„Ouschterkiermes“: Ein süßer Duft liegt in der Escher Luft

„Ouschterkiermes“: Ein süßer Duft liegt in der Escher Luft

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Der Duft von Zuckerwatte, Popcorn und „Gromperekichelcher“ liegt in der Escher Luft. Am Freitag eröffnet die traditionelle „Ouschterkiermes“. Doch wie steht es eigentlich um die Tradition der Kirmes in Luxemburg und wo hat sie ihren Ursprung?

Steve Kayser ist Historiker mit einem Faible für alles rund um Kirmes, Messe, Markt und „Foire“. Schon als Kind faszinierten ihn Volksfeste und er trieb sich gerne hinter den Kulissen der Fahrgeschäfte herum. Während unseres Gespräches leuchten seine Augen wie die eines Jungen. Unter den Luxemburger Schaustellern ist Steve Kayser bekannt wie ein bunter Hund. Er träumt davon, vielleicht irgendwann einmal selbst stolzer Besitzer eines alten, traditionellen Fahrgeschäftes zu sein.

Tageblatt: Welche Bedeutung messen Sie einer regionalen Kirmes wie der „Ouschterkiermes“ hier in Esch bei?
Steve Kayser: Prinzipiell ist eine Kirmes immer an eine lokale Tradition gebunden. Die Ursprünge unserer Kirmessen sind ganz klar religiös. Mit der Desakralisierung des Kirchenfestes wird daraus immer mehr ein Ort der Belustigung. Im 19. Jahrhundert entstehen mit der Industrialisierung das Freizeitbedürfnis und die Freizeit als solche. Die Menschen wollen sich auszutoben. Mit diesem Wandel ändert sich auch der Kirmesplatz, der immer mobiler wird. Karusselle, Rutschbahnen und Schaukeln tauchen auf und erlauben es den Besuchern, in einen anderen Zustand zu kommen. Aus rein wissenschaftlicher Sicht ist es genau das, was Menschen suchen, wenn sie eine Kirmes besuchen. Ein Anderssein, die eigenen Grenzen überschreiten. Aber kontrolliert, denn immerhin wissen sie, dass ihnen im Prinzip nichts passieren kann. Die Kirmes ist ein Stück Kultur. Lokalkultur, die bei einer größeren Stadt wie Esch natürlich auch eine regionale Ausstrahlung bekommt.

Es ist zeitgleich der Saisonauftakt der Schausteller – wie sehen Sie das?
Die Escher „Ouschterkiermes“ ist in der Tat die erste Station für die Luxemburger Schausteller in der neuen Saison. Nach der kurzen Winterpause müssen sie Stände und Spiele wieder instand setzen und eventuell reparieren. Der ein oder andere kommt vielleicht mit einem neuen Spiel aus der Winterpause zurück.

Hinter dem Beruf steckt eine ganze Menge mehr, als man auf den ersten Blick denken könnte. Ein Schausteller ist meist Elektriker, Installateur, Lackierer, Schweißarbeiter, Mechaniker, Kassierer und Buchhalter in einer Person. Dem zollt eine Menge Respekt.

Wie viele Schausteller gibt es noch in Luxemburg?
Ich würde schätzen um die 30. Darunter vielleicht ein oder zwei, die nur davon leben. Dazu muss man sagen, dass Luxemburg schon immer auf Schausteller von außerhalb angewiesen war, weil es sich in dem kleinen Land einfach nicht lohnt, große Fahrgeschäfte zu kaufen. Luxemburger sind auf Essensstände und Kinderspiele spezialisiert. Foodtrucks sind heutzutage eine große Konkurrenz.

Was geht in den Besuchern der Kirmes vor?
Beim Besuch der Kirmes betritt der Gast eine eigene kleine Fantasiewelt. Ein kleines Dorf mit eigenen Infrastrukturen. Er verlässt sein gewohntes Umfeld, überschreitet seine Grenzen und lässt sich treiben. Er bricht aus seinem Alltag aus. Dazu gehören auch Verschwendung und Gier: Man ließ sich vor allem früher gerne mal übers Ohr hauen, und auch heute noch isst man gerne viel zucker- und fetthaltiges Essen und trinkt vielleicht auch mehr Alkohol. Dazu kommen die individuellen Kindheitserinnerungen, die jeder von uns an die Kirmes hat. Für Erwachsene ist es wie eine Reise in die Vergangenheit, für Kinder die in eine andere Welt.

Der Begriff „Spill“, wie wir es auf Luxemburgisch nennen, ist auch sehr interessant. Die Kirmes an sich ist ein Spiel, das einem angeboten wird. Darauf lässt sich der Besucher ein. Er ist mehr als nur Konsument, sondern auch Teilnehmer.

Welchen Stellenwert hat eine Kirmes in unserer heutigen Zeit noch?
In einer Welt der virtuellen Realität, in der das Freizeitangebot unfassbar groß ist, haben es Kirmessen in der Tat schwer. Auch mit den Freizeitparks mitzuhalten, ist fast unmöglich. Der klare Vorteil der Kirmes: Der Besucher zahlt keinen Eintritt. Egal ob arm oder reich, er kann die Atmosphäre erleben. Das ist auch seit jeher ein wichtiges Symbol der Kirmes: Es ist ein Ort der Integration. Früher wurden an einem der Kirmestage die Bewohner, Freunde und Bekannte aus anderen Dörfern eingeladen. Im Konzept der Kirmes war die Gastfreundschaft und das Teilen sehr wichtig. Da teilte man auch mal mit dem, der nichts hatte, nach dem Motto: Keiner soll hungrig nach Hause gehen.

Man denkt in Esch über ein neues Konzept nach. Auch der Standort soll ab der „Päischtkiermes“ in die Nähe vom Rathaus verlegt werden. Wie sehen Sie das?
Ich finde es sehr gut, dass die Stadt Esch das Konzept der Kirmes überdenkt. Überdenken heißt nicht abschaffen oder in die Ecke drücken. Es heißt das, was die Schausteller eigentlich ausmacht: Anpassungsvermögen. Schausteller haben sich in der Vergangenheit immer wieder angepasst. Im 19. Jahrhundert waren vor allem sie diejenigen, die den Mut zu Neuem hatten. Sie waren die Ersten, die einen Kinematografen mit auf die Reise nahmen. Kein anderer wagte das damals.

Die Neudefinierung des Standorts sehe ich als eine Chance. Weg von dem Begriff „Boulevardkirmes“ wird das Volksfest zusammengelegt. Umso positiver ist es, dass die Kirmes nicht an den Stadtrand gedrängt wird, sondern bei den Menschen bleibt. Im Ausland gibt es viele solcher Beispiele, wo die Kirmes an den Stadtrand verbannt und damit zerstört wird. Damit bricht ein Stück Kultur weg.