Covid-19 / Nicht die Zeit für Hausbesuche: Syvicol fordert Verlegung der Volkszählung
In Luxemburg wird alle zehn Jahre die genaue Zahl der Einwohner erfasst. Die nächste Volkszählung findet am 1. Juni dieses Jahres statt. Allerdings stößt die Entscheidung, Agenten während einer sanitären Krise auf Hausbesuch zu schicken, nicht überall auf Verständnis. Das Gemeindesyndikat Syvicol hat damit beispielsweise seine Probleme.
Auch im digitalen Zeitalter gilt die Volkszählung immer noch als wichtiges Instrument, um „verlässliche und vollständige demografische und sozioökonomische Informationen über die Bevölkerung Luxemburgs zu erhalten“. Demnach werden am 1. Juni wieder zahlreiche Volkszähler von Haus zu Haus ziehen, um den Einwohnern einen Fragebogen auszuhändigen, ihnen womöglich auch bei Fragen noch Rede und Antwort zu stehen und das ausgefüllte Dokument zu einem späteren Zeitpunkt wieder abzuholen.
Diese Entscheidung stößt beim Gemeindesyndikat Syvicol allerdings auf Unverständnis: „Zumindest der Zeitpunkt ist extrem unglücklich“, betont Präsident Emile Eicher (CSV). Denn: Hausbesuche dieser Art seien in Zeiten einer Pandemie nicht angebracht. Zu groß sei die Gefahr, dass sich der Volkszähler das Virus einfängt und dieses dann an mehrere Haushalte weitergibt. „Einerseits werden die Leute dazu aufgefordert, zu Hause zu bleiben und ihre Distanzen zu wahren, um andererseits aber Agenten von Haushalt zu Haushalt ziehen zu lassen. Ich bin mir nicht sicher, ob viele Menschen das begrüßen“, erklärt Eicher.
Ausführende Kraft der Volkszählung ist auch dieses Jahr wieder das Luxemburger Statistikamt Statec. Die Volkszähler aber werden von den Gemeinden angeworben und ausgeschickt. Bürger haben dann die Möglichkeit, den Fragebogen schriftlich auszufüllen oder die Fragen digital im Netz via myGuichet zu beantworten. Doch werde nicht jeder das digitale Angebot in Anspruch nehmen, ist sich Eicher sicher. Übrig blieben immer noch viele Menschen, die in Kontakt mit den Volkszählern kommen werden.
Aus diesem Grund fordert das Syvicol eine Verlegung der Volkszählung auf das erste Semester 2022. „Bis dahin haben wir etwas mehr Distanz geschaffen und die Krise hoffentlich zum größten Teil überstanden“, erklärt der Vorsitzende des Gemeindesyndikats. Neben den Sicherheitsrisiken für Volkszähler und Bevölkerung stellen sich Eicher allerdings noch Fragen nach dem Aufwand, der Rolle der Gemeinden und der Daseinsberechtigung einer „analogen“ Datenerfassung im digitalen Zeitalter: „Auf Dauer müssen wir uns wirklich die Frage stellen, ob die Volkszählung in ihrer jetzigen Form noch zeitgemäß und angebracht ist“, so dessen Schlussfolgerung.
Auf Dauer müssen wir uns wirklich die Frage stellen, ob die Volkszählung in ihrer jetzigen Form noch zeitgemäß und angebracht istSyvicol
Nur eine gesetzliche Daseinsberechtigung
In der Regel wird die Umsetzung der Volkszählung durch eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 9. Juli 2008 geregelt. Im Fragebogen befinden sich vor allem Abschnitte, die von den europäischen Instanzen vorgegeben wurden. Gesammelt werden aber auch Informationen für nationale Zwecke, die bei herkömmlichen Umfragen bis dato nicht erfasst wurden.
So werden bei der kommenden Volkszählung erstmals auch Fragen zu möglichen Behinderungen und der Notwendigkeit einer Renovierung respektive energetischen Sanierung einer Wohnung gestellt. Andere Fragen, wie die nach der elektronischen Ausstattung der Haushalte, wurden indessen aber gestrichen. „Es gibt andere Umfragen des Statec, die es erlauben, diese Fragen besser und noch regelmäßiger zu stellen“, meint dazu etwa der für statistische Erfassungen zuständige Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP).
Neben der genauen Erfassung der Bevölkerungszahl hat die Volkszählung im Großherzogtum eigentlich nur eine gesetzliche Daseinsberechtigung: Sie ist ausschlaggebend für die Anzahl der Gemeinderäte in den Luxemburger Kommunen. Mit dem „Registre national des personnes physiques“ sei dieses Gesetz aber überflüssig geworden, erklärt Eicher: „Das Register ist ständig auf dem neuesten Stand, weil es von den Gemeinden direkt aktualisiert wird. Diese Datenbank liefert augenblicklich präzisere Angaben über die aktuelle Bevölkerungszahl als eine Volkszählung.“
Mit einer Änderung des diesbezüglichen Gesetzes hätte die Volkszählung zumindest in diesem Sinne ausgedient. Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) sei auch nicht abgeneigt, diesen Weg im Zuge der Reform des Gemeindegesetzes mit beschreiten zu wollen, so Eicher. „Dann gibt es überhaupt keinen Grund mehr für die Gemeinden, an einer Volkszählung mitzuwirken. Die Verantwortung liegt in dem Fall nur noch beim Statec.“
Reform ist unausweichlich
Tatsächlich gibt es Alternativen zur traditionellen Volkszählung: So besteht die Möglichkeit, die Zahl der Einwohner Luxemburgs über bereits bestehende Datensätze zu erfassen – etwa mit den Angaben der Sozialversicherung, der Steuerverwaltung und des nationalen Personenregisters. In den Jahren zwischen den groß angelegten Volkszählungen bedient sich das Statec beispielsweise der Einwohnerzahl des Jahres zuvor und rechnet den natürlichen Saldo der Geburten und Todesfälle sowie die Nettozuwanderung hinzu.
Allerdings stellen sich beim Gebrauch der unterschiedlichen Datensätze wiederum Fragen nach dem Schutz personenbezogener Informationen, wie die nationale Datenschutzkommission in einer Erklärung zu bedenken gibt. Auch habe der Bürger immer noch das Recht, selbst über seine Daten zu bestimmen. Eine traditionelle Volkszählung erlaubt es Menschen, eine gewisse Kontrolle über die Informationen zu behalten, die man von sich preiszugeben bereit ist. Andernfalls droht der gläserne Bürger, was sicher nicht die Absicht einer Volkszählung sei.
Laut Syvicol-Präsident Emile Eicher ist eine Reform der traditionellen Volkszählung unausweichlich geworden. Das Luxemburger Statistikamt verfüge über genügend andere Möglichkeiten und Datenbanken. Die Zusatzfragen über energetische Sanierung, die dieses Jahr in den Fragebogen mit eingebunden werden, könnte das Statec künftig auch über normale Umfragen klären. „In anderen EU-Staaten wurde die Volkszählung bereits abgeschafft. Warum nicht auch in Luxemburg? Die für die EU relevanten Informationen und andere Daten können über andere Wege erfasst werden“, so Eicher.
Für die Beteiligung der Gemeinden aber sieht das Syvicol spätestens nach einer Reform des diesbezüglichen Gesetzes keine Notwendigkeit mehr. Wurden bis dato etwa die Volkszähler dafür benötigt, Nachzüglern eine schriftliche Erinnerung zukommen zu lassen, wird dieses Schreiben dieses Jahr per Post zugestellt. „Schließlich kennen die Postboten ihre Briefkästen besser als die Gemeindeagenten“, erklärt Emile Eicher.
Schließlich gebe es immer wieder Bürger, die den Fragebogen vergessen. „Anderen Personen ist es schlichtweg egal, ob die Fragen beantwortet werden oder nicht. Dann kann der Volkszähler noch so oft auf der Matte stehen …“, so der Syvicol-Präsident. Auch dürften verschiedene Agenten bei möglichen Problemen oder Fragen noch mehr Zeit in direktem Kontakt mit anderen Menschen verbringen. „Ich weiß aber nicht, ob Hausieren in Zeiten einer Pandemie wirklich angebracht ist“, gibt Eicher zu bedenken.
Geld spielt nicht zuletzt auch eine Rolle: Vielen Gemeinden fällt es schwer, genügend Volkszähler zu verpflichten, die bereit sind, während der sanitären Krise ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Zu niedrig sei das Gehalt, das die Gemeinden vorstrecken und das Statec später rückerstattet. Eine Anpassung sei unerlässlich: „Ansonsten wird sich die Begeisterung enorm in Grenzen halten“, erklärt Eicher. „Bei der letzten Volkszählung 2011 konnten wir mit diesem Geld in Clerf nur ein Fünftel der Gehälter decken.“ Die Tarife seien seit 20 Jahren nicht mehr angepasst worden. „An di woren 2001 schonn net déck“, so Eicher, der auch der Clerfer Gemeindevater ist.
Was passiert denn, wenn jemand sich weigert an der so genannten „Volkszählung“ teilzunehmen, sprich, die Person den Zettel nicht ausfüllen mag? Wird diese Person dann bestraft? Soweit ich weiss, ist die Teilnahme obligatorisch, aber dann steht die Frage im Raum, ob in einem Rechtsstaat überhaupt jemand gezwungen werden kann, gewisse Informationen über sich preiszugeben resp. ganz generell an solchen Umfragen (als freier Bürger) teilnehmen zu müssen?
Bei Einhaltung der elementarsten Vorsichtsmassnahmen, dürfte die Volkszählung kein Problem sein. Fragt sich nur, wer noch bereit ist in dieser Zeit , sie durchzuführen.