Russland hat in der Nacht zum Donnerstag den größten Raketenangriff seit Jahresbeginn auf die Ukraine geritten. „Das war eine schwere Nacht“, kommentierte Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj am Morgen auf seinem Telegramm-Kanal. Zehn von 19 Gebietseinheiten seien beschossen worden. „Die Besatzer können nur Zivilisten terrorisieren. Das ist alles, wozu sie fähig sind. Und es wird ihnen nichts bringen“, schreibt Selenskyj.
Der ukrainische Luftwaffensprecher Juri Ihnat sprach von 81 Angriffen, darunter sechs mit supermodernen Kinschal-Raketen. „So etwas gab es seit Invasionsbeginn noch nie“, sagte Ihnat im ukrainischen Fernsehen. Offenbar gelang es der ukrainischen Armee diesmal, nur 34 der 73 Raketen und acht iranische Drohnen abzuschießen. Die gesamte Opferzahl des Angriffs war bei Redaktionsschluss nicht bekannt. Klar war einzig der Tod von mindestens sieben Zivilpersonen.
Die Besatzer können nur Zivilisten terrorisieren. Das ist alles, wozu sie fähig sind. Und es wird ihnen nichts bringen.
Auch das Verteidigungsministerium in Moskau hob vor allem den Einsatz der von Russland entwickelten hochmodernen Hyperschall-Luft-Boden-Rakete „Kinschal“ hervor, mit denen alle bekannten westlichen Luftabwehrsysteme überfordert sind. „Russland hat einen Racheangriff als Antwort auf die Terrorangriffe im Raum Briansk vom 2. März unternommen“, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, in Moskau. „Unsere hochpräzisen Waffen, darunter Kinschal-Raketen, haben den militär-industriellen Komplex und mit ihm verbundene Energie-Infrastruktur getroffen“, sagte der Russe.
Vor Wochenfrist sollen ukrainische Saboteure laut der amtlichen russischen Presseagentur Tass in Dörfern bei der westrussischen Stadt Briansk einen Schulbus und einen Pkw beschossen und Geiseln genommen haben. Kiew bezeichnete den angeblichen Vorfall damals als „russische Provokation“.
Über militärische Opfer war bis Donnerstagabend nichts bekannt. Moskau will nach eigenen Angaben Eisenbahn-Infrastruktur zerstört haben, mit der westliche Waffentechnik in die Ostukraine transportiert hätte werden sollen. Auch seien sechs amerikanische Himars-Raketen zerstört worden, berichtete Konaschenkow in Moskau.
Tote Zivilisten in Lwiw und Cherson
In Kiew war einzig klar, dass gewöhnliche russische Raketen des Typs KH-22, KH-59 und KH-101 eine Bushaltestelle in Cherson getroffen und dabei drei Zivilpersonen getötet hatten. Am Stadtrand von Lwiw (dt. Lemberg) unweit der polnischen Grenze wurden zwei Wohnhäuser bei einem Bauernhof getroffen. Vier Zivilisten starben auf der Stelle, eine unbekannte Zahl weiterer friedlicher Zivilpersonen wurde verletzt.
Zu einer gefährlichen Situation führte der russische Raketenangriff auf die ostukrainische Großstadt Saporischschja, da dabei die Hochspannungsleitung ins nahe AKW bei Enerhodar beschädigt wurde. Das seit März 2022 von russischen Truppen besetzte, größte AKW Europas, das seitdem ziemlich genau an der Frontlinie zwischen dem russisch besetzten Süden und dem noch von Kiew kontrollierten Norden der Oblast Saporischschja steht, musste in der Folge am Donnerstagmorgen zum bereits sechsten Mal abgeschaltet werden.
Die Kühlung der Brennstäbe konnte damit nur noch von Notstrom-Dieselgeneratoren gewährleistet werden. Werden die insgesamt sechs Reaktoren nicht gekühlt, kommt es zur Kernschmelze und damit zum GAU. Moskau und Kiew berichteten am Donnerstag indes übereinstimmend, der Dieselbrennstoff der eingesetzten Generatoren reiche noch für zehn Tage. IAEO-Generalsekretär Raphel Grossi forderte in einem dramatischen Appell erneut eine remilitarisierte Zone rund um das AKW.
In der seit August heftig umkämpften und mittlerweile von der russischen Armee fast umzingelten Stadt Bachmut im Donbass präsentierte sich die Lage am Donnerstag weitgehend unverändert. Die russische Presseagentur Tass berichtete am Donnerstagabend, tagsüber sei eine ukrainische Offensive zurückgeschlagen worden. „Russische Truppen haben immer noch alle asphaltierten Straßen unter Feuerschutz“, berichtete das russische Verteidigungsministerium. Stimmt dies, ist eine Versorgung – sowie ein allfälliger Abzug – der ukrainischen Verteidiger nur noch über Feldwege möglich.
De Maart
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