SerbienPräsident Vucic deutet Bereitschaft zum Ausgleich mit Kosovo an

Serbien / Präsident Vucic deutet Bereitschaft zum Ausgleich mit Kosovo an
Serbiens Präsident Aleksandar Vucic spürt den Druck aus der Europäischen Union, ein Einvernehmen mit dem Kosovo zu finden Foto: AFP/Andrej Isakovic

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Statt auf Dialog setzten die Ex-Kriegsgegner Kosovo und Serbien seit Jahren auf eine Politik der Nadelstiche. Nun sorgen die Daumenschrauben des Westens für neue Bewegung im Kalten Balkankrieg. Unter Druck deutet Serbiens Präsident einen Ausgleich mit Pristina an, doch stößt er in Belgrad auf Skepsis – und Kritik.

Die Ouvertüre zur unerwarteten Kehrtwende übernahm Serbiens Staatschef Aleksandar Vucic persönlich. Es sei „nicht leicht, an dem Papier irgendetwas Erfreuliches zu finden – im Gegenteil“, kommentierte er in einer Pressekonferenz am Montagabend den ihm von der EU und den USA präsentierten Entwurf für ein Abkommen mit Kosovo. Doch bei dessen Ablehnung drohe Serbien der Abbruch der EU-Integration, die Wiedereinführung der Schengen-Visumpflicht und der Abzug von Investitionen: „Ohne den europäischen Weg wären wir wirtschaftlich und politisch verloren.“

Statt auf Aussöhnung und Verständigung pflegen die Ex-Kriegsgegner Serbien und Kosovo seit Jahren, auf eine Politik der Nadelstiche und Dauerspannungen zu setzen. Belgrad erkennt die seit 2008 unabhängige Ex-Provinz nicht an – und blockiert dem Staatsneuling mithilfe von Moskau hartnäckig den Zutritt zu internationalen Organisationen wie der UN, Unesco oder Interpol. Umgekehrt verwehrt Pristina der serbischen Minderheit die bereits 2013 vertraglich zugesicherte Schaffung eines Verbands der serbischen Kommunen.

Vucic weiß nicht, wie er seine Wende erklären soll, die im völligen Gegensatz steht zu dem von ihm geformten Meinungsbild

Bosko Kaksic, Analyst

Die jahrelangen Versuche Brüssels, die unwilligen Nachbarn mithilfe eines von der EU moderierten Dialogs zur Normalisierung ihrer Beziehungen zu bewegen, haben wenig gebracht. Nun zieht der Westen vor allem dem EU-Anwärter Serbien auch wegen der hartnäckigen Verweigerung der Russland-Sanktionen die Daumenschrauben an. Die geopolitische Lage habe sich geändert, „Europa ist im Krieg, die Nervosität ist groß“, versucht das schillernde Politchamäleon Vucic seinen Landsleuten die Notwendigkeit für einen „Kompromiss“ zu erläutern.

Doch bisher hatten Vucic, seine nationalpopulistische SNS und die regierungsnahen Gazetten ihre Landsleute im Windmühlenkampf gegen Pristina stets gebetsmühlenhaft auf die „rote Linie“ der Nichtanerkennung der längst verlorenen Ex-Provinz eingeschworen. Nicht nur Oppositionsparteien aus dem rechtsnationalen Lager sprechen nun von „Verrat“. Auch SNS-Politiker sollen sich hinter verschlossenen Türen gegen den von Vucic als unumgänglich forcierten Kurswechsel ausgesprochen haben.

Faktische Anerkennung des Kosovo durch Serbien

Tatsächlich steht der Vertragsentwurf des sogenannten „deutsch-französischen Plans“ im völligen Gegensatz zur bisherigen Kosovo-Politik Belgrads. So sieht dieser die gegenseitige Anerkennung von Pässen, Staatssymbolen und Zollpapieren vor, spricht von gleichberechtigten Beziehungen und erwähnt ausdrücklich, dass Serbien den Zutritt Kosovos zu internationalen Organisation „nicht verhindern“ dürfe.

Das Abkommen würde die faktische Anerkennung des Kosovo durch Serbien bedeuten, sagt der Analyst Bosko Jaksic. Belgrad könnte damit einerseits den größten Stolperstein in den Beziehungen zum Westen aus dem Weg räumen und sich andererseits aus der Abhängigkeit von Russland „losreißen“. Doch der Präsident drohe dabei zur „Geisel“ seiner Politik des letzten Jahrzehnts zu werden: „Vucic weiß nicht, wie er seine Wende erklären soll, die im völligen Gegensatz steht zu dem von ihm geformten Meinungsbild. Er hat sich selbst in eine Position gebracht, aus der es ihm nun schwerfällt, wieder herauszukommen.“

Zwar unterstützen selbst die fünf EU-Staaten, die Kosovo nicht anerkennen, den Vertragsentwurf. Doch nicht nur wegen der Widerstände in Serbien ist dessen Umsetzung noch keineswegs gewiss. Auch Kosovos wenig flexibler Premier Albin Kurti müsste kräftig Zugeständnisse machen. Zudem schließt Vucic die Möglichkeit eines Referendums über das Abkommen nicht aus: Laut Umfragen soll einer Mehrheit das prinzipientreue, aber aussichtslose Festhalten an den serbischen Ansprüchen auf Kosovo wichtiger sein als die vage Aussicht auf einen fernen EU-Beitritt.