Krieg in der UkraineRusslands Armee beschießt die Millionenstadt Charkiw wieder mit Raketen

Krieg in der Ukraine / Russlands Armee beschießt die Millionenstadt Charkiw wieder mit Raketen
Elemente des Daches eines Gebäudes des Saltiw-Straßenbahndepots liegen auf einer zerstörten Straßenbahn in Charkiw – nach  dem Raketenbeschuss des russischen Militärs -/Ukrinform/dpa

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Aus der zweitgrößten Stadt der Ukraine werden mindestens 20 Tote nach russischem Raketenbeschuss gemeldet. Kiew vermutet darin ein Ablenkungsmanöver. Ein Bericht spricht von hohen russischen Verlusten im Donbass.

Nach wochenlanger relativer Ruhe im Großraum Charkiw hat Russland wieder die Millionenstadt im Norden der Ukraine ins Visier genommen. Russische Truppen feuerten am Mittwoch zahlreiche Raketen auf die Stadt und deren Umgebung. Dabei wurden nach ukrainischen Angaben mindestens 20 Menschen getötet und 16 verletzt. Die Regierung in Kiew äußerte den Verdacht, dass die Russen ukrainische Kräfte dort binden wollten, um sie von der Hauptschlacht im Donbass um die Stadt Sjewjerodonezk im Osten abzulenken.

„Russische Kräfte gehen gegen die Stadt Charkiw in der Art vor, wie sie gegen Mariupol vorgegangen sind – mit dem Ziel, die Bevölkerung zu terrorisieren“, sagte der ukrainische Präsidentenberater Olexij Arestowitsch. „Und wenn sie das weiter tun, werden wir reagieren müssen – etwa indem wir unsere Artillerie bewegen müssen“, führte er aus. „Die Idee ist, ein großes Problem zu schaffen, um uns abzulenken und Truppen zu verlegen. Ich denke, es wird eine Eskalation geben.“ Unter den Opfern in Charkiw befand sich auch eine 85-Jährige. „Ein Kind des Krieges“, sagte ihr Enkel mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg. „Sie überlebte einen Krieg, aber durch diesen hat sie es nicht geschafft.“

Der Staatsanwalt von Charkiw, Michailo Martosch, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die russischen Streitkräfte hätten offensichtlich Mehrfachraketenwerfer eingesetzt. Seit Dienstag werden schwere Angriffe gegen die Millionenstadt geführt. Erst vergangenen Monat hatten die ukrainischen Truppen die russischen Streitkräfte aus der Region zurückgedrängt. In der Stadt war teilweise wieder ein normales Leben möglich. Russland hat sich seitdem auf den Donbass im Osten der Ukraine konzentriert. Vor allem im Gebiet von Luhansk laufen seit Wochen heftige Kämpfe mit großen Verlusten auf beiden Seiten.

„Sie haben es noch nicht geschafft“

Präsidentenberater Arestowitsch äußerte die Sorge, dass die russischen Streitkräfte nach der Einnahme der Ortschaft Metjolkine die Städte Lyssytschansk und Sjewjerodonezk von den ukrainisch kontrollierten Gebieten abschneiden könnten. „Die Gefahr eines taktischen russischen Sieges ist gegeben, aber sie haben es noch nicht geschafft“, sagte er in einem online veröffentlichten Video. Die russischen Streitkräfte haben nach britischen Angaben vor allem in der Region Donezk im Donbass hohe Verluste erlitten. Sie hätten etwa 55 Prozent ihrer ursprünglichen Stärke eingebüßt, hieß es im Lagebericht des Verteidigungsministeriums in London auf Twitter.

Kinder auf den Straßen eines Vorortes der Großstadt Tschernihiw im Norden der Ukraine
Kinder auf den Straßen eines Vorortes der Großstadt Tschernihiw im Norden der Ukraine Foto: AFP

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz rechnet damit, dass der Krieg noch einige Zeit dauern wird und sich der Westen anschließend auf einen langwierigen Wiederaufbau der Ukraine einstellen muss. Man müsse darüber reden, wie ein „Marshall-Plan für die Ukraine“ aussehe, sagte Scholz in einer Regierungserklärung im Bundestag zu den bevorstehenden EU-, G7- und NATO-Gipfeln. Entscheidend sei jetzt, „dass wir standhaft Kurs halten: mit unseren Sanktionen, mit den international abgestimmten Waffenlieferungen, mit unserer finanziellen Unterstützung für die Ukraine“, sagte er. „Solange bis Putin seine kolossale Fehleinschätzung endlich erkennt.“

„Anmaßende Weise“

Im parallel ausgebrochenen Konflikt zwischen Russland und der Europäischen Union um eine teilweise Transit-Blockade der Exklave Kaliningrad drohte die Regierung in Moskau mit Vergeltung. Die Antwort auf das Vorgehen Litauens werde nicht ausschließlich diplomatisch sein, sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa. Vielmehr werde die Reaktion Russlands „praktisch“ ausfallen, ergänzte sie, ohne dies näher auszuführen.

Litauen verbietet unter Verweis auf EU-Sanktionen den Transitverkehr von Gütern wie Baumaterialien, Metalle und Kohle in die russische Exklave. Von dem Verbot betroffen ist auch die einzige Zugstrecke zwischen Russland und Kaliningrad. Das frühere ostpreußische Königsberg liegt an der Ostsee zwischen den EU- und Nato-Staaten Litauen und Polen. Eine direkte Landverbindung zu Russland gibt es nicht.

Litauens Präsident Gitanas Nauseda sagte, sein Land sei auf russische Vergeltungsmaßnahmen vorbereitet. Dazu gehöre ein Ausschluss Litauens aus dem gemeinsamen Stromnetz mit Russland, sagte Nauseda in einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters. Mit einer militärischen Konfrontation rechne er nicht, weil Litauen zur NATO gehört. Dennoch drohe Russland seinem Land auf „anmaßende Weise“. Er werde den Konflikt über Kaliningrad beim NATO-Gipfel in der kommenden Woche ansprechen.