Sonntag2. November 2025

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Krieg in der UkraineÖsterreichs sehr spezielles Neutralitätsverständnis verhindert Selenskyj-Rede im Nationalrat

Krieg in der Ukraine / Österreichs sehr spezielles Neutralitätsverständnis verhindert Selenskyj-Rede im Nationalrat
Wolodymyr Selenskyj ist zurzeit auf vielen Schirmen zu sehen – auf jenem in Österreichs Nationalrat wird er vorerst nicht sprechen Foto: dpa/Shuji Kajiyama

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Ein sehr spezielles Neutralitätsverständnis führt in Österreich zum Eiertanz um eine Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Nationalrat.

Wie vor dem US-Kongress oder vor dem deutschen Bundestag sollte Selenskyj demnächst per Videoschalte auch im Wiener Parlament für Unterstützung im Kampf gegen Wladimir Putins Invasionstruppen werben können. Ginge es nach dem Wunsch der oppositionellen Neos-Partei, wäre die Entscheidung im Nationalratspräsidium längst gefallen. Dort hatten die Liberalen beantragt, den Ukrainer virtuell einzuladen. Die übliche Einvernehmlichkeit aller Parteien kam jedoch nicht zustande. Sowohl SPÖ als auch FPÖ legten sich mit dem Hinweis auf die Neutralität quer. An den Regierungsparteien ÖVP und Grüne sei es nicht gescheitert, betonte der stellvertretende Neos-Fraktionschef Nikolaus Scherak.

FPÖ-Chef Herbert Kickl macht aus der Ablehnung einer Selenskyj-Rede kein Hehl: „Wir würden das auch für Putin nicht haben wollen oder irgendeine andere Kriegspartei.“ Diese Opfer-Täter-Gleichsetzung entspringt einem eigenartigen Neutralitätsverständnis. Denn Österreichs Status der „immerwährenden (militärischen) Neutralität“ ist ausdrücklich nicht als politischer Neutralismus zu verstehen, wie Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zuletzt mehrfach betont hatte.

Das führt zur absurden Situation, dass österreichische Rechtsextreme die Existenz ukrainischer Rechtsextremer als Kriegsgrund gelten lassen

Die FPÖ schielt jedoch auf das rechte Lager, wo Putins Narrativ von der westlichen Bedrohung Russlands durch „Nazis“ in der Ukraine gar nicht neutral nachgeplappert wird. Das führt zur absurden Situation, dass österreichische Rechtsextreme die Existenz ukrainischer Rechtsextremer als Kriegsgrund gelten lassen. Erklärbar ist dies nur mit der seit Jahren auch von der FPÖ-Spitze zelebrierten Putin-Begeisterung. 

SPÖ gespalten

Etwas anders verhält es sich mit der SPÖ. Sie ist hin- und hergerissen zwischen den vielen Anhängern der neutralistischen Neutralitätsinterpretation und einer klaren, ebenso populären pro-ukrainischen Haltung. Prompt führte dies zum internen Zwist. Der burgenländische Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil (SPÖ) wertete die Nicht-Einladung Selenskyjs gestern als „außenpolitischen Fehler, der hätte nicht passieren dürfen“. Denn diese Frage habe nichts mit der Neutralität zu tun. Kurz darauf wollte SPÖ-Vizefraktionschef Jörg Leichtfried den Hinweis auf die Neutralität nicht mehr als Ablehnung der Selenskyj-Rede verstanden wissen. Man wolle lediglich, dass Österreichs neutraler Status berücksichtigt werde.

Bleibt die FPÖ als einzig weiter strikte Gegnerin der Videoschalte mit dem Ukrainer. Formal könnte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka Selenskyj einfach einladen, die einstimmige Einladungspraxis des Präsidiums ist lediglich üblich, nicht zwingend. Die ursprünglich rot-blaue Ablehnung könnte dem ÖVP-Mann aber gar nicht so ungelegen gewesen sein, schließlich könnte Selenskyj die Rede nützen, um an Österreich Forderungen zu stellen, die die ungeliebte, von der ÖVP gerade für beendet erklärte Neutralitätsdebatte erst recht anheizen könnten. Ganz ausgeschlossen ist der Auftritt noch nicht. Die Neos haben für kommende Woche eine Sondersitzung des Nationalrates beantragt, in der Selensky reden könnte. Wenn ihn Sobotka einlädt …

Wie wäre es in Luxemburg?

Seit Kriegsbeginn in seinem Land hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in verschiedenen europäischen Parlamenten per Videoschaltung Reden gehalten – zuletzt am Mittwoch in Frankreichs „Assemblée nationale“. In Luxemburg war das noch nicht der Fall – doch wie könnte es zu einer Selenskyj-Ansprache in der Chamber kommen, welche Prozeduren müssten eingehalten werden? Im Fall einer Intervention während einer öffentlichen Sitzung würde die „Conférence des Présidents“ darüber entscheiden, in welcher Form und wann diese Ansprache stattfinden würde, erklärt Chamber Generalsekretär Laurent Scheeck dem Tageblatt. Das „Bureau“ des Luxemburger Parlaments müsse demnach, wie bei allen internationalen Aktivitäten, im Vorfeld seine Zustimmung erteilen. Am Ausgangspunkt eines Austausches mit Selenskyj in der Chamber kann Scheeck zufolge eine offizielle Anfrage aus dem ukrainischen Präsidentenbüro stehen. Die andere Möglichkeit sei, wenn ein Abgeordneter respektive eine Partei den ukrainischen Präsidenten zu einem Auftritt in der Chamber einladen würde. Zurzeit, so Scheeck, liege aber keine Einladung an Selenskyj vor. (A.B.)