Eine BestandsaufnahmePleiten, Pech … und schlechte Nachrichten aus Cattenom

Eine Bestandsaufnahme / Pleiten, Pech … und schlechte Nachrichten aus Cattenom
Schon 34 Jahre und kein Ende in Sicht: Eigentlich sollten die Meiler in Cattenom ab 2026 abgeschaltet werden. Der Betreiber will das Werk aber weitere zehn Jahre betreiben. Das französische Umweltministerium ist damit einverstanden.  Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Seien es nun Pannen, Versäumnisse oder eine Verlängerung der Laufzeit: Das Atomkraftwerk in Cattenom kommt einfach nicht raus aus den Schlagzeilen. Dem vierten Reaktor fehlt ein Diesel-Aggregat, Block Nummer 3 musste jüngst wegen Schaltkreis-Problemen vom Netz. Darüber schwebt die geplante Laufzeitverlängerung von zehn Jahren.

Sie ist nicht nur Umweltschützern ein Dorn im Auge: Ein tiefes, freundschaftliches Verhältnis wird die Atomzentrale im französischen Cattenom wohl nicht mehr mit den angrenzenden Nachbarstaaten aufbauen können. Zu sehr häufen sich die Vorkommnisse im und rund um das Atomkraftwerk (AKW), dessen Anblick viele Luxemburger nicht erst seit der Katastrophe in Fukushima ins Schaudern versetzt.

Die Verantwortlichen der Atomzentrale werden indessen nicht müde, ihre Sicherheitsvorkehrungen ins Scheinwerferlicht zu rücken und die Vorteile der Anlage anzupreisen. Sämtliche Bemühungen aber täuschen nicht über den Umstand hinweg, dass die Anlage eigentlich bald vom Netz genommen werden müsste. Der erste Reaktorblock wurde nämlich im November 1986 nach sieben Jahren Bauzeit in Betrieb genommen. Die vorgesehene Laufzeit? 40 Jahre. Drei weitere Reaktoren folgten im September 1987, im Juli 1990 und im Mai 1991.

Immer wieder regte sich in all diesen Jahren im saarländischen, rheinland-pfälzischen, luxemburgischen, aber auch französischen Umland der Widerstand gegen das Kernkraftwerk. Nicht weniger groß waren Unmut und Empörung, als die Betreiber der EDF („Electricité de France“) 2008 ihre Strategie änderten und beschlossen, trotz der offensichtlichen Risiken die Laufzeit ihrer Anlagen um zehn weitere Jahre zu verlängern.

Sämtlichen Bedenken luxemburgischer und deutscher Regierungsvertreter zum Trotz entschied auch das französische Umweltministerium vor zwei Jahren, dass sämtliche Atomkraftzentralen mit einer Nettoleistung von 1.300 Megawatt (MW) bis mindestens 2035 weiterlaufen sollten. Darunter auch das AKW Cattenom, das mit einer Bruttoleistung von knapp 5.500 Megawatt zwischenzeitlich sogar als siebtgrößtes Kernkraftwerk der Welt galt.

Die elektrische Nettoleistung der vier Blöcke liegt tatsächlich bei jeweils 1.300 MW, die Bruttoleistung bei 1.362 MW. Im Schnitt werden pro Jahr mehr als 31.000 Gigawattstunden ins Netz eingespeist, was fast einem Zehntel des Gesamtverbrauchs in Frankreich entspricht. Das gesamte Werk erstreckt sich inzwischen auf einem Areal von rund 415 Hektar. Dennoch will die EDF noch weitere Grundstücke in der Nachbarschaft erwerben, wie Ende 2019 aus mehreren Medien zu entnehmen war.

Frist verstrichen

Trotz Beteuerungen der EDF, keine weiteren Atomblöcke im Dreiländereck errichten zu wollen, sorgte die Ankündigung für weitere Aufregung in den benachbarten Staaten. Indessen will die Pannenserie um das Kernkraftwerk nach 44 Störfällen allein im Jahr 2018 nicht abreißen. So sollten zuletzt bis Ende Juni weitere Notstromaggregate im Block 4 angebracht werden. Diese Frist aber konnte der Betreiber des Pannenmeilers, wie das Kraftwerk vor allem in deutschen Medien immer wieder genannt wird, nicht einhalten.

Eigentlich sollten die Diesel-Aggregate bei einem Stromausfall die Kühlung der Brennstäbe weiter gewährleisten. Die Nachrüstung war als Folge der Katastrophe im japanischen Fukushima beschlossen worden. Wie aus einem Brief der EDF an die französische Atomaufsichtsbehörde ASN Anfang Juni hervorgeht, hingen die Verzögerungen mit der Pandemie zusammen. Man habe die Arbeit auf der Baustelle zunächst ganz einstellen müssen. Und auch später hätten wegen der Hygiene- und Abstandsregeln nicht alle Mitarbeiter am Projekt arbeiten können. Deshalb hat die EDF um eine neue Frist bis Ende September gebeten.

Indessen geht der jüngste Zwischenfall auf die Nacht vom 28. auf den 29. August dieses Jahres zurück. Dabei musste der dritte Block ganz heruntergefahren werden. Der Auslöser: Probleme in einem Schaltschrank mit speicherprogrammierbarer Steuerung. Der Fehler sei inzwischen behoben, so die EDF. Allerdings habe man die Arbeiten nicht in der dafür vorgesehenen Frist erledigen können, weshalb die Panne den nationalen Behörden als Vorfall der Stufe 1 (von sieben möglichen Stufen) gemeldet werden musste. Zu keinem Zeitpunkt habe eine Gefahr für die Anlage oder die Öffentlichkeit bestanden.

Umweltministerin Carole Dieschbourg und Energieminister Claude Turmes hatten sich Ende 2019 bereits in einem scharfen Protestschreiben an die Betreiber der Atomkraftzentrale und die französischen Behörden gewendet. Zum einen mangele es an Informationen über die geplante Modernisierung der Zentrale und dessen Finanzierung. Zum anderen sei immer noch nicht geklärt, was mit nuklearen Abfällen passiert.

Damit ging Luxemburg zumindest einen Schritt weiter als Deutschland, dessen Regierung sich im Gegensatz zu den Vertretern aus dem Saarland und Rheinland-Pfalz noch nicht weiter zur geplanten Verlängerung geäußert hat. Dennoch halten die französischen Akteure an ihrem Vorhaben fest. Mehr noch: Die EDF will dem aktuellsten Stand zufolge eine Laufzeitverlängerung für 50 französische Zentralen beantragen. Außerdem befinden sich neue AKWs in Planung.

Immer auf dem neuesten Stand

Inzwischen hat die Regierung den 1986 erstmals auferlegten „Plan d’intervention d’urgence en cas d’accident nucléaire“ in den letzten Jahren regelmäßig angepasst. Das hat Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) nun in Folge einer parlamentarischen Frage des ADR-Abgeordneten Jeff Engelen unterstrichen. Die Koordination der Arbeiten übernimmt das Hohe Kommissariat für nationale Sicherheit in Zusammenarbeit mit den betroffenen Ministerien und Behörden.

Immer wieder lasse das Gremium die neuesten Erfahrungen aus nationalen oder internationalen Übungen, Krisenplänen befreundeter Staaten sowie Vorfällen und Katastrophen in die Aktualisierung des Notfallplans mit einfließen, so Lenert weiter. So wurde etwa der noch spezifischere „Plan particulier d’intervention en cas d’incident ou d’accident à la centrale électronucléaire de Cattenom“ aus dem Jahr 1994 nach der Katastrophe in Fukushima (2011) gründlichst unter die Lupe genommen und entsprechend überarbeitet.

Der neue Krisenplan sei 2014 vom Ministerrat angenommen worden. Begleitet wurden die Anstrengungen von einer breit angelegten Informationskampagne rund um die Verteilung von Kaliumjodid-Tabletten an die Städte und Gemeinden des Landes. Dort werden sie in der Regel in den Einsatzzentren der Rettungskräfte für den Notfall aufbewahrt. Die nötigen Informationen habe jeder Einwohner in einem Schreiben erhalten. Zusätzlich dazu erhalten die Eltern jedes Neugeborenen eine Packung Jodtabletten in der Geburtsklinik, während Unternehmen sich per Bestellung über infocrise.lu ebenfalls einen Bestand anlegen können.

Cattenom ist vielen Luxemburgern ein Dorn im Auge, wie diese Demonstranten im Juni 2018 am Rande des Besuchs des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zeigen
Cattenom ist vielen Luxemburgern ein Dorn im Auge, wie diese Demonstranten im Juni 2018 am Rande des Besuchs des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zeigen Foto: Editpress/Julien Garroy

Schulen und Betreuungseinrichtungen haben in der Regel ebenfalls Jodtabletten auf Lager. Außerdem wurden sämtliche Luxemburger Gemeinden in einem Umkreis von 25 Kilometern um Cattenom mit einer Reserve ausgestattet, um im Katastrophenfall zusätzliche Tabletten verteilen zu können. Sämtliche Bestände werden regelmäßig vom Staatslaboratorium LNS auf ihre Haltbarkeit kontrolliert. Bisher sei noch keine Degradierung der Qualität festgestellt worden, so Lenert. Eine nächste Kontrolle sei für 2021 vorgesehen.

Tatsächlich fällt den Tabletten im Fall einer nuklearen Katastrophe eine lebenswichtige Rolle zu: Bei einem Unfall in einem Kernkraftwerk kann es nämlich zur Freisetzung radioaktiver Stoffe, darunter radioaktivem Jod, kommen. Über die Luft oder die Nahrung kann das Jod in den Körper gelangen, wo es sich in der Schilddrüse anreichert. Durch die rechtzeitige Einnahme von hochdosierten Jod- oder Kaliumjodid-Tabletten kann diese Anreicherung verhindert und das Risiko, an Schilddrüsenkrebs zu erkranken, verringert werden.

Daneben wurde auch die Informationsbroschüre „Was tun bei Atomalarm?“ aktualisiert, die alle Alarmprozeduren nochmals kurz und verständlich auflistet und sämtliche Schutzmaßnahmen wiederholt, die im Notfallplan enthalten sind. Die Broschüre ist in fünf Sprachen (L, D, F, E, P) erhältlich und kann über infocrise.lu heruntergeladen werden. Dort finden Interessierte auch eine aktualisierte Version des Krisenplanes sowie zusätzliche Hinweise zu den Notfallmaßnahmen und generelle Informationen über natürliche und künstliche Radioaktivität.

Nomi
9. September 2020 - 17.40

Do geseit een wei' eescht d'Regierungen an hir gro'uss Firma'en hir Bierger an Nooperen huelen !

CESHA
8. September 2020 - 15.42

Dieser Pannenmeiler hat seit frühester Jugend mein Leben überschattet - ich kann nur hoffen, dass er erst nach meinem Tod in die Luft geht.

Gronnar
8. September 2020 - 12.49

@Patrick W. "Es gibt immer noch keine Lösung, sowie genügend sichere Endlager für alle Nuklearabfälle." Genügend? Sichere? Es gibt im Moment überhaupt keine, in keinem Land der Welt. Alles 'Zwischenlager'.

Patrick W.
8. September 2020 - 9.48

HTK, Dann sagen Sie auch was Sie verschweigen. Es gibt immer noch keine Lösung, sowie genügend sichere Endlager für alle Nuklearabfälle.

HTK
8. September 2020 - 9.12

Wie sagte einst Michael Glos (Bundeswirtschaftsminister):"Die Dinger müssen laufen bis sie platzen." Dann kam Fuku und Frau Merkel ( die Kernkraftwerke sind sicher ) und die legte alle AKWs auf Eis um weiter Kohle zu verbrennen.(CO2). So ist das mit der sauberen Energie