Zehn JahreChaos in vielen Ländern des Arabischen Frühlings

Zehn Jahre / Chaos in vielen Ländern des Arabischen Frühlings
Der Platz vor dem Hauptpostgebäude der zentraltunesischen Stadt Sidi Bouzid trägt den Namen von Mohamed Bouazizi, dessen Konterfei das Gebäude schmückt. Der Straßenhändler hatte hier vor zehn Jahren mit seiner Selbstverbrennung eine Revolutionswelle in der arabischen Welt ausgelöst, die nicht die Hoffnungen erfüllte, die anfangs in sie gesetzt wurden. Foto: AFP/Fethi Belaid

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Vor zehn Jahren begann der Arabische Frühling und löste eine Welle der Hoffnung aus. Mit einem Mal schien es möglich, dass sich seit Jahrzehnten autoritär regierte Staaten im Nahen Osten und in Nordafrika zu Demokratien mit einer starken Zivilgesellschaft wandeln könnten. Zehn Jahre später fällt die Bilanz ernüchternd aus. Allein Tunesien erlebte einen Übergang in Richtung Demokratie; andere Staaten wie Libyen, Syrien oder der Jemen versanken in Krieg und Chaos.

Tunesien: Demokratischer Pionier Aus Protest gegen Armut und Chancenlosigkeit zündet sich der junge Straßenverkäufer Mohamed Bouazizi am 17. Dezember 2010 selbst an. Seine Verzweiflungstat löst landesweite Kundgebungen aus und wird zum Funken für Proteste in der gesamten Region, es ist die Geburtsstunde des Arabischen Frühlings. Weniger als einen Monat später flieht der tunesische Machthaber Zine el-Abidine Ben Ali nach Saudi-Arabien. Noch im selben Jahr werden die ersten freien Wahlen abgehalten. 2014 verabschiedet Tunesien eine neue Verfassung. Fünf Jahre später ist die Partei Ennahda, die „Bewegung der Wiedergeburt“, stärkste Kraft im Parlament. Bis heute leidet Tunesiens junge Demokratie unter politischer Instabilität und einer noch immer düsteren wirtschaftlichen Lage. 2019 sind etwa 15 Prozent der Menschen im Land arbeitslos.

Ägypten: Nach dem Aufbruch die Unterdrückung Die ersten Demonstrationen gegen Husni Mubarak beginnen am 25. Januar 2011. Hunderttausende Menschen versammeln sich Tag für Tag auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Die Staatsführung reagiert mit Gewalt, fast 850 Menschen werden getötet. Aber die Massenproteste reißen nicht ab und zwingen Staatschef Mubarak am 11. Februar zum Rücktritt. Im Juni 2012 wird Mohammed Mursi von der Partei der Muslimbrüder der erste frei gewählte, zivile Präsident des neuen Ägyptens. Doch nach nur einem Jahr stürzt ihn das Militär, angeführt vom ehemaligen Armeechef Abdel Fattah al-Sisi. In den folgenden Monaten geht die neue Führung mit aller Härte gegen Mursis Anhänger vor, etwa 1.400 Menschen werden getötet. Nach Angaben von Amnesty International baut al-Sisi Ägypten zu einem „Gefängnis unter offenem Himmel“ um, zehntausende Menschen sind aus politischen Gründen in Haft.

Jemen: Am Rande einer Hungersnot Zehntausende Demonstranten fordern am 27. Januar 2011 den Rücktritt von Präsident Ali Abdullah Saleh. Nach drei Jahrzehnten an der Spitze des Staates tritt er im Februar 2012 zurück. Sein ehemaliger Stellvertreter Abd Rabbo Mansur Hadi wird in einer Wahl ohne Gegenkandidaten zum Übergangspräsidenten. 2014 verbündet sich Saleh mit seinen früheren Feinden, den vom Iran unterstützten schiitischen Huthi-Rebellen, um seinen Amtsnachfolger Hadi zu entmachten. Sie nehmen große Teile des Landes ein, darunter auch die Hauptstadt Sanaa. Im Folgejahr greift der mächtige Nachbar Saudi-Arabien ein und stellt sich an die Spitze einer arabischen Koalition, welche die Huthis stoppen soll. In dem seither andauernden Krieg sterben Zehntausende, darunter viele Zivilisten. Saleh überwirft sich 2017 mit den Huthi-Rebellen und kommt auf der Flucht zu Tode. Trotz diplomatischer Bemühungen gelingt es nicht, die vielfältigen Konflikte im Jemen beizulegen. Mitte November 2020 warnen die Vereinten Nationen, dem Land drohe die weltweit schlimmste Hungersnot seit Jahrzehnten.

Libyen: Krieg und Chaos Auch in Libyen beginnen die Proteste Mitte Februar 2011. Die Demonstrationen gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi in der Hafenstadt Bengasi können nur kurzzeitig unterdrückt werden und weiten sich zu einem bewaffneten Konflikt aus. Nach grünem Licht der UNO greift eine von Washington, Paris und London geführte Militärkoalition in den Konflikt ein, Tripolis fällt im August in die Hände der Aufständischen. Am 20. Oktober 2011 endet nach 42 Jahren Gaddafis Herrschaft in Libyen. Er wird auf der Flucht ermordet. Der ölreiche Mittelmeeranrainer versinkt danach im Chaos. Zwei rivalisierende Parlamente und eine Vielzahl von Milizen kämpfen um die Vorherrschaft im Land. Libyen ist zum Durchgangsland für Menschenschmuggler geworden, die Flüchtlinge vom afrikanischen Kontinent über das Mittelmeer nach Europa schleusen.

Syrien: Krieg seit 2011 Syrien wird mit eiserner Hand vom Assad-Clan regiert. Am 15. März 2011 beginnen friedliche Demonstrationen für demokratische Reformen im Land, die der Sicherheitsapparat von Staatschef Baschar al-Assad niederschlagen lässt. Aus den Protesten wird ein bewaffneter Aufstand, der in einen bis heute andauernden Krieg mündet. Von Beginn an mischen zahlreiche ausländische Mächte mit. Nachdem Assad zunächst in der Defensive ist, schaltet sich Russland 2015 militärisch ein. Das Blatt wendet sich zu Assads Gunsten, der auch auf die Unterstützung des Iran und der libanesischen Hisbollah-Miliz zählen kann. Inzwischen sind Aufständische, Rebellen und islamistische Milizen zurückgedrängt, Assad kontrolliert wieder bis zu 70 Prozent des Staatsgebietes. Bis heute wurden im syrischen Bürgerkrieg mehr als 380.000 Menschen getötet und Millionen Menschen in die Flucht getrieben. (AFP)