KolumnePetz Lahure über den historischen 1:0-Sieg gegen Tschechien vor 25 Jahren

Kolumne / Petz Lahure über den historischen 1:0-Sieg gegen Tschechien vor 25 Jahren
Die beiden Teams beim Abspielen der Nationalhymnen. Luxemburg mit (von links nach rechts) Kapitän Carlo Weis, Paul Koch, Jeff Strasser, Frank Deville, Joël Groff, Guy Hellers, Claude Ganser, Jean Vanek, Marc Birsens, Dan Theis, Roby Langers. Foto: Archiv P.L.

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Die Szene dauert knappe 15 Sekunden. Paul Koch, Keeper im Luxemburger Tor, schießt den Ball weit nach vorn in den Mittelkreis. Dort springt das Streitobjekt von Roby Langers’ Schienbein zurück in die Füße von Marc Birsens. Dieser wird nicht gestört, hat reichlich Zeit, um einen präzisen Pass zu Guy Hellers zu schlagen. Dann geht es blitzschnell, alles in einer Aufnahme: Hellers mit links zum erst kurz zuvor
eingewechselten Manuel Cardoni, dieser ebenfalls mit links in Richtung Sturmspitze.

Fünf Spieler, sieben Stationen

Dort macht der nach vorn gepreschte Langers das rechte Bein lang und zwirbelt das Leder mit dem Außenrist an Verteidiger Jan Suchoparek vorbei zum mit aufgerückten Hellers. Kurze Ballkontrolle mit rechts, dann zwei Schritte in Richtung Tor und Schuss mit dem rechten Fuß von der Strafraumlinie aus. Tschechiens Keeper Petr Kouba taucht zwar, doch ist der Ball ihm zu schnell. Er landet in den Netzen. Die 1.630 Zuschauer können es kaum glauben. Luxemburg führt im EM-Ausscheidungsspiel gegen Tschechien mit 1:0, es sind 89 Minuten gespielt, bald muss die Partie vorbei sein. Dieses 1:0, ein wunderschönes Tor über fünf Spieler oder sieben Stationen (Koch-Langers-Birsens-Hellers-Cardoni-Langers-Hellers), ging in die Luxemburger Fußballgeschichte ein. Es bescherte der FLF nach dem Erfolg auf Malta (1:0 am 22.2.1995) den zweiten Sieg in der Europameisterschafts-Qualifikationsgruppe 5, zu der außer Luxemburg, der Tschechischen Republik und Malta auch noch die Niederlande, Norwegen und Weißrussland gehörten. Morgen Sonntag, am 7. Juni,
dürfen die Spieler, die damals dabei waren, den 25. Geburtstag des dreifachen Punktegewinns feiern.

„No coaching from the line“

„Mär däerfen net ofhiewen, mär si keng grouss Fussballnatioun. Mä mär gi seriö geholl“, meinte der damalige Trainer Paul Philipp nach dem überraschenden Sieg. Es war das erste Spiel überhaupt zwischen beiden Mannschaften, die Tschechen traten mit sieben sogenannten „Legionären“ an. Das Land gibt es nach der Auflösung der Tschechoslowakei und der Bildung der beiden Neustaaten Tschechische Republik und
Slowakische Republik erst seit dem 1. Januar 1993. Zuvor (gegen die Tschechoslowakei) musste sich Luxemburg in sechs Spielen sechsmal beugen und erzielte nicht einen einzigen Treffer. Das Torverhältnis von 0:20 in der Länderstatistik spricht Bände. Zwei dieser Niederlagen fallen auch in Paul Philipps Amtszeit: 0:2 im Oktober 1988 in Luxemburg und 0:4 im Mai 1989 im Sparta-Stadion von Prag. Damals wurde der Trainer in der 28. Minute vom irischen Schiedsrichter Donnelly von der Bank verwiesen, doch plädiert er bis heute auf „nicht schuldig“. Mittelstürmer Armin Krings lag verletzt am Boden, Philipp rief einem Spieler zu, er solle den Raum decken. Ein Platzordner, dem dies nicht gefiel, beschwerte sich beim Reserveschiedsrichter. Dieser alarmierte den Linienrichter, die Klage wurde an Donnelly weitergereicht. Der Mann in Schwarz ging
auf Philipp zu und schickte ihn mit den Worten „No coaching from the line“ weg.

Das grüne Sakko

Die Platzordner wollten den Trainer, der die Entscheidung des Schiedsrichters akzeptieren musste, unbedingt in die Kabinen verbannen. Philipp aber wehrte sich, es gab ein Gerangel, bis die fairen Zuschauer dem Luxemburger Coach zu einem Sitzplatz verhalfen. Mit dem kürzlich verstorbenen René Hoffmann von der technischen Kommission saß Philipp zuerst bei den Parteioberen auf der Tribüne und schickte
Hoffmann immer wieder mit Anweisungen durch die Publikumsränge an den Spielfeldrand. Weil dies zu umständlich war, disponierte man in der zweiten Hälfte um. Der Trainer war von seinem neuen Platz, der nur 15 m Luftlinie von der Bank entfernt war, zu hören. Von dort gab Hoffmann die Direktiven an die Spieler weiter.

Das 1:0 sechs Jahre danach sollte für Philipp eine Art Wiedergutmachung bedeuten. Als Guy Hellers das Tor schoss, waren der Trainer und die Ersatzspieler auf der Bank nicht mehr zu halten. Sie rannten aufs Feld und umarmten sich, der walisische Schiedsrichter John Ashman schaute gutmütig zu. Im Regen hatte Paul Philipp längst sein einer deutschen Polizeijacke ähnelndes grünes Sakko abgelegt. Klitschnass lief er im khakifarbenen Outfit mit weit geöffneter Krawatte und fest zugeknöpften Hemdsärmeln über den Rasen, kehrte dann aber zur Bank zurück. Das Spiel war noch nicht aus, niemand wusste, wie lange der Unparteiische nachspielen lassen wollte.

„Jamaika wechselt aus“

Die Nachspielzeit gab es schon immer, sie wurde nicht wie vielfach angenommen bei der Endrunde der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich eingeführt, als man erstmals an der Seitenlinie eine elektronische Tafel in die Höhe hielt, um anzuzeigen, wie viel Minuten genau nachgespielt werden müssen. Weil das damals so neu war, geriet selbst ein Experte wie der deutsche Fernsehmann Gerd Rubenbauer gehörig ins Schleudern. Er kommentierte das Spiel Jamaika-Kroatien und entdeckte gegen Ende der regulären Spielzeit unten eine hochgehaltene elektronische Tafel mit der Ziffer 1. Worauf Rubenbauer seine Fernsehzuschauer wissen ließ: „Jetzt wechselt Jamaika den Torhüter aus“.

Doch zurück ins Jahr 1995 zu unserem Spiel Luxemburg-Tschechien. Im Stadion waren damals nur 1.630 Zuschauer, und das aus zweierlei Gründen. Erstens regnete es fast den ganzen Tag in Strömen, und Schirme gegen das Nass waren schon damals im Oval an der Arloner Straße tabu. Zweitens traute kaum einer der FLF-Auswahl eine Überraschung zu. Luxemburg hatte zwar im Februar auf Malta gewonnen (1:0), danach aber gegen Norwegen zwei Niederlagen einstecken müssen (0:2 in Luxemburg, 0:5 in Oslo). Tschechien dagegen setzte sich im März in Prag gegen Weißrussland mit 4:2 durch und fertigte einen Monat später am selben Ort die Niederlande mit 3:1 ab.

Sammelbecken des Glücks

Luxemburgs Gegner, der in Weiß spielte, startete demnach als klarer Favorit, doch konnte er der geschlossenen Mannschaftsleistung von Philipps Schützlingen außer einer fürs Guiness-Buch der Rekorde reifen Ausbeute von 23 zu 1 Eckbällen kaum etwas entgegensetzen. Luxemburg, das sich in blauen Trikots, roten Hosen mit drei breiten, weißen Streifen und blauen Stümpfen patriotisch gestylt hatte, hielt dem tschechischen Druck über die ganze Spielzeit stand und schaffte die Sensation dank dem eingangs beschriebenen kollektiven Geistesblitz.

Nach dem 1:0 hielt es kaum einen Anwesenden auf den Rängen. Der Minutenzähler auf der Stadionuhr stand auf 45, aber das Spiel ging weiter. Die Tschechen versuchten es mit hohen Bällen in den Strafraum, immer wieder wurde die Gefahr per Kopf bereinigt. Ein letzter Eckball von rechts, abgewehrt, und dann, nach 92 Minuten, der erlösende Schlusspfiff von Schiedsrichter Ashman. In Sekundenschnelle wurde der Rasen zum
Sammelbecken des Glücks. Spieler, Trainer, Betreuer, Funktionäre und Zuschauer fielen sich völlig durchnässt um den Hals, wie Zirkusakrobaten kletterten die Fans über die hohen Absperrungen, um die Spieler zu beglückwünschen. Für die allermeisten begann an diesem Mittwochabend des 7. Juni 1995 eine lange Nacht.

„Es gibt keine Zufälle“

Der unerwartete Sieg gegen den späteren EM-Finalisten Tschechien (1:2-Niederlage im Endspiel gegen Deutschland nach „Golden Goal“) und die Zehn-Punkte-Ausbeute in den Ausscheidungsspielen zur EM 1998 sind eine willkommene Gelegenheit, uns kurz mit einem anderen Spiel des damaligen Trainers Paul Philipp zu befassen. Er war am 25. Oktober 1989 dafür verantwortlich, dass Luxemburgs Fußballnationalelf bei ihrer 13.

Teilnahme an einer Weltmeisterschaft endlich einen Auswärtspunkt holte. Seit dem ersten WM-Spiel, das am 11. Mai 1934 hoch mit 1:9 gegen Deutschland verloren ging, gab es bis dahin zwar zwei Siege (1961 gegen Portugal 4:2, 1972 gegen die Türkei 2:0), doch fanden beide Spiele im Großherzogtum (Luxemburg und Esch) statt. Genau 55 Jahre und 227 Tage musste der Luxemburger Fußball seit seinem Eingreifen
ins Weltmeisterschaftsgeschehen warten, bis ihm das Kunststück gelang, auswärts nicht als Verlierer in die Kabinen geschickt zu werden. Das historische Ereignis passierte in Brüssel im Spiel gegen Belgien. Das Tor zum 1:1 im Heysel-Stadion schoss Guy Hellers, also derselbe Spieler, der sechs Jahre danach auch für den Sieg gegen die Tschechische Republik sorgte.
Und da will einer behaupten, im Leben gäbe es keine Zufälle …

***
N.B.: Luxemburg spielte am 7. Juni 1995 gegen Tschechien mit folgender Mannschaft: Paul
Koch, Jean Vanek, Frank Deville, Mark Birsens, Jeff Strasser, Guy Hellers, Claude Ganser
(86. Manou Cardoni), Carlo Weis, Roby Langers, Dan Theis (73. Jeff Saibene), Joël Groff.
Reservespieler: Serge Rohmann, Patrick Feyder, Patrick Morocutti.