Lust zu lesen„Mord in der Straße des 29. November“ von Alfred Bodenheimer

Lust zu lesen / „Mord in der Straße des 29. November“ von Alfred Bodenheimer
Alfred Bodenheimer Foto: Peter Feenstra

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Alfred Bodenheimer arbeitet als Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Universität Basel. In seiner Freizeit schreibt er kluge Krimis wie diesen hier. „Mord in der Straße des 29. November“ ist nach „Der böse Trieb“ (aus der sogenannten „Rabbi-Klein-Reihe“ des Autors) sein bisher zweiter Roman beim Kampa Verlag.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Kinny Glass, die als Psychologin bei der Kriminalpolizei in Jerusalem ihr Auskommen gefunden hat. Im Moment leidet sie furchtbar unter dem Lockdown – der in Israel „Seger“ genannt wird –, was übersetzt in etwa die Vereinzelung der Menschen im Homeoffice bedeutet. Womit wir bereits beim ersten Pluspunkt dieses Romans wären: Er ist einer der wenigen bisher, der die Corona-Pandemie nicht nur thematisiert, sondern leitmotivisch nutzt! Das andere bestimmende Motiv des Buches ist die sogenannte „protekzia“ – die Protektion, die Vetternwirtschaft, eine Hand wäscht die andere, der Nepotismus – egal, welchen Namen das Übel erhält, nach Kinnys Überzeugung droht es das ganze Land in den Abgrund zu reißen. Ihre Tochter Mia und ihr Ex-Ehemann Ariel haben sich dagegen mit den Zuständen arrangiert. Der alte Spruch, wonach der Fisch vom Kopf her stinkt, scheint auch in diesem Fall zuzutreffen. Zumindest beschreibt Bodenheimer aus Perspektive seiner Protagonistin einen namenlos bleibenden Ministerpräsidenten sowohl als Ausgeburt wie treibende Kraft hinter dem Phänomen. Vordergründig geht es zuerst einmal um den titelgebenden Mord. Oder Doppelmord. Denn das Ehepaar Ruchama und Gil Wacholder wurde abends beim Ausführen ihres Hundes auf der Straße der 29. November erschossen. Kinny kennt das Ehepaar, denn Gil Wacholder war gemeinsam mit Kinnys ehemaligen Mann in einem Architekturbüro tätig. Zuerst fällt das Augenmerk auf Wacholders Ehefrau, weil sie als Politikerin heftiger Kritik ausgesetzt war. Der Schabak-Geheimdienst zieht infolgedessen die Ermittlungen an sich, Kinny und ihre Kollegen bei der Jerusalemer Polizei werden ins Abseits gedrängt. Am Ende ist die Lösung des Falles denkbar einfach: Spielsucht und Korruption führt zur Angst vor Aufdeckung und zum kaltblütigen Doppelmord. Kaltblütig heißt in diesem Zusammenhang, dass weder Reue noch Gewissensbisse eine Rolle spielen, weil sich so etwas nur Leute leisten können, die sonst nichts zu verlieren haben als ihre Ehre. Womit abschließend der zweite Pluspunkt dieses lesenswerten Romans erwähnt werden sollte: das facettenreiche Sinnieren über die Bedeutung von moralischer Integrität für die Ausrichtung eines gesamten Menschenlebens.

thk

Alfred Bodenheimer<br />
„Mord in der Straße des 29. November. Ein Jerusalem-Krimi.“<br />
Kampa Verlag<br />
Zürich 2022<br />
224 S., 18,90 Euro
Alfred Bodenheimer
„Mord in der Straße des 29. November. Ein Jerusalem-Krimi.“
Kampa Verlag
Zürich 2022
224 S., 18,90 Euro