EditorialR.I.P.: Ein Nachruf auf die Luxemburgensia

Editorial / R.I.P.: Ein Nachruf auf die Luxemburgensia
Die Walferdinger Buchmesse im Jahr 2022 … es gibt sie doch, die Luxemburgensia Foto: Editpress/Julien Garroy

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Am 10. Januar des kommenden Jahres finden die „Assises sectorielles“ rund um die Literatur statt. Angesichts des aktuellen Stellenwerts der von Schriftsteller Tom Reisen bereits vor Jahren als inexistent beschriebenen Luxemburgensia ist der Diskussionsbedarf mehr als dringend. Denn Reisens etwas provokante These, nachzulesen in seinem beim CNL erschienenen „Discours sur la littérature“, wirkt mittlerweile unter mehr als einem Gesichtspunkt geradezu prophetisch: Lesungen haben eine Besucherquote mit starkem Abwärtstrend, Schriftsteller*innen werden nicht nur beim Theaterpreis, sondern gar beim nationalen Literaturwettbewerb zu geisterhaften Nebenbuhlern, in der Presse wird die Luxemburgensia weitestgehend totgeschwiegen, in Bücherläden in einer Ecke segregiert.

Einige Fallbeispiele zur Notlage: Während, abgesehen eben von Schriftstellern, beim Theaterpreis 2021 vom Dramaturgen über Schauspieler bis zu Bühnenbildnern nahezu alle Berufssparten, die am Erfolg (oder Scheitern) eines Theaterabends maßgeblich beteiligt sind, in den verschiedenen Kategorien der Shortlist vorhanden waren, wurde in der ersten Version der Ausschreibung des nationalen Literaturwettbewerbs 2023 zur neuen Gattung Drehbuch vieles, aber nur wenig Literatur gefragt: Verlangt wurde ein Treatment, also allerhand technisches Zeug – wodurch Drehbuchautoren, im Vergleich zu Schriftstellern, klar im Vorteil waren. Nach Verhandlungen des Autorenverbandes mit dem Kulturministerium wurde die Ausschreibung zwar angepasst – dass aber niemandem in den Sinn kam, dass bei einem Literaturwettbewerb die Literatur im Vordergrund stehen sollte, ist symptomatisch dafür, wie stiefmütterlich die Luxemburgensia hierzulande behandelt wird.

Dass mittlerweile argumentiert wird, beim Film Fund könnte man eine höher dotierte Schreibhilfe für weniger Inhalt bekommen, zeigt letztlich nur, wie groß die finanzielle Kluft zwischen der Literatur und dem Rest der Kulturwelt ist. Die meisten Preisgelder sind lächerlich niedrig, stagnieren seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten – und das in einer Branche, in der das Stundengehalt eines Autors so niedrig ist, dass er oder sie besser verdienen würde, wenn er oder sie in China Turnschuhe zusammennähen würde. Jeder weiß um diese Lage, der Tatbestand wird sogar gebetsmühlenartig wiederholt, ändern tut sich dennoch nichts.

But wait, there’s more: Literaturlesungen sind wenig besucht, Preisverleihungen genauso wenig – selbst unter Autoren herrscht, trotz Gründung einer Gewerkschaft, Solidarität allenfalls auf dem Papier, die meisten Schreiberlinge sind so selbstzentriert, dass sie sich, wenn überhaupt, nur für die eigenen Texte und die befreundeter Autoren interessieren. Weil beim diesjährigen Literaturwettbewerb ein bis dato unbekannter Expat den ersten Preis absahnte, haben fast alle hiesigen Autoren durch ihre Abwesenheit geglänzt – wer weiß, vielleicht hätte ja irgendwer feststellen müssen, dass Preisträger John-Paul Gomez echt was drauf hat oder Elise Schmits englischsprachiges Manuskript sehr toll ist.

Und was macht die Presse? (Fast) nichts. Abgesehen von einer wagemutigen Journalistin war bei besagter Verleihung niemand vor Ort, auch nicht die bestbesetzte Kulturredaktion des Landes. Auch sonst erfährt man angesichts der Wahl der Bücherrezensionen, Porträts und Interviews, falls es denn überhaupt welche gibt, oft mehr über die persönlichen (Ab)neigungen der Journalisten als über echte Trends im Literaturbetrieb.

Und was machen die Jurys? Der vergangene Luxemburger Buchpreis hat ein Buch preisgekrönt, dessen schelmischer Autor nach nur drei Seiten seiner Nostalgie für Zeiten, in denen Schüler ordentlich Haue abbekamen, Raum gibt – das alles selbstverständlich unter dem Deckmantel schenkelklopfender Satire. Wenn das die Literatur ist, die wir in die Vitrine stellen – dann hat die Luxemburgensia vielleicht das allgemeine Totschweigen verdient. Schade ist das nur für die Autoren, die wirklich etwas zu sagen haben.