Politisches PR-Desaster zum 11. September

Politisches PR-Desaster zum 11. September
Präsident Donald Trump (l) und Senator Ted Cruz (r)

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Ein 16 Jahre altes Interview bringt Trump in Erklärungsnöte, während Parteikollege Ted Cruz durch einen Pornoskandal zum Gespött wird.

Ungewohnt ernst und würdevoll trat Donald Trump am Montag vor die Weltpresse. Zum 16. Jahrestag der Terroranschläge auf das World Trade Center wohnte er den Gedenkfeierlichkeiten zum ersten Mal als US-Präsident bei. Zusammen mit seiner Frau, First Lady Melania, präsentierte sich der für seine peinlichen Ausfälle bekannte Politiker bei seinem zurückhaltenden Auftritt ausnahmsweise wie ein echter Staatsmann.

Doch nun droht ihn ein bizarres Interview einzuholen, das er am Tag der Anschläge vor 16 Jahren gab. Und auch seinen Parteikollegen Ted Cruz, der im Präsidentschaftsrennen gegen Trump unterlag, wird der 11. September 2017 noch lange Zeit verfolgen.

„Ein großartiger Anruf“

Im Jahr 2001 hat der Geschäftsmann Donald Trump noch keine politischen Ambitionen. Er ist bekannt als Immobilienmagnat und darf wohl als einer der berühmtesten Bürger New Yorks gelten. Als solcher wird er vom Sender Fox News nur Stunden nach den verheerenden Anschlägen auf die Zwillingstürme des World Trade Centers interviewt.

Dabei äußert sich Trump, der von seinem Büro aus die Kollisionen der entführten Flugzeuge beobachten konnte, zunächst angemessen schockiert. „Jahrelang habe ich das World Trade Center im Hintergrund gesehen und nun sehe ich absolut nichts. Es ist einfach weg, es ist schwer zu glauben.“ Doch kurz danach folgt eine Aussage, die den heutigen US-Präsidenten in arge Erklärungsnöte bringen könnte.

Trump besitzt im Finanzdistrikt New Yorks den 71-stöckigen Wolkenkratzer 40 Wall Street, auch Trump Building genannt – in unmittelbarer Nähe des World Trade Centers. Nachdem der Fox-Reporter ihn fragt, ob es Schäden am Gebäude gäbe, antwortet Trump: „Nun, ich hatte gerade einen großartigen Anruf. 40 Wall Street war tatsächlich das zweitgrößte Gebäude in Downtown Manhattan. Bis zum Bau des World Trade Centers war es das größte. Danach wurde es bekannt als das zweitgrößte und jetzt ist es das größte.“

Insgesamt dauerte das Interview zehn Minuten (► Link), aber es ist diese kurze Passage, die sich seit Montag in den sozialen Netzwerken rasend schnell verbreitet. Auf Twitter wurde der Ausschnitt schon Zehntausende Male geteilt.

Eine unbedachte Äußerung nach einem für alle New Yorker traumatischen Tag? Eine solche Ausrede lassen die fassungslosen Twitter-User nicht gelten – und fallen über Trump her: „Tausende Menschen sind gestorben und Donald Trump prahlt damit, dass sein Gebäude wieder das größte ist“, schimpfen sie. Eine andere Nutzerin schreibt: „Trumps Behauptung, Muslime hätten 9/11 gefeiert, war falsch. Wisst ihr, wer wirklich gefeiert hat? Trump.“

Das Zitat passt zur berühmt-berüchtigten Gigantomanie des US-Präsidenten. Neben seinem Wahlkampfmotto („Make America Great Again“) existieren diverse Aussagen von ihm selbst oder seinem direkten Umfeld, die das belegen. So behauptete Pressesprecher Sean Spicer beispielsweise, Trumps Amtseinführung hätte „das größte Publikum, das je bei einer Vereidigung dabei war, angezogen“. Diese nachweislich falsche Aussage bezeichnete Spicer später als „alternative Fakten“, was zum geflügelten Wort wurde. Inzwischen wird Trumps maßloser Hang zur Übertreibung bei jeder Gelegenheit auf die Schippe genommen.

https://twitter.com/Gedankenbalsam/status/907254899762761729

Im Fall des „größten Gebäudes in Downtown Manhattan“ lacht allerdings niemand. Zu zynisch und pietätlos wirkt die Aussage in Anbetracht der Terroranschläge, die Amerika für immer veränderten – und zu typisch für den oft als Narzisst beschimpften Trump, um da an ein durch Stress bedingtes Versehen zu glauben. Als Zitat eines Geschäftsmanns war der Interview-Auszug kaum von Interesse, doch für den jetzigen US-Präsidenten stellt er ein politisches Desaster dar – mit dem er bis zum Ende seiner Amtzeit immer wieder konfrontiert werden könnte. Spätestens am 11. September nächsten Jahres, wenn er die Gedenkfeierlichkeiten zum 17. Jahrestag leiten muss.

„Hat der Teufel dein Handy benutzt?“

Bisher hat sich der sonst auf Twitter sehr aktive Trump noch nicht dazu geäußert. Möglicherweise möchte er den Shitstorm aussitzen. Helfen könnte ihm dabei sein Parteikollege Ted Cruz, der am 11. September eine ganz persönliche Katastrophe erlebte.

Was war passiert? Offenbar ist dem republikanischen Politiker beim Twittern der Finger ausgerutscht – er hinterließ bei einem vom Account @SexuallPosts geteilten Pornofilmchen ein „Like“. Unglücklicherweise sind solche Likes bei Twitter für jeden öffentlich sichtbar.

https://twitter.com/sarahcolonna/status/907475810260369410

Der Like wurde schnell wieder entfernt, aber das Unheil hatte schon seinen Lauf genommen. Screenshots verbreiteten sich wie ein Lauffeuer auf Twitter, wo der erzkonservative Cruz nun mit Spott überhäuft wird. Seit dem frühen Dienstagmorgen (später Abend in den USA) wurden bisher fast 300.000 Tweets mit seinem Namen abgesetzt. Gegenwärtig ist er immer noch Nummer eins der weltweiten „Trends“ – das heißt: Über kein anderes Thema wurde in den letzten Stunden so viel getwittert. Auch mit dabei: US-Schauspieler und Filmproduzent Zach Braff, berühmt durch seine Rolle als junger Arzt in der Serie „Scrubs“. An seiner schadenfrohen Umfrage – „Was ist Ted Cruz‘ Ausrede morgen?“ – beteiligten sich bisher fast 25.000 User.

https://twitter.com/zachbraff/status/907476743736377344

Ein solches Missgeschick wäre auch für einen europäischen Politiker peinlich, aber im prüden Amerika stellt es ein absolutes Fiasko dar. Das liegt allerdings auch an der Person Ted Cruz: Der Senator aus Texas steht der rechtskonservativen „Tea Party“ nahe, die nicht nur gegen Migranten wettert und den Klimawandel leugnet, sondern auch eine rigide Sexualmoral predigt. Cruz ist Abtreibungsgegner, lehnt die gleichgeschlechtliche Ehe ab – und führte während seiner Zeit als Anwalt einen Prozess gegen Händler von Sexspielzeug. Dabei argumentierte er auch gegen Masturbation: Es gäbe „kein Recht, die eigenen Genitalien zu einem anderen als einem medizinischen Zweck zu stimulieren“.

Eine mutmaßliche Vorliebe zu Pornos passt schlecht zu einer solchen Haltung – zumal Twitter-User genau zu wissen glauben, wieso er sie sich angesehen hat: „Ted Cruz hat sich am 11. September einen runtergeholt“, kommentieren viele Nutzer. Das Datum macht die Blamage perfekt.

Willkommene Ablenkung?

Bei allem Spott sollte jedoch zu denken geben, dass Ted Cruz‘ „Pornoaffäre“ für Präsident Trump zu keinem besseren Zeitpunkt passieren konnte. Cruz hat dem Twitter-Publikum eine schmachvolle Geschichte geliefert, die Trumps Äußerungen zu den Anschlägen auf das World Trade Center nahezu verdrängt hat. Eine geplante Nebelkerze des Parteikollegen, um den Präsidenten zu schützen? Betrachtet man die vergangenen Auseinandersetzungen der beiden Politiker, ist das eher unwahrscheinlich: Bei den Vorwahlen zur US-Präsidentschaft wurde der Senator von Trump scharf attackiert und beleidigt. Unter anderem deutete Trump ohne jeden Beleg an, Cruz‘ Vater wäre am Attentat auf John F. Kennedy beteiligt gewesen.

Cruz gab seine Kandidatur später auf, äußerte sich aber auch danach noch kritisch gegen Trump. Umso ärgerlicher für Cruz, dass sein PR-Desaster jetzt indirekt dem Rivalen nützt. Einen Gefallen von seiner Seite kann man ziemlich sicher ausschließen – wobei zu beachten ist, dass Cruz‘ Twitteraccount nicht von ihm allein geführt, sondern auch von seinen Mitarbeitern betreut wird.

Auf Twitter lautet der Hashtag zum Gedenken an den 11. September #NeverForget. Es wäre zu wünschen, dass sich die amerikanischen Wähler trotz der Skandale anderer Politiker auch an Trumps zynische Äußerungen erinnern werden.

Aline Pabst