. Eigentlich. In so manchen Kindergärten lernen die Kleinen derweil Gedichte: „Die Jungs in unserem Kindergarten sind echte Soldaten. Sie spielen den ganzen Tag Krieg und beschützen die Mädchen.“