Rückblick und BilanzPierre Gramegna – Der Diplomat im Finanzministerium

Rückblick und Bilanz / Pierre Gramegna – Der Diplomat im Finanzministerium
Acht Jahre lang stand Pierre Gramegna an der Spitze des Finanzministeriums Foto: Editpress/Didier Sylvestre

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Nach acht Jahren an der Spitze des Luxemburger Finanzministeriums hat Pierre Gramegna angekündigt, sein Mandat abzugeben. In seiner Amtszeit haben sich Ministerium, Steuerpolitik und Finanzplatz grundlegend verändert. Alles ist transparenter geworden. Die Verschuldung des Staates ist während seiner Amtszeit jedoch weiter gestiegen.

Als Pierre Gramegna Ende 2013 sein Amt als Finanzminister antrat, war die Welt noch eine andere. US-Präsident Obama startete in seine zweite Amtszeit. Der Whistleblower Edward Snowden klärte die Welt über die Überwachungspraktiken des US-Geheimdienstes auf. Europa kämpfte mit den Nachwehen von Finanz- und Schuldenkrise.

In Luxemburg war, nach Bommeleeër- und Geheimdienstaffaire, neu gewählt worden. Am 4. Dezember übernahm eine Koalitionsregierung aus Liberalen, Grünen und LSAP das Ruder. Völlig überraschend wurde Pierre Gramegna, damals Direktor der Luxemburger Handelskammer, zum Finanzminister ernannt. Auf den Wahllisten hatte er nicht gestanden.

Gramegna erhielt eine Schlüsselposition in der neuen Regierung: Es galt zu zeigen, dass die Koalition die Staatsfinanzen besser und nachhaltiger verwalten kann als die Vorgänger. Es galt, mittels Steuerpolitik, mehr Gerechtigkeit in die Luxemburger Gesellschaft zu bringen. Es galt, die Projekte der neuen Regierung zu finanzieren. Es galt, dem Finanzplatz eine Zukunft zu sichern.

Herausforderungen an allen Fronten

Der neugebackene Politiker stand vor gewaltigen Herausforderungen: Der für die Staatsfinanzen überaus wichtige Finanzplatz war in Verruf geraten. Er stand, mit dem Bankgeheimnis, im Visier der internationalen Gemeinschaft. National waren die Finanzen vom Zentralstaat derweil seit Jahren tief in den roten Zahlen. Die Verschuldung des Landes hatte sich seit 2007 praktisch verdreifacht. Zudem war bekannt, dass Luxemburg mit der Mehrwertsteuer auf E-Commerce bald eine milliardenschwere Einnahmequelle verlieren würde, doch das Thema war bis dahin weitgehend ignoriert worden.

Für Europa …
Für Europa … Foto: SIP

In seinem Ministerium musste sich der neue Politiker derweil gegen Politik, Strukturen, die sein Vorgänger aufgebaut hatte, und gegen andere Widerstände wehren. Bis Ende April 2014 wurde das Finanzministerium neu organisiert, drei Spitzenbeamte verließen die Behörde. „Damit kehrt die Organisation des Finanzministeriums der politischen Ausrichtung aus den vergangenen beiden Jahren den Rücken und führt wie davor wieder klar strukturierte Direktionsabteilungen ein“, so das Tageblatt damals.

Am erfolgreichsten, was die zwei Haupt-Herausforderungen (Finanzplatz und Staatsfinanzen), die ihm als Finanzminister unterstanden, anbelangt, war Gramegna bei der Positionierung des Finanzplatzes. Als ehemaliger Direktor der Handelskammer kannte er den Sektor – und als ehemaliger Diplomat kannte er sich auf der Weltbühne aus.

Ein Ruf als Steuerparadies

Bereits im Februar 2013, mehrere Monate bevor er Minister wurde, hatte er seine Analyse der Situation mit dem Tageblatt geteilt: „Luxemburg ist im Ausland entweder gar nicht bekannt oder hat als Steuerparadies einen schlechten Ruf“, sagte er damals. „Wir brauchen diese Vorurteile gar nicht erst abzustreiten.“ Jetzt schlage das Pendel allerdings zurück und man müsse darauf reagieren. Eine Lösung hatte er bereits parat: Steuernischen durch Kompetenznischen ersetzen.

Seine erste Rede als Finanzminister hielt er bei der Jahrestagung des Luxemburger Verbandes der Versicherer, ACA. Erst beruhigte er die Anwesenden. „Es wird sehr viel Kontinuität geben“, sagte er, und hob die Wichtigkeit des Kreditwürdigkeitsrankings AAA hervor. Dann unterstrich er die Schlüsselrolle, die der Finanzsektor für Luxemburg habe, unterstrich aber gleichzeitig, dass man „gute Argumente“ benötigen werde, um den Finanzplatz gegen Angriffe von außen zu verteidigen. „Wir müssen unsere Zukunft selber gestalten“, schwor er die Anwesenden auf den kommenden Wandel ein.

Raus aus der Schmuddelecke

Trotz vieler Schwierigkeiten – und immer wieder aufplatzenden Skandalen aus der Vergangenheit – schaffte er es, den Sektor aus der „Schmuddelecke“ in die Transparenz zu führen. Ende März 2014 hatte er das FATCA-Abkommen, das den Datenaustausch zwischen den Steuerbehörden aus Luxemburg und den USA ermöglicht, unterzeichnet. Das Bankgeheimnis für Ausländer war nunmehr Teil der Geschichte. Es folgten Regelungen zum automatischen Informationsaustausch innerhalb Europas. Seit 2015 steht das Großherzogtum auf keiner schwarzen Liste mehr.

Dabei hat er die „Interessen Luxemburgs“ nicht einfach aufgegeben. Er stimmte dem jeweiligen „mehr an Transparenz“, wenn möglich, immer erst dann zu, wenn gesichert war, dass es ein „level playing field“ geben würde – also eine Garantie, dass kein anderes (europäisches) Land die alten Regelungen behalten würde, und der Wettbewerb zwischen den Finanzzentren gleich bleibe.

Nach und nach machte sich der geübte Diplomat diese Taktik zur Spezialität. In den späteren Jahren seiner Amtszeit zählte Luxemburg zu den Ländern, die bereits früh ihre Zustimmung für neue (Transparenz-)-Regelungen gaben. Etwa bei der Debatte um eine globale Mindeststeuer für Unternehmen: Gramegna unterstützte die Initiative. Von internationalen Organisationen gab es Lob für Luxemburg. Gebremst wurden die Projekte dann von anderen Ländern.

Lernprozess bei Enthüllungsskandalen

Auch im Bereich der internationalen Skandale, in die Luxemburg verstrickt ist/war, hat er über die Jahre gelernt, wie es zu reagieren gilt. Bei den ersten Skandalen (Lux-Leaks 2014; Panama-Papers 2016) kam Luxemburg nicht gut weg. Der Minister wartete meist das Ende der Enthüllungen ab, und erklärte dann, dass alles legal war. Gleichzeitig gelobte er, es in Zukunft trotzdem besser zu machen.

Bei den jüngsten Skandalen war die Welt bereits eine andere. Der Minister wartete nicht mehr zitternd ab, was nun veröffentlicht werden würde. Das Finanzministerium handelte proaktiv, wie auch bei den Initiativen zur internationalen Besteuerung.

… und für Luxemburg
… und für Luxemburg Foto: AFP/Kay Nietfeld

Besonders deutlich wurde das im Falle „OpenLux“. Nur wenige Minuten nach Anbruch des Tages, an dem „OpenLux“ angekündigt war, veröffentlichte die Regierung bereits eine ausgefeilte Pressemeldung. „Luxemburg erfüllt alle EU- und internationalen Vorschriften und Transparenzstandards und wendet ausnahmslos das gesamte Arsenal der EU- und internationalen Maßnahmen zum Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten und zur Bekämpfung von Steuermissbrauch und Steuervermeidung an“, schreibt das Ministerium, noch ehe die Berichte der beteiligten Medien zu lesen waren. „Weder die EU noch die OECD haben schädliche Steuerregelungen oder -praktiken in Luxemburg festgestellt.“ Es wurde sogar daran gedacht, sich den Domain-Namen www.open.lux.lu zuzulegen.

In die Hände gespielt hat dem Minister bei seinem Einsatz für den Finanzplatz der Bereich der „grünen Finanzen“. Das Thema ermöglichte ihm, den Finanzplatz, den Klimawandel und die nachhaltige Zukunft der Menschheit in einem Satz zu erwähnen. Es erlaubte ihm, für die Dienste des Finanzplatzes zu werben, ohne sich angreifbar zu machen. Auch legte er viel Wert auf Luxemburgs Rolle im multilateralen Entwicklungsbankwesen, etwa bei der Afrikanischen Entwicklungsbank, der Asiatischen Infrastruktur-Investmentbank (AIIB), der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) oder der Weltbank.

Bei anderen, politisch schwierigen Themen, wie etwa dem Brexit, hielt er sich zurück. Von ihm kam keine Schadenfreude und auch keine aktive Jagd nach abfallenden Krümeln. Er bedauerte die Lage, setzte sich trotz aller Schwierigkeiten für Kommunikation und Partnerschaft ein.

„Immer offen für Diskussionen“

Unter seiner Amtszeit hat sich der Finanzplatz derweil nicht nur verändert, er ist auch weitergewachsen. Zwar ist die Zahl der Banken von 147 auf 124 gefallen, doch hat er dem Bereich FinTech eine stabile Grundlage gegeben, und das von den Investmentfonds verwaltete Vermögen hat sich von 2.615 auf 5.719 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Auch die offizielle Zahl der chinesischen Banken in Luxemburg ist während seiner Amtszeit von sechs auf 15 gewachsen.

„Pierre Gramegna hat sich mit Energie, Engagement und Verständnis für den Finanzsektor eingesetzt“, wird er von Guy Hoffmann, Präsident der Bankenvereinigung ABBL, gelobt. „Er war immer offen für Diskussionen und bemühte sich sehr, die Anliegen der ABBL anzuhören und dafür zu sorgen, dass sie berücksichtigt wurden.“ Und „er stand an der Spitze eines Paradigmenwechsels bei der Einführung einer transparenten Besteuerung und trug dazu bei, den Ruf Luxemburgs als internationalen Finanzplatz von höchstem Niveau zu verbessern.“

Wie nachhaltig transparenter die neuen gesetzlichen Strukturen und Verbesserungen schlussendlich geworden sind, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Die prüfende Mission durch die Financial Action Task Force (Gafi) wurde verschoben und wird wohl erst Ende kommenden Jahres stattfinden.

Schwierige Staatsfinanzen

Doch der Finanzplatz war wohl der einfachere Teil des Jobs. Als Diplomat, der Kompromisse anstrebt, hat er die Staatsfinanzen nicht so saniert, wie er das in den Monaten/Jahren zuvor, als Handelskammer-Direktor, selbst gefordert hatte.

Als nationaler Finanzminister stieß er zu Beginn seiner Amtszeit Spar-Maßnahmen („Zukunftspak“) an, um den Haushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Es gelang ihm auch, das Defizit beim Zentralstaat zu verringern. Die wegfallenden Einnahmen aus dem E-Commerce ersetzte er durch eine Erhöhung der nationalen Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte im Jahr 2015. In den Jahren 2018 und 2019 erwirtschaftete der Zentralstaat schlussendlich sogar ein Plus. Die Verschuldungsquote war derweil auf gleicher Höhe (22 Prozent) wie zu seinem Amtsbeginn. Mitgeholfen, dies zu erreichen, hatte ein wieder anziehendes Wirtschaftswachstum.

Historische und geplante Entwicklung der Staatsfinanzen
Historische und geplante Entwicklung der Staatsfinanzen

Von den Wählern wurde er für seine Arbeit belohnt. Bei den Parlamentswahlen von Oktober 2018 erhielt er im Süden das beste Resultat seiner Partei (DP).

Corona zerstörte seine Bilanz

In seiner zweiten Amtszeit lief dann jedoch vieles anders als erwartet. 2020 schlug die Corona-Krise zu. Der Zentralstaat erwirtschaftete das höchste Defizit seiner Geschichte. Die Verschuldung des Staates steigt wieder. Auf aktuell 17,9 Milliarden Euro – ein neuer Rekord. Selbst als Prozent der Wirtschaftsleistung liegt die Quote aktuell leicht höher als bei seinem Amtsantritt.

Dennoch ist unbestritten, dass er richtig auf die Krise reagiert hat. Hätte er nicht das staatliche Füllhorn ausgeschüttet, wäre das Land in eine Wirtschaftskrise gerutscht. Aktuell durchlebt das Land, unter anderem dank dieser Politik, einen echten Wirtschaftsboom. In den Jahren zuvor hatte der Minister die Finanzen gut auf eine Krise vorbereitet. Das begehrte „Tripple-A“-Rating der Kreditwürdigkeit ist dem Land erhalten geblieben.

Sieben Milliarden mehr Schulden als geplant

In den kommenden Jahren jedoch sind weitere Defizite beim Zentralstaat eingeplant. Auch die Verschuldung soll weiter steigen. Während Ende 2019 geplant wurde, Ende 2023 eine Staatsschuld von 13,3 Milliarden Euro (oder 17,5 Prozent des BIP) zu haben, liegt die Schätzung für 2023 heute bei 20,3 Milliarden Euro (oder 27 Prozent des BIP). Der Unterschied ist gewaltig, es handelt sich um sieben Milliarden Euro Schulden mehr als vorgesehen. Für eine nächste Krise ist Luxemburg somit leicht weniger gut vorbereitet als vor zwei Jahren, oder als vor acht Jahren.

Historische und geplante Entwicklung der Verschuldung des Staates
Historische und geplante Entwicklung der Verschuldung des Staates

Auch wurden einige angedachte Projekte nicht, oder nur sehr zögerlich, umgesetzt. So etwa die Einrichtung eines milliardenschweren Staatsfonds (als Notgroschen für eine ungewisse Zukunft), oder die groß angekündigte Steuerreform, die das Land gerechter – und die Wirtschaft grüner – machen sollte. Nicht geklappt hatte auch ein persönliches Projekt. Gleich zweimal hatte er mit dem Posten des Eurogruppenchefs geliebäugelt, jedoch ohne Erfolg. Trotz Kompromissfähigkeit und Erfahrung.

Ein Mann der Kompromisse

Bleiben wird die Erinnerung an einen diplomatischen Finanzminister. Immer versuchte er, Kompromisse zu schmieden, im Sinne von Europa und im Sinne von Luxemburg. Er war kein Dogmatiker, sondern ein Pragmatiker. Streit versuchte er zu vermeiden. Polarisierenden Themen, wie einer etwaigen Rentenreform, ging er diplomatisch aus dem Weg. Skandale oder Affären gab es nicht. Mit seinem Auftreten hat der wort- und weltgewandte Minister überzeugt. Nicht immer sehr nahbar, aber immer professionell. Gut und würdig hat er das Großherzogtum im Ausland vertreten, sei es in Polen oder in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Pierre Gramegna mit Ex-Wirtschaftsminister Etienne Schneider und Erbgroßherzog Guillaume auf Werbetournee für Luxemburg in den Vereinigten arabischen Emiraten
Pierre Gramegna mit Ex-Wirtschaftsminister Etienne Schneider und Erbgroßherzog Guillaume auf Werbetournee für Luxemburg in den Vereinigten arabischen Emiraten Foto: SIP

Er sei in den Diskussionen auf EU-Ebene nicht nur ein guter Vertreter für sein Land, sondern ebenfalls für die europäische Idee gewesen, so EU-Kommissarin Mairead McGuinness vor wenigen Tagen über den Minister. „Wenn Sie reden, dann hören die Vertreter der anderen Länder auch zu. (…) Ich wollte, dass Sie das wissen.“

Für den frühen Rücktritt gab Gramegna „persönliche Gründe“ an. Er wolle bei den kommenden Wahlen nicht mehr antreten, sagte er gegenüber RTL. „Ich bin jetzt 63 Jahre alt, bei den nächsten Wahlen wäre ich über 65 – ich habe die Priorität immer auf mein Land gesetzt und die Familie kam immer erst danach. Ich werde jetzt nächste Woche Großvater und ich würde meiner Familie gerne mehr Zeit schenken und ich hoffe, dass die Leute das verstehen.“ 

Auf den Diplomaten im Finanzministerium wird nun, mit Yuriko Backes, eine Diplomatin folgen.

Lebenslauf 

Pierre Gramegna, geboren am 22. April 1958 in Esch/Alzette – wo er auch heute noch lebt, war seit Dezember 2013 Finanzminister Luxemburgs. Nach dem Besuch der Sekundarschule (klassische Mathematiksektion) studierte er Jura und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Panthéon-Assas. Sein Postgraduiertenstudium schloss er mit einem DEA (Forschungsdiplom im Anschluss an die „Maîtrise“) in Europarecht ab.

Der Karrierediplomat wurde 1983 im Außenministerium eingestellt. 1988 wurde er Berater in politischen und Wirtschaftsfragen in der Botschaft des Großherzogtums Luxemburg in Paris. Dieses Amt übte er vier Jahre lang aus, bis er zum Generalkonsul und Direktor des Board of Economic Development in San Francisco ernannt wurde. Von 1996 bis 2002 war Pierre Gramegna Luxemburger Botschafter in Japan und Südkorea. Anschließend war er ein Jahr lang für die Direktion für internationale Wirtschaftsbeziehungen im Außenministerium zuständig.

Im Jahr 2003 wechselte Gramegna in die Luxemburger Handelskammer, wo er das Amt des Generaldirektors übernahm. Er war Mitglied in Verwaltungsräten, darunter Cargolux, die Luxemburger Börse, Luxexpo und BGL BNP Paribas Luxembourg.

Obwohl Staatsfinanzen zu den wichtigsten politischen Themen überhaupt zählten, will sich nicht immer jeder dafür interessieren 
Obwohl Staatsfinanzen zu den wichtigsten politischen Themen überhaupt zählten, will sich nicht immer jeder dafür interessieren  Foto: Editpress/Julien Garroy