ForumPlädoyer für das Prinzip „Optimismus“: Krisenbewältigung muss Perspektiven aufzeichnen 

Forum / Plädoyer für das Prinzip „Optimismus“: Krisenbewältigung muss Perspektiven aufzeichnen 
Robert Goebbels stellt der Regierung allgemein ein gutes Zeugnis aus, allerdings fehlt ihm die Führung des Premierministers Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Zu Beginn der Pandemie herrschte allgemeine Betroffenheit. Einstimmig begleiteten alle Abgeordneten das Dekretieren des Lockdowns. Doch wie zu erwarten gewann sehr schnell die professionelle Kritikasterei wieder die Oberhand.

Die Politiker springen auf jede wirkliche wie vermeintliche Inkohärenz. Bombardieren die Minister mit oft dämlichen Fragen. Die Patronatsvertreter campieren im Jammer-Tal. Die Gewerkschaften sehen überall „angestammte Rechte“ gefährdet. Die Medien wetteifern um kritische Berichterstattung. Der Regierung wird Intransparenz, Mangel an Kommunikation und – abwechselnd – zu viel oder zu wenig Aktionismus vorgeworfen.

Nachdem die mehrfach angekündigte „zweite Welle“ zum Herbstbeginn über das Ländchen schwappte, leitartikelte das blaue Journal: „Zu früh zu sicher?“ Am selben Tag hieß es im Wort-Leitartikel: „Zu wenig, zu spät“.

Für die parlamentarische Opposition geriet die Reaktion der Bettel-Mannschaft auf die steigenden Infektionszahlen zu einem willkommenen Anlass zur Generalkritik. Für die CSV kommt alles verspätet. Sie fordert die allgemeine Maskenpflicht und ein noch stärkeres Durchgreifen. Die Linken sehen nur „Symbolpolitik auf Kosten der Grundrechte“. Für die Piraten sind die neuen Maßnahmen „wissenschaftlicher Humbug“. Wobei die neuen Freibeuter offensichtlich die Verschwörungstheoretiker im Visier haben. Sich aber hüten, kundzutun, was sie unter Wissenschaft verstehen.

Kurzer Rückblick

Covid-19 traf die gesamte Welt völlig unvorbereitet. Noch heute können seriöse Wissenschaftler nicht genau erklären, wie sich das neuartige Virus wirklich verhält und welche Folgen die Infektion hat. Unerklärlich bleibt, weshalb sich beispielsweise in derselben Familie jemand ansteckt und andere nicht. Oder weshalb bei manchen Menschen das Virus „asymptomatisch“ bleibt, also keine Erkrankung bewirkt. Es gibt weltweit bereits Millionen Genesene. Dennoch bleibt unklar, ob Letztere nunmehr immun sind. Ältere Menschen, besonders wenn sie mit gefährlichen Pathologien behaftet sind, sterben eher als Jugendliche. Doch gibt es auch Todesopfer bei Letzteren.

Dass auf dem Luftweg übertragene Viren besonders gefährlich sind, ist keine neue Erkenntnis. Doch alle gegen die Verbreitung der Ansteckung erfundenen Maßnahmen, ob „Maskenpflicht“, „soziale Distanz“, Plastik-Barrieren oder immer stärker reduzierte Kontakte, sind keine Garantie. Im Gegenteil. Sie bestärken in ihrer durch Sachzwänge bedingten Inkohärenz die steigende Skepsis vieler Menschen.

Weshalb dürfen sich nur noch vier Menschen in einem Restaurant um einen Tisch scharen, während zu Hauptverkehrszeiten Zug, Tram oder Bus vollgepfropft bleiben? Weshalb sollen Kontakte in der Nacht gefährlicher sein als tagsüber? Frankreich verfügt eine Ausgangssperre von abends 9 bis morgens 6 Uhr. Luxemburg begnügt sich mit einer Sperre ab 23 Uhr, um den Horeca-Sektor zu schonen. Ist das Virus um Mitternacht gefährlicher?

Regeln sollen eingehalten werden. Doch sind alle Regeln immer arbiträr. Deshalb sehen sich alle Regierungen zunehmender Kritik ausgesetzt. Wobei die jeweilige Opposition außer Kritik keine Alternativen anzubieten hat.

Es ist einfach zu bemängeln, es sei verpasst worden, die Kapazitäten der Krankenhäuser an den neuen Anstieg von Covid-Patienten anzupassen. Kann die Antwort auf steigende Infektionszahlen eine endlose Multiplizierung von Akutbetten sein? Nach dem Motto: Jeder macht, was er will, darf sein „verbrieftes Grundrecht“ auf „Versammlungsfreiheit“ und andere Freiheiten nutzen. Denn es gibt ja unbegrenzte medizinische Kapazität im Falle einer Erkrankung! Woher zusätzliches gut ausgebildetes Personal hervorzuzaubern wäre in einem Land, das zwei Drittel aller Ärzte und Pflegekräfte aus dem Ausland importiert, interessiert die Kritikaster kaum!

Auch die Kritiken über „fehlendes“ oder „ungenügendes“ Testen sind eigentlich sinnlos. Wer wie Luxemburg viel testet, findet viele positive Fälle. Aber eine überwältigende Mehrheit negativer Fälle. Die sich einen Tag später dennoch infizieren können.

Handeln, auch im Ungewissen

Das Problem der jeweils Regierenden bleibt, dass sie hier und jetzt handeln müssen. Bei einem unsicheren Wissensstand. Die „Wissenschaft“ ist nur von beschränkter Hilfe, zumal sich die „Experten“ oft widersprechen und ohnehin niemand Verantwortung übernimmt.

Unsere Regierung hat recht gut reagiert. Besonders während und nach dem Lockdown erhielten praktisch alle wirtschaftlichen Sektoren ansehnliche Hilfen. Finanzminister Gramegna öffnete den Kredithahn. Arbeitsminister Kersch sorgte für die Absicherung der vielen Kurzarbeiter, wobei Mindestlohn-Bezieher voll entschädigt wurden. Wirtschaftsminister Fayot bietet strukturelle Hilfen, will die Exporttätigkeit kleinerer Betriebe fördern. Andere Fachminister, Schneider für die Landwirtschaft, Tanson für die Kulturschaffenden, Delles für den Mittelstand, zeigten sich angemessen reaktiv. Wobei man geteilter Meinung sein darf über einzelne Hilfsmaßnahmen. Etwa dem Austeilen von 730.000 Gutscheinen zur Übernachtung in lokalen Touristik-Einrichtungen. Wovon keine 70.000, also nicht einmal zehn Prozent, genutzt wurden.

Selbst Transportminister Bausch ignorierte seine Ideologie-getriebenen grünen Mitstreiter und setzt zur Rettung des Flughafens und der Luxair an. Im Kreuzfeuer der Kritik stehen vornehmlich Unterrichtsminister Meisch und Gesundheitsministerin Lenert. Die beide mit viel Courage ihrer Verantwortung gerecht werden. Sicher, man darf jede Entscheidung kritisieren. Man sollte alle Ängste ernst nehmen. Aber der Entscheid von Claude Meisch, den Schulbetrieb auch unter komplizierten Umständen aufrechtzuerhalten, ist prinzipiell richtig und wichtig. Nichts wäre schlimmer für die heranwachsende Jugend als ein gestörter Bildungsweg mit wiederholter Isolierung zu Hause.

Paulette Lenert entpuppte sich als hart arbeitende Gesundheitsministerin mit viel Herz und Einfühlungsvermögen. Seit sie laut einer Meinungsumfrage zur beliebtesten Politikerin des Landes aufstieg, wurde sie für Teile der Politik-Klasse zur „femme à abattre“.

Wo bleibt der Kapitän?

Trotz einer eher guten Leistung der verschiedenen Kabinettsmitglieder gibt die Dreierkoalition in ihrer Gesamtheit den Eindruck eines steuerlosen Schiffes ab.

Wie Dhiraj Sabharwal im Tageblatt schrieb, erweckt Bettel den Eindruck, als sei er „zu Gast in einer Regierung“. Gewiss, der Premierminister ist „ein Tausendsassa in allen Gassen“ (Journal), der eigenhändig jeder Oma über die Straße hilft. Selbst jene, die nicht überqueren wollen. Er steht für alles und für nichts. Seine jüngste Regierungserklärung quoll über von Pathos, war gespickt mit Zahlen und Statistiken, blieb aber ohne Blaupause für den einzuschlagenden Weg.

Hyperaktiv, überall anzutreffen, bei der Weinlese wie beim „Fiederwäissen“, in Schulen, Betrieben, Kliniken und Altersheimen gibt er in seinen vielen Interviews widersprüchliche bis nichtssagende Statements ab: So ist Bettel gegen eine „allgemeine Maskenpflicht“, hat selbst Bedenken gegen „Homeworking“ („Je m’interdis de dire que l’avenir appartient au télétravail“). Doch sei er „pour des entreprises innovantes, smart, chouettes“. Was immer das auch heißen mag. Geht es jedoch um die Ankündigungen schlechter Nachrichten oder neuer Einschränkungen, lässt der Premier seine Gesundheitsministerin oder seinen Erziehungsminister alleine vor die Presse ziehen.

Wir leben in einer sonderbaren, ungewissen Zeit. Viele Mitmenschen haben gleichzeitig Angst und sind dennoch frustriert über die Einschränkungen und Verbote. Niemand kann mehr richtig planen: weder Hochzeiten noch Kindestaufen, Kontakte zu Freunden oder zur Familie. Auslandsreisen oder Ferien ohnehin nicht.

Bettels Regierung war bislang eher gut in der ökonomischen Schadensbegrenzung. Was fehlt, ist eine überzeugende moralische Führung. Ist das Vorleben von viel mehr Optimismus. Gewiss, es werden noch Menschen mit oder an Covid sterben. Aber die allermeisten werden überleben.

Wir müssen alle lernen, mit dem Risiko zu leben. Wie schrieb Victor Hugo: „Le plus lourd fardeau, c’est de vivre sans exister!“

*Der Autor ist ehemaliger Minister und EU-Abgeordneter

HTK
2. November 2020 - 12.50

Im Gegensatz zu der Katastrophe im März wo Panikentscheidungen (nous sommes en guerre) uns fast den Kopf gekostet hatten,sind wir jetzt weiser und passen uns den Umständen an. Im Moment scheint Darwins " survival of the fittest " sich zu bestätigen,allerdings können wir etwas gegensteuern,wenn wir uns an die Regeln halten. Es geht darum die Schwachen zu schützen und den Impfstoff abzuwarten.Müsste doch machbar sein. Unsere Regierung macht gute Arbeit.Wir sollten ihnen dabei helfen.

GéBé
1. November 2020 - 12.41

Alle Minister und Volksvertreter sind freiwillig im Amt. Niemand kann ihnen also verbieten abzudanken , oders etwa nicht !!!! Seien wir also froh dass die von uns gewählten Mitbürger in dieser Pandemiezeit in ihrem Amt bleiben und an unserer Stelle handeln müssen . Es fällt besonders mir unheimlich schwer dies zu sagen, aber was wahr ist, ist eben wahr ,wenn man ehrlich mit sich selbst ist. Den unzufriedenen Alles -und Besserwisser , bleibt ja die Möglichkeit sich zusammen zu tun und bei Erreichen der notwendigen Zahl , Neuwahlen zu fordern, oder etwa nicht !!!

raymond
31. Oktober 2020 - 12.48

Was Sie Optimismus nennen ist für uns Blauäugigkeit.

J.Scholer
31. Oktober 2020 - 12.00

Die Perspektiven dürfen nicht durch falschen , vorgespielten Optimismus verfälscht werden. Verstand und Realität durch Fakten und Zahlen uns anderer Tatsachen belehren.