Nicht jeder stirbt für sich allein – „Iwwer Doud (a Liewen)“ im Kasemattentheater

Nicht jeder stirbt für sich allein – „Iwwer Doud (a Liewen)“ im Kasemattentheater

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Die mehrsprachige Lesung „Iwwer Doud (a Liewen)“ hält, was der Titel verspricht. Zu Wort kommt nicht nur eine einzige Person, sondern gleich mehrere: Zitiert werden sowohl zahlreiche über die Grenzen hinaus bekannte Philosophen als auch Literaten. Der Bezug zu Luxemburg entsteht durch das Vorlesen von Interviews, die mit sterbenden Menschen hierzulande geführt wurden. Am 13. März fand die Lesung im Kasemattentheater zum ersten Mal statt. Aufgrund des Erfolges wird sie morgen wiederholt – die Tickets sind jedoch bereits ausverkauft.  

Von Sara Goerres

Ein Thema finden, welches die Menschen anzieht und den Kern von verschiedenen Gedankengängen wiedergibt, liegt Marc Limpach bei der Gestaltung von Lesungen immer besonders am Herzen. In der Regel obliegen ihm hierbei die Zusammenstellung und die Auswahl der Texte. Mit unter anderem Epikur, Montaigne und Camus flossen dieses Mal Klassiker mit ein.

Laut Limpach müssen diese aber nicht nur einzeln „funktionieren“. Eine erhebliche Rolle spielt das Zusammenspiel zwischen ihnen: „So entsteht fast eine Art von Dialektik zwischen den Texten, weil sie sich gegenseitig befruchten. Wenn die Texte eine gewisse Ausgewogenheit besitzen, bestärken sie sich oder treten in Kontradiktion zueinander“, erklärt der Künstler.

Es sollte jedoch nicht bei der Betrachtung aus literarischer und philosophischer Sicht bleiben, sondern den Organisatoren war es wichtig, das Thema aus einem aktuellen, an persönliche Erfahrungen gebundenen, Blickwinkel zu beleuchten. Daher kam die Idee auf, Menschen, die dem Tod unmittelbar bevorstehen, eine Stimme zu geben. „Es ist diese Mischung, die den Abend und die Lesung so extrem berührend macht“, sagt Limpach.
Die Journalistin Annick Goerens hörte dementsprechend nicht nur todkranken Menschen zu, sondern hielt deren Gedanken auch schriftlich fest. Während fast acht Monaten begleitete sie diese Personen und unterhielt sich mit ihnen. Drei dieser sehr emotionalen und harten Interviews finden sich nun in der Lesung wieder.

Ein anderer Blickwinkel

„Es war eine sehr besondere Erfahrung, mit Menschen zu reden, die einen ganz anderen Blick auf ihr Leben besitzen“, beschreibt Goerens die Gespräche. „Eigentlich handelt es sich um normale Menschen. Jedoch werden sie leider häufig nicht mehr wie normale Menschen behandelt. Entweder ist man übermäßig nett zu ihnen oder man ignoriert sie. Für mich war es klar, dass ich das nicht wollte, ich wollte offen mit ihnen und ihrer Situation umgehen.“
Einige Interviewpartner sehen ein spezifisches Problem in Luxemburg: Man verdränge den Tod noch vielerorts. Obwohl das Thema hierzulande nach wie vor als Tabu gehandelt werde, besaßen zumindest sie den Mut, darüber zu sprechen: „Einige hatten förmlich das Verlangen, zu reden. Ich hatte sogar das Gefühl, sie brauchten mich, zum Teil weil viele Menschen sich alleine fühlten und ihre Gedanken zum Thema bisher noch nicht aussprechen konnten.“

Trotzdem seien sie mit Humor mit der Situation umgegangen. „Einmal sagte ich zu einem Patienten, er solle mir nicht wegsterben, bevor ich zum nächsten Mal komme“, schildert Annick Goerens eine ihrer Erfahrungen. „Leider ist diese Person im Laufe des Monats gestorben.“

Hochkomplexe Inhalte

Diese hochkomplexen Inhalte überzeugend zu vermitteln, stellt einen wichtigen Punkt für Marc Limpach dar: „Lesungen im Kasemattentheater bedeuten nicht nur einfach, den Text runterzulesen, sondern die Dramaturgie der Vorstellung muss stimmen. Es ist beispielsweise wichtig, durch die Musik Atmungsmomente hineinzubekommen.“

Mit ins Boot genommen wurden der luxemburgische Musiker Serge Tonnar und die Schauspielerin Désirée Nosbusch. Ersterer übernimmt die musikalische Untermalung auf der Gitarre, Nosbusch trägt die ausgewählten Texte gemeinsam mit ihm und Limpach vor.
Die Themenwahl reiht sich besonders gut in das Motto der diesjährigen Spielzeit des Kasemattentheaters ein: „Das Private ist politisch – Kultur macht frei.“ Dies ist nicht zuletzt, weil sich die hochpolitischen Debatten um das Euthanasie-Gesetz zum zehnten Mal jähren.

Wenn auch vieles darauf schließen lassen könnte, dass man die Lesung mit einem bedrückenden Gefühl verlässt, so verweist Goerens darauf, dass das Gegenteil der Fall sei: „Man bekommt Lust, das Leben in die Hand zu nehmen und etwas daraus zu machen.“