Nach Johnsons alternativer Nordirland-Lösung: Der Schleier ist gelüftet, der Nebel bleibt

Nach Johnsons alternativer Nordirland-Lösung: Der Schleier ist gelüftet, der Nebel bleibt

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Armand Back mit AFP

Auch nachdem Boris Johnson der EU-Kommission seine Pläne vorgelegt hat, wie ein No-Deal-Brexit aus britischer Sicht noch verhindert werden könnte, herrscht Unklarheit, ob jetzt Fortschritte erzielt worden sind – oder ob es sich bloß um die nächste Blendgranate handelt, die der britische Premier im Austrittshickhack des Vereinigten Königreiches aus der EU geworfen hat.

Die Reaktionen zumindest waren zurückhaltend. In dem Plan für ein neues Abkommen zu Nordirland gebe es „positive Fortschritte“, aber auch „einige problematische Punkte“, erklärte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Mittwoch nach einem Telefonat mit Johnson. An diesen müsse in den kommenden Tagen weitergearbeitet werden. Zudem gebe es bei der Frage „substanzieller Zollvorschriften“ auf EU-Seite „Bedenken“. Auch die irische Regierung reagierte skeptisch. Premierminister Leo Varadkar ließ nach einem Telefonat mit Johnson erklären, dass dessen Vorschläge „nicht vollständig den vereinbarten Zielen“ für eine offene Grenze zu Nordirland entsprächen. EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier sagte, es gebe „Fortschritte, aber um ehrlich zu sein, muss noch viel Arbeit getan werden“.

Johnson hatte seine Vorschläge am Mittwoch nach Brüssel geschickt, nachdem er am letzten Tag des Tory-Kongresses in Manchester in einer proppevollen Halle noch mehr auf Show als auf inhaltliche Punkte gesetzt hatte. Viel Zeit zur eigenen Mitteilung an die restlichen EU-Staaten war Johnson auch nicht mehr geblieben. In nicht einmal einem Monat läuft die Frist für den EU-Austritt seines Landes ab.

Quadratur des Kreises

Eine Lösung prallt immer wieder an der Nordirland-Frage ab. Es ist wie die Quadratur des Kreises. Tritt, wie die Tories es wollen, das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Zollunion aus, müssen Waren an der inneririschen Grenze zwischen der Republik und der britischen Provinz Nordirland kontrolliert werden. Das würde Kontrollstellen bedeuten – was wiederum dem Karfreitagsabkommen widerspricht, welches den Nordirlandkonflikt 1998 beendet hatte.

Die EU hatte mit Johnsons Vorgängerin Theresa May einen Deal ausgehandelt, der dieses Problem mittels des sogenannten „Backstop“ geregelt hätte. Die „Backstop“-Lösung sieht vor, dass Großbritannien und Nordirland nach Ende einer Übergangsphase Ende 2020 in einer Zollunion mit der EU bleiben, falls bis dahin keine andere Lösung gefunden wird. So sollen Grenzkontrollen zwischen Nordirland und Irland verhindert werden. London könnte in diesem Fall nicht sofort nach dem EU-Austritt bilaterale Handelsabkommen mit Ländern wie den USA schließen. Hinzu kommen verfassungsrechtliche Bedenken, da das britische Parlament ein Gesetz stimmen würde, das es selber nicht wieder aufheben könnte, da die EU mitzubestimmen hätte.

Den Vorschlag, den Johnson nun vorlegte, nannte er „endgültig“. Nehme die EU diesen nicht an, sei sie selber schuld daran, falls es zu einem Austritt ohne Abkommen komme. Es handele sich um einen „vernünftigen Kompromiss“, der Grenzkontrollen zwischen Nordirland und Irland vermeide und Großbritannien eine eigenständige Handelspolitik erlaube, schrieb Johnson am Mittwoch an die EU. Dafür solle der Backstop aus dem Dokument gestrichen werden.

Stattdessen solle Nordirland mit Großbritannien in einer Zollunion bleiben. Kontrollen im Warenhandel mit Irland sollten nur „dezentralisiert“ über Online-Formulare und Überprüfungen auf Firmengeländen und „an anderen Punkten der Lieferkette“ erfolgen. Nordirland soll nach Johnsons Vorstellungen trotz seiner Zollunion mit Großbritannien die EU-Vorschriften und -Standards für Lebensmittel, Agrarprodukte und sonstige Waren einhalten. Damit wären – was neu ist – regulatorische Kontrollen für den Warenhandel zwischen Nordirland und Irland unnötig. In dieser Frage solle Nordirland mitentscheiden, legte Johnson dar: mit einer Zustimmung von Regierung und Parlament zur Einführung der Regelung und einer Abstimmung des nordirischen Parlaments über ihre Fortsetzung alle vier Jahre.

Wer wird schuld sein?

Der EU-Plan für einen „Backstop“ sei „eine Brücke nach nirgendwo“, sagte Johnson, „ein neuer Weg voran muss gefunden werden“. Zuvor hatte der britische Premier auf dem Parteitag versichert, unter „keinen Umständen“ werde es Kontrollen „an oder nahe“ der Grenze zwischen Nordirland und Irland geben. Zugleich bekräftigte er, dass Großbritannien die EU am 31. Oktober verlassen werde – „komme, was wolle“. „Lasst uns den Brexit umsetzen, denn eine Verschiebung ist sinnlos und teuer“, warb Johnson für sein Vorhaben.

Das Problem mit der irischen Grenze bleibt jedoch bestehen. Auch unter Johnsons jetzigem Vorschlag müsste es Zollkontrollen geben, die der britische Premier aber als geringfügig bezeichnet und die nicht direkt an der Grenze stattfinden sollen. Johnson argumentiert, damit würde das Karfreitagsabkommen nicht angetastet, da die Kontrollstationen eben nicht an der Grenze stünden. Dazu, so Johnson, müsse die EU wissen, dass „nur sehr wenig Zeit“ bleibe, um einen No-Deal-Brexit zu verhindern.

Dabei ist es nicht so, dass sich in der EU keiner des Zeitdrucks bewusst wäre. Vielmehr ertönt in Brüssel immer wieder der Vorwurf, die Briten hätten die Zeit selber vertrödelt, ohne konkrete Vorschläge für eine alternative Lösung zum Backstop vorzulegen. Deswegen auch der nicht mehr nur leise geäußerte Verdacht, Johnson wolle der EU nun die sprichwörtliche Pistole auf die Brust setzen und den restlichen EU-Europäern – sollten sie seine Pläne ablehnen – die Schuld an einem ungeordneten Austritt in die Schuhe schieben.

Am Mittwoch wurde auch bekannt, dass Johnson das Parlament in London ab Dienstag erneut in eine Zwangspause schicken will. Der Premier will die Sitzungen demnach vom 8. Oktober bis zu einer Rede der Queen zum Regierungsprogramm am 14. Oktober aussetzen. Die nun geplante einwöchige Pause sei „die kürzestmögliche Zeit“, um alle Vorkehrungen für die Rede von Königin Elizabeth II. zu treffen, die eigentlich eine Regierungserklärung ist.

Jaans
3. Oktober 2019 - 11.45

Wird nichts. Da müssten EU-Zöllner in ganz Nordirlands grenzen, Häfen, Flughäfen kontrollieren, Zoll und Mwstst. einziehen, das sind hoheitliche Aufgaben die auf gar keinen Fall an Nicht-EU-Mitgliederstaaten delegiert werden können. Das kann er sich abschminken.

rene reichling
3. Oktober 2019 - 11.25

heheheh -gudd gesoot.

J.C.KEMP
3. Oktober 2019 - 8.51

Kleine Frage am Rande: Wenn es 'positive Fortschritte', gibt, gibt es dann auch negative Fortschritte, oder nennt man das positive Rückschritte? Hört sich nach Springprozession (Unesco-geschützt) an. :D