Freitag14. November 2025

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Observatoire des discriminationsNationalität bleibt Hauptmotiv für Diskriminierungen

Observatoire des discriminations / Nationalität bleibt Hauptmotiv für Diskriminierungen
Ergebnisse des „Observatoire des discriminations“  Foto: Editpress/Julien Garroy

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In Luxemburg werden Menschen diskriminiert, zur Klage kommt es selten: Das „Centre pour l’égalité de traitement“ liefert Daten zu den Betroffenen und stellt zudem die Gretchenfrage: Wen stört inklusive Sprache?

Die Diskriminierungen in Luxemburg nehmen zu: Das belegt das „Observatoire des discriminations 2024“, ausgearbeitet vom „Centre pour l’égalité de traitement“ (CET). Am Donnerstag legte das Zentrum die Ergebnisse der Umfrage auf den Tisch, die zuletzt 2020 durchgeführt wurde.

In den vergangenen drei Jahren wurden 24 Prozent der Befragten (2020: 20 Prozent) mindestens einmal diskriminiert. Besonders betroffen waren nicht heterosexuelle Menschen (45 Prozent), dicht gefolgt von Menschen mit einer Beeinträchtigung (38 Prozent). Das häufigste Motiv der Diskriminierung war die Nationalität (70 Prozent) – allein 92 Prozent der portugiesischen Befragten gaben an, bereits aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit angegriffen worden zu sein. Ein weiterer Grund, der oft genannt wurde: das Aussehen (67 Prozent) und der soziale Status (58 Prozent). Am häufigsten fanden die Diskriminierungen im beruflichen Kontext (46 Prozent) und im öffentlichen Raum statt (41 Prozent). Einen Unterschied gab es im Hinblick auf nicht heterosexuelle Menschen: Sie erlitten mehr Angriffe im Internet (43 Prozent) als die Allgemeinheit (20 Prozent) der Teilnehmenden.

70


Prozent der Befragten wurden aufgrund ihrer Nationalität diskriminiert

Wie reagieren die Betroffenen?

Etwas mehr als die Hälfte (52 Prozent) suchte nach den Vorfällen das Gespräch mit dem eigenen Umfeld, nur eine Minderheit kontaktierte Fachleute (17 Prozent) oder eine Hilfsorganisation (5 Prozent). Dabei erlitt die Mehrheit der Betroffenen (54 Prozent) psychologische Folgeschäden durch die Diskriminierung und leiden bis heute unter den Geschehnissen (59 Prozent). Vor allem Angehörige ethnischer Minderheiten in Luxemburg veränderten nach den Angriffen ihr Benehmen (61 Prozent) oder sahen sich gezwungen, ihre Lebensumstände zu überdenken (39 Prozent) – etwa durch einen Job- oder Wohnungswechsel.

Trotz dieser weitreichenden Folgen reichte der Großteil (82 Prozent) keine Klage ein. Ein Phänomen, das wiederholt in Studien zu Gewalt gegen marginalisierte Personengruppen auftaucht – und das, obwohl in Luxemburg ein Gesetz zum Schutz vor Diskriminierung gilt. Die Krux: Der Gang zur Justiz bleibt oft folgenlos. Laut „Observatoire des discriminations“ war dies für die Hälfte der Kläger*innen der Fall. Umso verständlicher ist es, dass das Hauptargument gegen eine Anzeige lautete: „C’est du temps perdu.“

C’est du temps perdu

Betroffene von Diskriminierung, die keine Klage einreichen

In der Kommentarspalte von L’Essentiel, der über die Ergebnisse berichtete, wirft jemand sinngemäß die Frage auf: „Wie viel Diskriminierung gibt es wirklich? (…) Eine Diskriminierung kann real sein oder aber auf einem Missverständnis beruhen.“ Zwar beziehen sich die oben erwähnten Daten auf persönliche Erfahrungen, doch herrscht Konsens unter vielen Teilnehmenden: 45 Prozent aller Befragten sind der Meinung, dass Diskriminierung in Luxemburg seit fünf bis zehn Jahren ansteigt. Am meisten in Bezug auf die ethnische (48 Prozent) oder die religiöse Zugehörigkeit (38 Prozent) sowie die sexuelle Orientierung (30 Prozent) – wobei zu diesem Punkt genauso viele das Gegenteil behaupten.

„Food for thoughts“

Aus dem „Observatoire des discriminations“ geht zudem hervor: Wer Diskriminierung beobachtet hat, war in der Regel schon selbst davon betroffen (61 Prozent) und gehört einer jüngeren Generation an (51 Prozent zwischen 16 und 34 Jahren). Die Altersfrage scheint ebenfalls relevant, wenn zahlreiche Befragte (40 Prozent) verneinen, in den letzten zwei Jahren zum Thema Diskriminierung sensibilisiert worden zu sein – allen voran die Altersgruppe 55+ (51 Prozent).

Der Bericht schließt mit „food for thoughts“ in Bezug auf inklusive Sprache: Der Umfragebogen des CET wurde nämlich zum ersten Mal in ebensolcher verfasst – eine Sprech- und Schreibweise, die regelmäßig polarisiert. Das Team hakte nach: Ist das den Teilnehmenden aufgefallen? Und hat es sie gestört? Fast die Hälfte (46 Prozent) nahm die Anwendung inklusiver Sprache zwar zur Kenntnis, für zwei Drittel hatte sie allerdings keinen Einfluss auf die Lesbarkeit des Dokuments. Die Mehrheit (38 Prozent) spricht sich trotzdem dagegen aus, öfter inklusive Sprache anzuwenden, während das Thema anderen (32 Prozent) egal ist.


Fragen an Susanna van Tonder, Präsidentin des „Centre pour l’égalité de traitement“

Tageblatt: Susanna van Tonder, warum sinken Diskriminierungen in Luxemburg nicht?

Susanna van Tonder: Das hängt unter anderem damit zusammen, dass es Betroffenen schwerfällt, die Geschehnisse zu melden und darüber zu sprechen: Diskriminierungen sind traumatische Erlebnisse. Das führt dazu, dass der breiten Masse ein Bewusstsein für das Thema fehlt und Mikroaggressionen verkannt werden.

Was hilft dagegen?

Es ist wichtig, dass Hilfsorganisationen Präsenz in der Öffentlichkeit zeigen und die Menschen ihnen vertrauen. Genauso wesentlich ist die Umsetzung der EU-Direktive „Standards for equality bodies“ in den kommenden zwei Jahren: Damit käme die luxemburgische Regierung den Forderungen des CET nach, im Namen der Betroffenen Klagen einreichen zu können. Meinem Wissen nach ist das Dossier in Bearbeitung und der politische Wille gegeben.

Ist die Jugend stärker für Diskriminierungen sensibilisiert als ältere Generationen?

Diversität und Inklusion sind in psychologischen Studiengängen an Universitäten – ich bin von meiner Ausbildung her Arbeitspsychologin – stark vertreten, dasselbe gilt für die Grundschulen und Gymnasien. Wer über 55 ist, wurde im edukativen Bereich weniger damit konfrontiert. Im Austausch mit älteren Personen stelle ich außerdem fest, dass manche sich der Diskriminierungen, die sie erfahren haben, gar nicht bewusst sind oder sie verdrängen. „Das war damals so“, heißt es oft – selbst in Bezug auf Straftaten. Dass die Generationen X und Y allgemein um die Anerkennung ihres Selbstwerts und eine egalitäre Gesellschaft kämpfen, ist eine positive Entwicklung, die der Gesamtheit zugutekommt.

Susanna van Tonder, Präsidentin des CET
Susanna van Tonder, Präsidentin des CET Foto: Editpress/Julien Garroy

Warum werden vor allem queere Menschen in den sozialen Netzwerken angegriffen?

Die Gewalt in den sozialen Medien betrifft nicht nur diese Personengruppe: Die Plattformen bieten eine ideale Angriffsfläche, weil die Täter*innen anonym bleiben können. Warum bei unserer Umfrage vor allem queere Menschen von Diskriminierungen dort berichten, führe ich auf die queerfeindlichen Debatten zur Dragqueen Tatta Tom und rund um die Petition zurück, die LGBTIQA+-Inhalte im Schulunterricht verbieten will – dadurch fühlten sich Menschen bestärkt, diese Personengruppen anzugreifen. Eine Entwicklung, die wir unter anderem im europäischen Ausland beobachten.

Trotzdem sind manche Befragte der Ansicht, Diskriminierungen gegen queere Personen würden abnehmen.

Wir leben in einer Gesellschaft ungleicher Machtverhältnisse und es dauert, bis alle ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Lebensrealitäten entwickeln. Ich bin Südafrikanerin und als Weiße zur Zeit der Apartheid aufgewachsen: Weiße Südafrikaner*innen verneinen die Diskriminierungen, die damals stattfanden – das heißt nicht, dass es diese gegenüber Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht gab, um nur ein Beispiel zu nennen. In Luxemburg wurden in den vergangenen Jahren einige Gesetze zum Schutz marginalisierter Personen umgesetzt – das interpretieren manche als Signal, dass die Diskriminierungen sinken, doch die Realität sieht anders aus. Umso wichtiger ist es, dass das CET den Austausch mit Betroffenen pflegt.

Zum Vorgehen

An der Umfrage beteiligten sich 1.010 Bewohner*innen Luxemburgs, der Großteil davon ist luxemburgischer (52 Prozent) Nationalität. Die Befragten leben vorwiegend im Süden (37 Prozent) des Landes und gehen einer Berufstätigkeit nach (55 Prozent). Die Umfrage fand im Juli 2024 statt.

fraulein smilla
8. Dezember 2024 - 8.54

Damit Diskriminierungen seitens des Patriachat , weissen heterosexuellen Maenner uns noch lange erhalten bleiben , musste man sie mittlerweile auf Mikroaggressionen verduennen .Dass die grosse Mehrheit mit inklusiver Sprache nichts am Hut hat , mussten rezent die US Demokraten ( Latinx statt Latinos ) schmerzlich zur Kenntnis nehmen .