Luxemburger VerbrecherNach Kiesch-Freilassung – Tochter des Opfers verliert Glaube an Justiz

Luxemburger Verbrecher / Nach Kiesch-Freilassung – Tochter des Opfers verliert Glaube an Justiz
Gabrielle Celine Mersch: „Der Mörder meiner Mutter hat mich vor über 20 Jahren ins Gefängnis gesetzt“, sagt sie im Tageblatt-Telefongespräch Foto: GCM

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Gabrielle Celine Merschs Glaube an Justiz, Gerechtigkeit und EU-Prinzipien ist tief erschüttert. Diese Woche hat ein spanisches Gericht entschieden, den in Luxemburg verurteilten und nach Spanien geflüchteten Mörder ihrer Mutter freizulassen und die von der Kriminalkammer Diekirch verhangene Strafe nicht anzuwenden. Die Tat liegt 22 Jahre zurück. Für die Tochter des Opfers währt der Alptraum bis heute. „Der Tod meiner Mutter hat mein Leben zerstört“, sagt die Frau resigniert im Tageblatt-Gespräch: „Was kann ich nun tun?“

Gabrielle Celine Mersch ist entsetzt. Anfang dieser Woche hat sie die Nachricht erhalten, dass der in Luxemburg verurteilte Mörder ihrer Mutter nun auf freiem Fuß sei – und voraussichtlich auch bleibe, seine verbleibende zehnjährige Haftstrafe also nicht wird antreten müssen, zumindest nicht in Spanien, wohin er vor Jahren geflüchtet ist und ein neues Leben begonnen hat.

„Wo gibt es noch Gerechtigkeit? Was kann ich nun tun?“ Diese Fragen beschäftigen die verzweifelte Frau. Nicht nur in unserem Telefongespräch am Dienstagabend und nicht erst seit ein paar Tagen. Verstehen und nachvollziehen kann sie die Entscheidung der spanischen Justiz nicht. „Dieser Mann hat meine Mutter auf bestialische Weise getötet, nun ist er frei.“

Brutaler Raubüberfall

Zur Erinnerung: Am 5. Januar 1999 bricht Jean-Marc Sirichai Kiesch in ein Haus in Eppeldorf ein, es geht ihm um Geld, um die Rente einer Witwe. Bei dem Raubüberfall fügt er Célestine Mersch-Thill mit roher und wohl auch sadistischer Gewalt dermaßen schwere Verletzungen zu, dass die damals 69-jährige Frau daran stirbt.

Kiesch wird gefasst und im Oktober 2000 von der Kriminalkammer Diekirch wegen Totschlag zu einer Haftstrafe von 20 Jahren verurteilt, fünf davon auf Bewährung mit Auflagen. Vier Jahre später, 2004, kehrt der verurteilte „Mörder“ nicht mehr aus seinem Hafturlaub ins Gefängnis nach Schrassig zurück und taucht unter.

Der am 6. Januar 1981 geborene Mann mit thailändischen Wurzeln wird auf der Liste der weltweit meistgesuchten Verbrecher geführt. Gefunden wird er nicht. Fast 16 Jahre lang nicht. Erst am 10. August 2020 geht er spanischen und luxemburgischen Fahndern ins Netz. In Spanien, in Punta Umbria (Huelva). Nach einer, wie es heißt, guten Zusammenarbeit beider Länder, sicher aber auch einer aufwendigen und wohl ebenfalls teuren.

Nach seiner Festnahme könnte er nun nach Luxemburg ausgeliefert und seiner gerechten Strafe zugeführt werden, dachte vor einem Jahr auch Gabrielle Celine Mersch. Doch es kommt anders. Ein spanischer Richter entscheidet, dass Kiesch nicht nur das Gefängnis verlassen, sondern vorläufig auch in Punta Umbria bleiben darf, wo er sich seit 2006 ein neues Leben aufgebaut hat, mit Partnerin und Kind. Allerdings nimmt man ihm seinen Pass ab und er muss alle zwei Wochen bei den Gerichtsbehörden vorstellig werden.

Unverständliche Entscheidung

Für Gabrielle Celine Mersch ist diese Entscheidung unverständlich. „Hat der zuständige spanische Richter überhaupt das Dossier des Verurteilten gelesen?“, fragt die Frau im September 2020 im RTL-Interview. Luxemburg hält am Auslieferungsantrag fest. Möglich wäre aber auch, dass der Mann seine Strafe in Spanien verbüßt. Gemäß dem Prinzip, dass alle von einem Gericht in der EU gefällten Urteile von allen anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden müssen. Dazu sagte der Luxemburger Strafverteidiger Philippe Penning im RTL-Interview vor einem Jahr: „Ich denke, das würde zu einem diplomatischen Vorfall führen, wenn sie in Spanien jetzt sagen würden, nein, das machen wir jetzt nicht. Wir lassen den Mann laufen.“

Doch genau das ist jetzt passiert. Nachdem die spanische Justiz bereits vor einem Jahr entschieden hat, Kiesch nicht an Luxemburg auszuliefern, hat sie am Montag dieser Woche verkündet, das Luxemburger Urteil nicht vollstrecken zu wollen. Begründung: Jean-Marc Sirichai Kiesch, heute 40, sei bei der Tat noch minderjährig gewesen. Das stimmt in der Tat, denn erst am Tag nach dem Mord, am 6. Januar 1999 ist er 18, also volljährig, geworden. Dass in Luxemburg auch Minderjährige ab 16 Jahren vor einem Erwachsenengericht verurteilt werden können, wenn es sich um einen schweren Tatbestand handelt, hat die spanische Justiz scheinbar nicht berührt. Gegen die Entscheidung des mit dem Fall befassten Gerichtes zu Madrid könne kein Einspruch erhoben werden, heißt es.

Die Luxemburger Justiz oder Diplomatie genau wie die Europäische Kommission als Hüterin der EU-Verträge haben die Entscheidung bisher nicht kommentiert. Allerdings darf man davon ausgehen, dass sie nicht zu Freudensprüngen verleitet und eher Frust auslöst.

Frust und Resignation

Der Begriff „Frust“ reicht nicht im Geringsten an das heran, was Gabrielle Celine Mersch offensichtlich heute fühlt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die luxemburgische Justiz diese Woche nun beschlossen hat, einen neuen europäischen wie auch internationalen Haftbefehl gegen Kiesch rauszugeben.

Im Telefongespräch mit dem Tageblatt wirkt Gabrielle Celine Mersch maßlos enttäuscht und resigniert: „Wie kann die spanische Justiz anders entscheiden als die luxemburgische?“ Die heute Mitte 60-Jährige weiß ihrer Hände keinen Rat. „Warum sollte ich mich noch aufregen? Das macht alles keinen Sinn, es ändert sich ja doch nichts.“

Vor rund 20 Jahren, nach dem Mord an ihrer Mutter, sei sie zum Sozialfall geworden. Heute lebe sie in einer Sozialwohnung, „die mir nicht gefällt“. Ihr Leben habe sie sich anders vorgestellt. „Der Tod meiner Mutter hat es grundlegend geändert.“

Als der Mord geschah, war Gabrielle Celine Mersch erst wieder vier Monate in Luxemburg, nach neun Jahren in den USA. Seither versuche sie ihr Leben irgendwie in den Griff zu bekommen. Halt gebe ihr der Partner, sagt sie und fügt hinzu: „Es ist nicht einfach, mit mir zu leben.“ Den neuen Schicksalsschlag müsse sie erst mal wieder irgendwie einordnen.

Am Ende unseres Telefongesprächs am Dienstagabend sagt sie, sie würde im Bett liegen: „Ich habe keine Kraft mehr. Der Mörder meiner Mutter hat mich vor über 20 Jahren ins Gefängnis gesetzt und mein Leben zerstört.“

Am Mittwoch, also gestern, schreibt Gabrielle Celine Mersch: „Warum gibt es eigentlich kein rezentes Foto von Kiesch, warum wird uns das vorenthalten?“ Daran knüpft dann auch die Frage, welches Foto denn nun eigentlich dem neuen Luxemburger Haftbefehl beigefügt wurde, an. Hoffentlich nicht das per Photoshop auf älter getunte Bild von Jean-Marc Sirichai Kiesch aus jungen Jahren!?

Leila
16. September 2021 - 11.58

Wegen eines einzigen Tages kommt er anscheinend ungeschoren davon - ein Hohn!!! Das Opfer hatte eine Enkelin, die mit dem Täter befreundet war und als Tippgeberin agierte, soweit ich mich erinnere - nicht sehr viel besser als das damalige Milchgesicht... Davon wurde während des Telefonats nichts erwähnt. Egal, ob Tochter oder Nichte, es ist Familie!